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Augenblicklich lief ihm das Wasser im Mund zusammen. »Oh!«, sagte er verblüfft und zog den Speck von der Klinge. »Besten Dank.«

»Der Herr sieht auf des Menschen Schritte«, wiederholte der blonde Mann mit dem verunstalteten Gesicht und dem rotbraunen Kinnbart noch einmal. Dann zog er die Tür auf, durch die man hinaus auf den verschneiten Hof gelangte. Ein eisiger Windstoß ließ seinen Umhang wie die in zahllosen Gefechten zerschossene und hinterher geflickte Fahne einer Söldnertruppe wehen. Dann fiel die Tür hinter dem Schweden zu und Jakob war wieder allein.

Noch ganz unter dem Eindruck seiner verwirrenden Begegnung, stieg Jakob langsam die Treppe hoch. Genussvoll kaute er auf dem Streifen Speck und grübelte darüber nach, was er bloß von diesem Mann halten sollte. Musste er vor ihm auf der Hut sein und ihm besser aus dem Weg gehen oder konnte er Vertrauen zu ihm fassen? Und wieso hatte ein einfacher Mönch wie dieser Bruder Basilius einen Begleiter, der statt einer Kutte die Kleidung eines Landsknechtes trug und aus dem verhassten, protestantischen Schweden kam, gegen deren Heere die katholische Liga so viele blutige Schlachten geschlagen hatte? Ja, wieso hatte der Ordensmann mit der Augenklappe überhaupt einen Begleiter? Welch dunkles Geheimnis mochte diese beiden Männer wohl umgeben? Denn dass sie ein solches teilten, stand für ihn plötzlich außer Frage. Woher er diese Gewissheit nahm, wusste er selbst nicht. Sie hatte sich einfach eingestellt, quasi mit dem letzten Bissen Speck.

Fünftes Kapitel

Unbewusst hatten ihn seine Schritte in jenen Teil des oberen Stockwerkes geführt, wo Bruder Anselm von Picoll in einer der spartanischen Mönchszellen mit dem Tode rang. Jakob spürte nun den Drang in sich den einstigen Abt, den er unter Aufbringung seiner letzten Kraft nach Himmerod gebracht hatte, noch einmal zu sehen, bevor er seinem Fieber erlag. Irgendwie glaubte er ihm oder sich selbst dies schuldig zu sein.

Schon wollte er an die Tür klopfen, als sie von innen aufgezogen wurde. Der junge Mann, der die Zelle gerade verlassen wollte, fuhr genauso erschrocken zusammen wie Jakob. Er trug nicht das schwarze Skapulier des Mönches über der Tunika, sondern war gänzlich in den weißgrauen Stoff der Zisterzienser gekleidet, was ihn als Novize auswies. Er konnte nicht viel älter als siebzehn, achtzehn Jahre sein und machte mit seiner schmächtigen, schmalbrüstigen Gestalt den Eindruck eines ausgezehrten Sperlings. Große, sanfte Augen lagen wie stille Seen in einem übermüdeten Gesicht, das nach dem ersten Moment der Überraschung dennoch sofort zu einem Lächeln fähig war.

»Ihr seid Jakob Tillmann, der mutige Fuhrmann, der dem gestrigen Sturm getrotzt, Bruder Anselm so aufopferungsvoll betreut und sich mit ihm zu uns durchgeschlagen hat, nicht wahr?« Seine Stimme war voller Bewunderung, aber sehr leise, kaum mehr als ein Flüstern, als fürchtete er von einem der Mönche beim Reden ertappt und bestraft zu werden.

Das Lob war Jakob ausgesprochen unangenehm, erinnerte es ihn doch sofort daran, dass er den alten Mönch beinahe auf der Hügelkuppe von seinem Karren gekippt und dort im Stich gelassen hätte. Und so antwortete er mit einem unwilligen Kopfschütteln und betont schroff: »Mit Mut und Aufopferungsbereitschaft hatte das nichts zu tun. Er hatte mir eine ansehnliche Belohnung versprochen und die wollte ich mir nicht durch die Lappen gehen lassen.«

»Natürlich nicht«, sagte der fast gleichaltrige Novize lächelnd, als würde er ihm kein Wort glauben, und streckte ihm die Hand hin: »Ich bin der Novize Dominik. Zu Ostern ist mein Noviziat beendet und dann werde ich die Profess ablegen.« Seine Augen strahlten dabei, als hätte er ihm von etwas Wunderbarem Kenntnis gegeben.

