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Viertes Kapitel

Der nächtliche Sturm mit seinem Schneeregen hatte sich zwar verzogen, geblieben war jedoch ein schneidender Wind, der um die Gebäude pfiff und über die freien Flächen der Klosteranlage fegte. Kein Wetter, um sich draußen aufzuhalten, wenn es sich nicht irgendwie vermeiden ließ. Und so wenig Jakob davon angetan war, ausgerechnet in einem Kloster eingeschlossen zu sein und sich seinen strengen Regeln unterwerfen zu müssen, so beruhigend war es andererseits zu wissen, dass er hinter dicken Mauern Schutz gefunden hatte und sich um seine leiblichen Bedürfnisse vorerst keine Sorgen zu machen brauchte. Büßerzelle und Haferschleimsuppe nahmen zwar auf der Liste seiner Wünsche wahrlich keinen hohen Stellenwert ein, kamen aber gewiss ellenweit vor einem leeren Brotbeutel und einer feuchten Erdhöhle in irgendeinem Wald. Zudem stand seine Belohnung ja noch aus. Er baute fest darauf, dass auch für die frommen Brüder von Himmerod ein gegebenes Versprechen galt und von ihnen geehrt wurde. Und allein das war schon ein Gedanke, der ihn über manches hinwegtröstete, etwa über den vermaledeiten Feldstein als Kopfkissen.

Während der neue Tag über der Abtei im Salmtal heraufdämmerte und die Finsternis der Nacht sich in immer heller werdende Grautöne aufzulösen begann, streifte Jakob durch das Konventsgebäude. Er fand sich plötzlich im Kreuzgang wieder. Das Spitzbogengewölbe, das zum Innenhof mit Maßwerkfenstern ausgestattet war, beeindruckte ihn mit seiner schlichten Formschönheit und der tiefen Stille, die dieser Ort ausstrahlte. Ihm war, als hätte die Zeit hier ihre Gültigkeit als das buchstäbliche Maß aller menschlichen Dinge verloren. Schwach drang der Gesang der Mönche aus der Abteikirche zu ihm in das Gewölbe. Und in ihm rührte sich eine schwache Ahnung von dem, was Menschen seit vielen Jahrhunderten bewegte der Welt zu entsagen und hinter Klostermauern ein gottgeweihtes Leben zu führen.

Ehrfürchtig schlich er auf Zehenspitzen durch den Kreuzgang, vorbei an tiefen Nischen mit Heiligenstatuen und reich verzierten Schlusssteinen in barocker Kartuschenform. Bei den eigenartigen Wappen und lateinischen Inschriften, die er im Dämmerlicht nicht näher zu entziffern vermochte, handelte es sich wohl um die Gedenktafeln ehemaliger Himmeroder Äbte.

Dass der Gesang der Ordensleute verstummt war, wurde ihm erst bewusst, als er um die südöstliche Ecke des Kreuzganges bog - und sich am Ende des Gewölbes eine Tür öffnete.

Die Mönche kehrten in geschlossener Prozession von der Prim zurück!

Geistesgegenwärtig trat er in den Schatten eines schmalen Torbogens, der sich gleich zu seiner rechten Hand befand und hinter dem ein Treppenaufgang lag. Neugierig spähte er um die Kante des Torbogens.

In Doppelreihen kamen die Mönche in ihren weiten, bodenlangen Chorgewändern aus grauweißem Habitstoff den Kreuzgang hinunter. Dabei hielten sie sich ganz nahe an der Wand zu ihrer Linken. Fast lautlos und wie geisterhafte Gestalten, denn unter den Kapuzen waren keine Gesichter zu erkennen, bewegte sich die Prozession der Zisterzienser den Gang entlang.

Jakob zog sich tiefer in die Dunkelheit des Treppenaufgangs zurück und hielt den Atem an, als die Mönche am Torbogen vorbeizogen. Eine Doppelreihe nach der anderen glitt an seinem Versteck vorbei und nicht einer der Mönche wandte den Kopf. Irgendwo knarrte eine Tür. Dann schlug Metall an Metall und dieses Geräusch, das Jakob mit einem Schloss oder Riegel in Verbindung brachte, wirkte in der Stille des Kreuzgangs beinahe schmerzhaft laut.

