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Märchen um Froschkönige

In unseren Sagen und Märchen kommt sehr häufig der Nöck vor, der Nixenmann, der im tiefen Wasser haust und eher selten an der Oberfläche auftaucht: Im Mondschein sitzt er am Ufer und spielt verführerische Weisen. Er soll früher die Menschenfrauen zu sich gelockt haben, als wäre er ein echter Wasser-Satyr.

Er ist heute in großen Teilen Europas fast vergessen. Nur die Bilder in Märchenbüchern verraten, daß ihn unsere Kinder noch uneingeschränkt lieben. Seine Haut wirkt auf solchen Darstellungen froschartig feucht und glatt. Sein Kopf ist rundlich, seine Augen springen vor, die Nase ist platt. Selbstverständlich wachsen ihm zwischen seinen Fingern und Zehen nützliche Schwimmhäute. Wenn er auf seltsamen Musikinstrumenten seine Weisen erschallen läßt, sollen die Frösche im Umkreis voller Bewunderung schweigen. Von Zigeunermusikern, die viel konnten, sagte man etwa zum Spaß: «Das haben sie vom Wassermann gelernt.»

Warum wir dem Nöck in unseren Sagen so selten begegnen, habe ich ebenfalls bereits als Kind gelernt. Als ich kaum richtig sprechen konnte, nahm mich meine Großmutter zum Märchenerzählen stets an den «richtigen Ort» mit: Gab es Geschichten um die Waldhexe, schlüpften wir in das leise rauschende Baumdickicht. Ging es um Vögel, wanderten wir auf die nahe Anhöhe, wo man deutlich die Windströme fühlte.

Aber mit den Geschichten um die Lurchleute hatte sie es schwer. Enttäuscht wandte sie sich vom Flußufer ab, und sogar eine eingedämmte Sumpflandschaft am Aarestrom schien ihr nicht zu genügen. Sie wußte genau, wie man sich «denen, die die Wasserkraft besitzen», naht. «Es muß unter den Füßen eine Erde sein, in der die Grenze zwischen festem Boden und der Tiefe undeutlich ist. Alles ist da unsicher, und eine einfache Pfütze ist vielleicht das Tor zu einem weiten Höhlenreich der unterirdischen Gewässer.»

Jede Veränderung der Landschaft verwandelt die Vorstellungswelt ihrer Bewohner. Das folgerichtige Regulieren der Flüsse, das Aufschütten mühsam ausgetrockneter Meerlandschaften zu Nutzungsland hatte stets Folgen: Dies war gleichzeitig das Zurückdrängen der Vorstellungen, die das Volk mit den Wesen der Sumpfländer verband. Ein künstlich gestauter See bleibt auch für Träumer und Dichter meist stumm und tot: «Es ist keine Musik in ihm», sagt etwa das Volk.

Im übrigen erscheinen die «menschenähnlichen» Geschöpfe der Teiche und Sümpfe meistens grün. Man weiß nicht recht: Ist dies ihre Hautfarbe, die ihre nahe Verwandtschaft zum Froschgeschlecht verrät? Stammt der grüne Eindruck von den winzigen Algenpflanzen, die alte Tümpel beleben und an den Bewohnern klebenbleiben?

Im Ernst oder Spaß berichtete man früher im sumpfigen Seeland westlich des Ortes Ins (Anet): Wenn man ausgesprochenes Pech beim Fischen hat, ist es, «weil der Wassermann stört». Er findet wahrscheinlich, es sei gerade Festzeit für seine Herde -der Mensch müsse diese auch einhalten. Seltsamerweise erzählt man selten von weiblichen Gefährtinnen des Nöck, die ein vergleichbares Aussehen haben. Erscheinen neben ihm, der meist als Einsiedler lebt, Frauen, dann sind sie ausgesprochen hübsch im menschlichen Sinn: Sie haben in ihrem Aussehen kaum etwas vom Frosch und sind auch im Sinne «der Nachkommen von Adam und Eva» sehr verlockend. Eigentlich gehören sie eher in die Kapitel über die Nymphen, Najaden und Nereiden.

Geschichten um Froschmenschen finden heute, nach Ein-geborenen-Sagen wie Abenteuerfilmen, höchstens in den letzten fast endlosen Sumpflandschaften statt: Ich erinnere hier vor allem an die wilden Ufer der breiten Ströme von Brasilien. Reisende, die auf Indianerbooten oder Motorschiffen den Amazonas hinauf vorstießen, sollen gelegentlich in der Dämmerung schwimmende Leiber geschaut haben: Sie erinnerten eher an Lurche als an «menschliche Menschen»...

