Daß zumindest gewisse Zigeunerstämme gerade von den fahrenden Spielleuten Südasiens abstammen, wurde schon mehrfach vermutet. Zumindest von «fahrenden» Musikern, die als Nomaden herumzogen, hat man in Osteuropa immer versichert: Sie nahmen deutlich die Vögel zum Vorbild. Oft trugen sie auffallend bunte Kleider und ein entsprechend stolzes Benehmen zur Schau. Wenn sie nach einem strengen Winter in ein Dorf einzogen, jubelte darüber die Jugend: «Der Frühling ist da, die Wandervögel sind da», hieß es.
Der polnische Schriftsteller Stanislav von Vinzenz sah noch vor dem 1. Weltkrieg in den Bauernhäusern der westlichen Ukraine hübsche Malereien: Aufgrünen Ästen hatte der begabte Volkskünstler musizierende und sehr bunte Vögel gemalt. Sie sangen und spielten für Menschen, die unter ihrem Baume munter umhertanzten. In ihren Krallen hielten sie Geigen und ähnliche Musikinstrumente.
Sie waren vom Standpunkt der Anatomie aus nicht gerade naturgetreu gezeichnet. Die Vögel trugen Menschengesichter mit bräunlicher Hautfarbe, außerdem dunkles und langes Haupthaar und goldene Ohrringe. Mit einem Wort, der Künstler hatte sich beim Malen ziemlich sicher die Musikanten aus einem Zigeunerstamm vorgestellt.
Dazu gehört die Überzeugung, die man von Siebenbürgen bis nach Rumänien von den «Fahrenden Geigern» besaß. Ihr Instrument sollte stets von einem Baum stammen, der durch sein langes Waldleben «viel der Vögel gekannt hatte». Die Töne seien darob, viele Jahre hindurch, sozusagen vom Holz eingesogen worden. Wenn der Geigenbauer die «richtige» Überlieferung seines Handwerks kenne, wüßte er um den uralten Zauber: Kaum beginne der gute Musiker die Saiten zu streichen, schon könne er die zeitlosen Klänge des Waldes hervorholen.
Ich glaube, daß wir hier auf eine Überlieferung der alten Volkskunst stoßen. Auch vom großen italienischen Geigenbauer Stradivarius gibt es eine ähnliche Sage. Angeblich soll auch er den unnachahmlichen Klang seiner Instrumente dem großen Berufsgeheimnis verdanken, das er durch seine engen Beziehungen zu Zigeuner-Musikern gewonnen hat.
Zu solchen alten und neuen Sagen gehört auch die vom Erlernen des «echten» Spielens. Es sollte noch heute unter den Nomaden «der gute Brauch» sein! Bekannt war er unter den Familien der guten Musiker, die im 18. und 19. Jahrhundert zwischen Wien und St. Petersburg herumzogen: Die Jugendlichen sollten sich mit ihren Instrumenten in noch unberührte Wälder zurückziehen, also in eine Umwelt, die ein Kunstwerk des Schöpfers war; in der höchstens das Blätterrauschen und das Murmeln der klaren Quelle den Gesang der Vögel begleitete.
Dort lauschten die jungen Menschen in den Wohlklang ihrer Umgebung hinein. Das geschah selbstverständlich vor allem in der beglückenden Zeit, wenn sich die gefiederten Sänger in ihren Liebestaumel hineinsteigerten. Mit ihnen spielten nun die Geiger um die Wette. Einige von ihnen sollen es verstanden haben, den Sängern im Gebüsch auf ihre Rufe zu antworten: Diese seien darauf ihrerseits wieder auf die Töne der Musiker eingegangen. So sei ein richtiges musikalisches «Gespräch» zwischen den Vögeln und den bei ihnen lernenden Menschen entstanden.
Später konnte ein solcher Musiker sogar im strengen Winter des kalten St. Petersburg aufspielen. Seine Hörer fühlten sich, besonders wenn er die «Waldweisen» erklingen ließ, «wie entrückt». Es war ihnen jedesmal, als seien sie für Augenblicke in einem fernen Wald: In diesem sei gerade die muntere Liebeszeit der Singvögel angebrochen. Bei solchem Kunstgenuß hatten sie noch lange das Gefühl, als sei in ihrem Herzen ein neuer Frühling erwacht.
Ähnliche Wunderwirkungen schrieb das Altertum der Musik des Waldgottes Pan und seines Nymphenvolks zu. Vielleicht hat der Sagensammler Bercovici in einer Beziehung recht: Zumindest gewisse Zigeunerstämme lebten schon in vorchristlicher Zeit im griechischen Kulturkreis. Von hier besäßen sie darum einen Teil ihrer Überzeugungen.
