Der große König Salomo soll nach den Orientalen diese Wesen der Urzeit erforscht und gekannt haben. Nicht zuletzt dank diesem Wissen soll er schließlich zur Erkenntnis gelangt sein, daß es unter der Sonne nichts Neues geben könne. In sei nem Wunderschloß in Persepolis habe er solche Wesen abgebildet, die er selbst, dank seiner wunderbaren Begabung des Hellsehens, kannte. Dort seien die mächtigen Geister dargestellt: Die Dschinnen mit den Tierleibern und Menschengesichtern als treue Pfortenhüter.
Auch Gesner versichert nach den Berichten des Altertums, daß die Ägypter «dieses Tieres Bildnisse auf alle Portale oder Türgestelle ihrer Tempel und Gotteshäuser malen oder bauen lassen». Diese Nachricht scheint uns zuverlässig. Eugen Jung, der viel in Nepal und Burma reiste, erwähnt ähnliche geheimnisvolle Mischgeschöpfe, die ebenfalls ds magische Wächter der heiligen Plätze gelten: «...die meist riesigen Manokthias oder Chinthes..., die mit dem Körper eines Löwen und dem schauenden Antlitz des Menschen, der (ägyptisch-griechischen) Sphinx ähnlich sehen.» Sie gelten ebenfalls als Darstellungen von gewaltigen Schutzmächten, «die Feinde abwehren und Orte schützen».
Gelegentlich sieht die orientalische, arabische, persische und türkische Dichtung hier echte Darstellungen der Wesen aus dem Dschinnenvolk. Als Beweis der Größe des Königs Salomo versichern die Legenden, daß er nicht nur über die Menschen herrschte. Er war demnach auch befähigt, mit viel Liebe und Verständnis über diese Geisterwesen und die Tiere zu regieren: Wenn er auf seinem stolzen Throne saß, gaben ihm die Vögel den kühlenden Schatten - und die tiergestaltigen Dschinne hielten und stützten seinen Sitz. Hier wächst aus der Tiersage der Vergangenheit ein zeitloses Sinnbild: Nur ein wirklich weiser Herrscher kann ein Reich verwalten, das allen Wesen in seinen Grenzen den Segen bringt. Dessen Weisheit ist aber nur möglich durch einen «König der Könige» wie Salomo. Sein Wissen entstand erst dadurch, daß er alle Geheimnisse der Urzeit und der Wesen jeder Art erforschte!
In der Zigeunertradition, die die Nomaden von Ägypten oder Indien mitgebracht haben wollen, ist die Sphinx das Geheimnis des Menschen. Sie zeigt das Zusammenspiel des göttlichen Geistes mit dem Leib, der tierisch ist. Bei der Deutung der entsprechenden Tarotbilder vernahm ich: «Auf dem Trumpf Das Schicksalsrad sitzt eine Sphinx an höchster Stelle. Ihr Katzen- oder Löwenleib bedeutet einen Körper, der uns vollkommen dient.» Man nahm für die Sphinx den Leib des mächtigen Katzentiers, weil man es besonders bewunderte: «Seine Sinne überragen die unseren, es ist beweglich, schnell und fast in jeder Haltung schön.»
Der Syrer Mohammed Ibn Abu-Thaleb Dimeschqi bezeich-nete die Sphinx von Ägypten noch im 13.-14. Jahrhundert als eins der «wunderbarsten Dinge» der Welt. Er erklärte sie nach den Lehren der Sabier (Sternverehrer) als eine Darstellung der Urkraft des Planeten Venus. Von ihr hätten die Alten behauptet, daß sie «Männer und Frauen, die Jünglinge und die Kinder mit Freude und Fröhlichkeit beschenkt».
Offenbar stellte man sich vor, daß die Sphinx-Bilder das Rätsel des Menschen, seine Verbindung von himmlischem Geist mit dem «tierischen» Körper aufzeigten. Nur für den, der die se Tatsache erkannte und freudig annahm, sollte ein einigermaßen leichtes und fröhliches Leben möglich sein.
Geschwister der Wetterhexen
Die Katzen haben beim Nahen von Gewittern oft einen geradezu «stöberen», verwirrten Ausdruck. Viele ihrer Beobachter entwickelten eine Vermutung: Die verhältnismäßig starken elektrischen Ströme im Fell und Körper des Tieres würden durch starke äußere Natureinflüsse gesteigert oder gestört.