Gelegentlich wurde die Meinung vertreten, die Bewohner der Tropenwälder hätten allerlei gruselerregende Wesen ersonnen, um habgierige Fremde abzuschrecken. Leider macht die heutige Ausbeutung für wirtschaftliche Interessen vor keinen Sagen oder Bräuchen halt. Mit Flammenwerfern werden die von heißen Nebeldämpfen erfüllten Uferdschungel zerstört. Der Schlamm trocknet, und damit verschwindet wieder eine Landschaft, die eher eine Traumwelt zu sein scheint als eine neuzeitliche Wirklichkeit.

Doch der «Froschkönig» des Märchens kann noch vor unseren inneren Augen auftauchen, wenn der Mond über die Nacht herrscht. Dr. P. Landry aus München erklärte schon in den zwanziger Jahren viele unserer Traumerlebnisse aus Eindrücken, die wir von den Ahnen bewahrten: Die Vorfahren des Menschen hätten eben vor Jahrmillionen als Lurche gelebt. Der Biologe Dr. Max Oettli faßt solche Ideen zusammen: «Das ruhige, niemals rasche Fliegen im Traum sei eine Erinnerung an das ehemalige Schwimmen im Wasser.» Landry versichert, daß das «Fliegen» in der Vorstellung der Schläfer gar nicht das eines Vogels sei. «Man schwömme mit den Beinen durch die Luft wie ein Frosch durchs Wasser.»

Für Landry gehört zu unseren Erinnerungen an die Lurche, daß wir im Traum oft nicht mehr zu schreien vermögen: Den Urgeschöpfen - die zwischen den Elementen wechselten - soll es einen verständlichen Eindruck gemacht haben, wenn sie unter Wasser ihre Laute nicht wie an der Luft ausstoßen konnten: Dies war für sie ein Alpdruck, der noch immer in unserem Unterbewußtsein fortlebt und gelegentlich in unseren Träumen auftaucht.

Der erwähnte Oettli widerspricht dem. Die Menschen, die er kenne, hätten eher Vogelträume. Auch hier erkennen wir: Wenn ein Mensch in sein Traumreich geht, reist er dabei durch ganz eigene Welten. Es sind nur selten die gleichen Tiere und Märchenwesen, die jedem von uns in den Traumwelten begegnen: Der eine erlebt sich eher als Wassergeschöpf, der andere schwebt durch die Lüfte ...

Den Fischerstämmen, de an den unsicheren, dauernd überschwemmten Ufern der breiten Flüsse lebten, war es aber sicher ein innerer Wunsch: Im Wasser und auf dem Boden sich gleichermaßen sicher bewegen zu können - das mußte wunderbar sein! Eine Haut zu besitzen, die jeder Giftmücke widerstand, das erschien ihnen geradezu paradiesisch.

Von solchen Bewohnern der Fluß- und Seelandschaften haben wir sicher die Vorstellung des Froschkönigs der einheimischen Fischwelt geerbt: Es gibt Menschen, die sein Aussehen in ihren Träumen, trotz Glotzaugen und Lurchkopf, ausgesprochen niedlich und sogar glückbringend empfinden.

Lovecraft, Cthulhu und die «Großen Alten»

Der amerikanische Schriftsteller Howard Philipps Lovecraft (1890-1937) gilt als Begründer der modernen Horrordichtungen und entsprechender Filme: Wenn wir seine gesammelten Schriften studieren, entdecken wir, daß er selber deren Inhalt gar nicht als reine Phantasie ansah.

Der Dichter und Erforscher seltsamer Schriften hat später versichert: «Mit sechs oder sieben wurde ich beständig von immer wiederkehrenden Alpträumen eigentümlicher Art geplagt. » In seinen Nachtgeschichten begegnete er den Wesen einer eigentümlichen «Rasse». Deren Angehörige besaßen «Hörner, Schuppenschwänze und Fledermausflügel». Sie pflegten die Seele des Kindes «endlose Meilen weit über die Türme toter und furchtbarer Städte durch die schwarze Luft zu tragen».

Solche Traumwelten sind noch heute zahllosen Kindern wohlbekannt. Viele von ihnen fürchten sich davor, andere haben Spaß daran. Diese Angst war vor noch nicht sehr langer Zeit wohlbegründet: Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert galten solche «Seelenreisen», wenn man sie weitererzählte, als Beweise des Bundes eines Menschen mit wilden Tiergöttern: Zahlreiche unserer Vorfahren kamen aus keinem anderen Grund in Folterkammern und auf Scheiterhaufen...