Papageno durchwandert Österreich
Voller Anspielungen auf die griechisch-ägyptischen Überlieferungen ist die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart. Ein echter Vogelmensch ist Papageno; er besitzt nicht nur Federn, sondern sein ganzes Wesen atmet schwerelos Musik und Liebesfreude.
Er entstammt in dieser ersten deutschen Oper dem Reich der «sternflammenden Königin der Nacht». Diese hohe Dame besitzt bekanntlich ebenso Züge einer antiken Mondgöttin wie auch einer mächtigen österreichischen Hexenfrau aus dem Mittelalter. Wenn man den Worten von Papageno oberflächlich lauscht, unterschätzt man ihn. In ihm ist die ganze Macht und Musik der Natur, ohne die der Prinz nie seine Geliebte gewinnen könnte. Mozart hat zweifellos in dieser Märchengestalt seine Liebe zur Musik der Vögel verkörpert; dazu auch seine Zuneigung zum Fahrenden Volk, wie es damals durch Wien strömte. Sicher gingen aus diesen Wanderern manche der einst vielgenannten Vogelsteller und Vogelhändler hervor. Man schätzte diese Menschen in den Städten des 17. und 18. Jahrhunderts nicht weniger als in der Antike.
Obwohl man sich meist viel Mühe gab, die gefiederten Musikanten in den Wohnungen liebevoll zu halten, entstand daraus sicher viel Quälerei. Doch wir müssen unsere Vorfahren einigermaßen verstehen und entschuldigen. Das «junge» Bürgertum, das in engen Straßen lebte, fühlte sich mit seinem Herzen eigentlich noch zur grünen Landschaft, aus der es stammte, hingezogen: Die Gärtchen hinter den Häusern und die Singvögel in den hübschen Käfigen waren ein allgemeiner Trost. Ohne ihn hätte man sich, «durch die Stadtmauern eingeschlossen», wie in Gräbern gefühlt.
Von den so ungeduldig erwarteten Vogelhändlern wußte man, daß sie ihren kleinen Zöglingen erstaunlich nahestanden. Namentlich wenn sie gleichzeitig auch Vogelsteller waren, mußten sie die so verschiedenartigen Klänge der Natur «fast wie die eigene Sprache» beherrschen. Bechstein versichert uns: «Doch wie bekannt, sind ja die Locktöne bei den Vögeln, vorzüglich bei den Stubenvögeln, nach besonderen Leidenschaften und Bedürfnissen verschieden. Diese Sprache muß nun der Vogelsteller verstehen, wenn er seines Fanges gewiß sein will.»
Die Vogelhändler trugen einen Käfig auf dem Rücken. Wenn sie in einem Dorf auftauchten, pfiffen sie mit viel Geschick den kleinen Gefangenen vor. Wenn diese gesund waren und auf den Laut des Menschen frisch und fröhlich antworteten, war dies die allerbeste Werbung. Seit dem 17. Jahrhundert gab es sogar eine berühmte Kanarienzucht im Tiroler Inntaclass="underline" Von hier zogen die Vogelhändler in alle Welt, bis nach London, ins nordische St. Petersburg und bis ins türkische Konstantinopel.
Man behauptete, diese Tiroler hätten ihren Gefangenen wahre Kunststücke beigebracht. So hätten die gefiederten Fremden, ursprünglich Sprossen der Kanarischen Inseln, überall die Volksweisen von Tirol aufklingen lassen. Diese Wanderer mit Vögeln wurden in Europa zu ähnlichen Märchengestalten wie der gefiederte Papageno selber: Dies erklärt etwa den Welterfolg der Oper Der Vogelhändler, die in Wien Carl Johann Adam Zeller (1842-1898) erschuf.
Schon Aelian bezeugt uns für das Altertum, wie solche Menschen «ihren» Vögeln auch innerlich nahestanden: «Ist eine Eule vom Vogelsteller gefangen, so bezaubert sie ihn so, daß er sie herumträgt, als wenn sie sein Schätzchen wäre. Nachts wacht sie für ihn und zieht durch ihre bezaubernde Stimme Vögel an. Bei Tag treibt sie Albernheiten und schneidet solche Fratzen, daß die Vögel ganz verblüfft vor ihr Halt machen und nicht vom Fleck können.»
Die Geschichte über den «Zauber», den die Vogelsteller so erlernten, enthält einen wichtigen Hinweis. Die «Liebe» zwischen Mensch und Vogel leistete sicher einen Beitrag zum zähen Aberglauben, besonders aber zur Überzeugung, daß die Fahrenden und das Hexenvolk gern in die «Maske» von Eulen schlüpfen. So machten es die menschlichen Geister, wie wir schon sahen, jeweils auf ihren Traumreisen - selbstverständlich gelegentlich auch nach ihrem Tod.