»Na, denn«, sagte Jakob trocken und tauschte einen Händedruck mit dem Novizen. »Wie geht es Bruder Anselm?«

Betrübnis löschte den glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht des Novizen aus. »Er kämpft, doch Hoffnung gibt es keine mehr, wie es heißt. Wir können nur noch für ihn beten.«

»Kann. ich zu ihm?«

Dominik zögerte kurz und nickte dann. »Gewiss, geht nur hinein. Bruder Tarzisius hat zwar angeordnet, dass niemand ohne seine Erlaubnis die Zelle des Kranken betreten darf, damit das Fieber nicht auch noch in unserem Konvent Opfer fordert. Aber Euch kann er mit dem Verbot ja nicht gemeint haben, seid Ihr doch schon mehrere Tage an seiner Seite gewesen, ohne von dem Fieber befallen worden zu sein.«

Jakob schluckte unwillkürlich. Der Gedanke, dass der alte Mönch eine ansteckende Krankheit haben könnte, war ihm noch gar nicht gekommen. Ein letzter Besuch erschien ihm unter diesem Gesichtspunkt plötzlich doch sehr entbehrlich zu sein. »Nun, vielleicht sollte ich Bruder Tarzisius doch besser vorher fragen.«

»Ach was, das ist nicht nötig. Kommt nur herein, Jakob Tillmann!«, forderte Dominik ihn munter auf und schob ihn durch die Tür. »Ihr würdet mir zudem einen großen Gefallen tun. Denn eigentlich soll ich Bruder Anselm nicht eine Minute allein lassen, so hat es mir der Subprior aufgetragen. Aber wenn Ihr nun an seinem Lager sitzt, kann ich guten Gewissens meinem.« Er machte eine kurze, verlegene Pause, bevor er grinsend fortfuhr:»... einem drängenden Bedürfnis nachgehen und meine Eingeweide in Ruhe erleichtern. Bohnen bescheren mir immer ein fürchterliches Rumoren.«

»Also gut«, sagte Jakob. »Doch ich bleibe nur ein paar Minuten!«

Dominik nickte. »Aber betet stumm!«, ermahnte er ihn noch, bevor er ging. »Bruder Tarzisius hat lautes Beten strengstens untersagt! Ich weiß nicht, warum, aber unser Subprior wird dafür seine guten Gründe haben.«

»Das Beten überlasse ich Euch Ordensleuten«, brummte Jakob und trat zögerlich an das Krankenlager.

Bis auf den schwachen Schein einer Kerze, die auf dem Lesepult unruhig flackerte, war es dunkel in der Zelle. Die hölzernen Schlagläden vor dem Fenster waren geschlossen und verriegelt. Die Kammer, in die man Bruder Anselm gebracht hatte, war nicht viel geräumiger als die Büßerzelle, in der er, Jakob, untergebracht war.

Mit einem flauen Gefühl im Magen nahm Jakob auf dem harten Schemel Platz, der vor dem primitiven Bettgestell des Fieberkranken stand. Der alte Mönch lag unter einem halben Dutzend Decken. Kerzenlicht tanzte über das von Fieberschweiß glänzende Gesicht und warf dabei gespenstische Schatten über die tiefen Augenhöhlen und eingefallenen Wangen. Die knochigen Hände des betagten Ordensmannes hielten einen Rosenkranz umklammert, bewegten sich jedoch nicht. Wie ein Toter lag Bruder Anselm da. Und die ganze Zelle schien von der Gegenwart des Todes erfüllt zu sein.

Der Mönch atmete jedoch noch, und zwar schnell und flach, wie Jakob bei näherem Hinsehen feststellte. Seine Beklemmung wuchs mit jeder Sekunde, die in der Stille der dunklen Klosterkammer verstrich. Was hatte er hier überhaupt zu suchen? Er hatte gegenüber dem einstigen Abt wohl nicht die geringste Verpflichtung. Wenn hier einer einem etwas schuldete, dann war das doch wohl Bruder Anselm, der ihn mit dem Versprechen einer fetten Belohnung geködert hatte! Und wenn der Alte starb, ging diese Schuld natürlich auf die weißen Mönche von Himmerod über, das verstand sich ja wohl von selbst!

Jakob war entschlossen die versprochene Belohnung in Himmerod einzutreiben. Und er nahm sich fest vor sich notfalls selbst schadlos zu halten, falls die frommen Kuttenträger versuchen sollten ihn mit wohlfeilem Gottesdank und einem Hungerlohn abzuspeisen. Deshalb war es ratsam, wenn er sich jetzt schon einmal umsah, was sich mitzunehmen lohnte und wie er es am besten anstellen konnte.

»Holt sie. aus den. Feuern!«

Jakob zuckte zusammen, als die keuchende Stimme von Bruder Anselm seinen grimmigen Gedanken ein jähes Ende bereitete.

Der alte Mönch schien aus einem totenähnlichen Schlaf erwacht zu sein und fuchtelte nun, wie von Zitterkrämpfen geschüttelt, mit der Hand, die den Rosenkranz hielt, durch die Luft. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Maske höchster Anstrengung, während einzelne Worte und Satzfetzen abgehackt über seine Lippen kamen.