Das Volk hat in Scherz und Ernst für diese «Verwirrung» eine andere Erklärung. Man sagte etwa: «Die Katze wird beim Gewitter unruhig. Sie möchte wohl auf eine Höhe, wo die Blitze einschlagen und die Äste der Bäume nur so knistern. Dort würde sie gern mit dem Katzenvolk herumtanzen.»
Diese Erklärung hörte ein mir bekannter Lehrer und Sagensammler noch in der Nähe von Sigriswil über dem Thunersee. Meine Großmutter, die lange im Gebiet der uralten Stadt Kiew gelebt hatte, glaubte ziemlich wörtlich das gleiche. Sie sagte: «Eigentlich gehören Blitz, Katze und Hexe zusammen wie die drei ersten Buchstaben in unserem Alphabet. Wer das eine Wort ausspricht, dem fallen ziemlich sicher auch die beiden anderen ein.»
In einem alten Puppenspiel aus dem Rheinland singt die nächtliche Hexenversammlung bei einem heiligen Felsen im wilden Wald:
Sie rufen dann bei ihrem Rundtanz den Blitz an: «Schlag ein! Schlag ein! Schlag siebenmal ein!» Nun bilden auch in bayerischen und anderen Volkssagen die Hexen und Katzen eine erstaunliche Einheit. Alte Hexen verwandeln sich in Katzen - und umgekehrt! Unter den Katzen, «die sich immer im Haus einer Hexe aufhalten», lebt häufig in Tiergestalt deren einstige Lehrerin, «meistens wiederum ihre eigene Großmutter»: Wenn das auffallend schöne Tier der Weisen Frau auf dem Schoß oder auf dem Buckel hockt und schnurrt, flüstert es seiner menschlichen Gefährtin Geheimnisse zu. Im übrigen erkennt man in Savoyen und in angrenzenden Gebieten einen Menschen mit Neigung zum Hexenwesen schon in seiner zarten Jugend an seinen «Katzenanlagen»: Er ist wetterempfindlich, seine Haare sprühen bei Unwetter oder beim Kämmen Funken, er kann im Finstern besser sehen als seine Zeitgenossen...
«Wenn die wilde Jagd tobt»: Geschöpfe mit Katzenkörpern oder -köpfen sollen in Sturmnächten einsame Wanderer erschrecken.
Das «richtige Wetter» verstärkt in der Nacht auch die inneren Kräfte des Katzenvolkes, also der Hexen, ungemein. Es ermöglicht sogar ihren Seelen - die Okkultisten reden viel lieber von «Astralleibern» -, aus den Körpern zu schlüpfen und sich an die Orte zu begeben, die wiederum voll geheimnisvoller Strahlungen sind.
Eine wichtige Bedingung: Sie müssen wieder in ihre unterdessen tief schlafenden «materiellen Leib» zurückkehren, bevor das Morgenlicht naht: Sonst könnte das feinstoffliche Gewebe des Astralkörpers verderben. Die Folge davon wäre der augenblickliche Tod des unvorsichtigen Katzenmenschen!
Meine Großmutter erzählte mir als eine der vielen Sagen aus der verzauberten Ukraine: Eine Hexe gab einem jungen Mann, der Liebe suchte, folgenden Rat. Er solle sich an den halbverfaulten Resten einer uralten Eiche niederlegen, die schon in fernen Heidenzeiten dem wilden «Perun» geweiht war: So heißt in den teilweise noch immer sehr volkstümlichen slawischen Chroniken der Donnergott. Das Wort wird aber immer noch für den Blitz selber verwendet. Der Jüngling sieht dann - ob wirklich oder im Traum ist für die Hexensagen meistens völlig gleichgültig - ein Dutzend Riesenkatzen auftauchen. Sie beginnen nun ihren uralten Tanz um den Eichenstrunk. Kein Mensch, der ihn auch nur einmal geschaut hat, kann ihn wirklich genau schildern - keiner aber kann ihn vergessen! Ich habe dies, noch zu Lebzeiten meiner Großmutter, nach ihren Worten so niedergeschrieben: «Merkwürdig lautlos huschten ihre Schatten, schnell und immer schneller, um das jetzt unheimlich hell schimmernde morsche Holz.»
Die Hexenkatzen blicken auf einmal mit ihren leuchtenden Sternenaugen auf den Burschen und stürmen dann wie auf ein geheimes Zeichen auf ihn los. Fast hätten sie ihn erreicht - da vermochte er noch mit einem Kesselhaken einen schützenden Kreis um sich auf den Boden zu zeichnen. Die wilden Katzen prallten an diesem ab wie an einer Mauer: Sie rasten nun um den Ring herum, unfähig, die gezogene Linie zu überspringen.