Angestrengt horchend wartete er noch einen Augenblick, bis er sich aus dem Torbogen wagte. Er wollte nicht dabei erwischt werden, wie er sich im Kreuzgang herumtrieb, der für die Mönche zu den heiligsten Orten ihres Klosters zählte und zu dem bestimmt nur Ordensleute Zutritt hatten.

Überzeugt davon, den Kreuzgang wieder verlassen vorzufinden, wollte er denselben Weg, den er gekommen war, zurückgehen. Doch als er um die Ecke kam, fuhr er erschrocken zusammen, denn vor einem der Fenster zum Innenhof sah er zwei Mönche stehen. Einer von ihnen war der Mönch mit der Augenklappe, der Bruder Basilius hieß, wie Jakob sich erinnerte. Die andere, schmächtige Gestalt vermochte er nicht zu erkennen, wies diese ihm doch den Rücken zu.

Statt sich schnell zurückzuziehen und einen anderen Weg aus dem Kreuzgang zu suchen presste Jakob sich an den kalten Stein des Gemäuers und lugte um die Ecke. Kein Wort von dem, was da zehn, zwölf Schritte von ihm geflüstert wurde, drang an sein Ohr. Er beobachtete jedoch, dass Bruder Basilius mit knappen, aber eindringlichen Gesten auf seinen Mitbruder einredete. Ihm war, als schüttelte der andere Mönch den Kopf. Daraufhin packte ihn Bruder Basilius an den Schultern, als wollte er ihn aufrütteln - oder ihm drohen. Der schmächtige Klosterbruder schien davon alles andere als angetan zu sein, denn mit einer unwilligen Geste machte er sich los und hastete dann den Gang hinunter, um Augenblicke später in einem Durchgang zu verschwinden. Bruder Basilius stand noch eine Weile reglos und mit geballten Fäusten da. Dann folgte er dem schmächtigen Klosterbruder.

Was war zwischen den beiden Mönchen bloß vorgefallen? Worüber mochten sie sich gestritten haben? Und hatte der Mönch mit der Augenklappe wirklich eine Drohung ausgesprochen?

Diese Fragen beschäftigten Jakob noch, als er zehn Minuten später einen Blick in die Küche warf. Seine Hoffnung, dort den umgänglichen Bruder Isenbard anzutreffen, erfüllte sich. Und jener rückte dann sogar einen großen Becher Milch, eine Scheibe Brot sowie zwei gekochte, kalte Kartoffeln vom Vortag heraus.

»Frühstück gibt es in einem Kloster nicht junger Mann«, belehrte er ihn, während er die Holzscheite, die er in einer großen geflochtenen Kiepe hereingetragen hatte, in dem großen Feuerholzkasten aufschichtete. »Wie ich eigentlich auch nicht mit Euch sprechen dürfte.«

»Wieso nicht, Bruder Isenbard? Seid Ihr Euch vielleicht zu fein mit einem einfachen Fuhrmann zu sprechen?«, spottete Jakob und kniete sich neben ihn, um ihm bei der Arbeit zur Hand zu gehen.

Bruder Isenbard reagierte mit einem Schmunzeln. »Ihr seid so wenig ein einfacher Fuhrmann wie unser hochwürdiger Abt!«, erwiderte er trocken. »Nein, es ist das Schweigegebot, zu dem wir uns verpflichtet haben. Gewöhnlich dürfen wir dieses Schweigen nur bei unseren Zusammenkünften im Kapitelsaal, während der Rekreation und bei der Arbeit brechen, wenn es unumgänglich ist.«

»Aber gestern habt Ihr doch auch mit mir gesprochen, ebenso Euer Pfortenbruder, der Subprior und einige andere, ja sogar Euer Abt hat mit mir geredet«, wandte Jakob ein.

»Das war eine Ausnahmesituation.«

»Dann sind Gespräche im Kreuzgang wohl auch verboten«, sagte Jakob und dachte an die merkwürdige Szene, die er dort vor kurzem beobachtet hatte.

»Selbstverständlich! Besonders dort ist Reden strengstens untersagt!«, bekräftigte der Mönch. »Wie auch bei den Mahlzeiten im Refektorium sowie im Scriptorium.«

»Nun, ich glaube nicht, dass der Herrgott etwas dagegen hat, wenn Ihr mir Eure Hilfe erweist, ist es doch das erste Mal, dass ich mich in einem Kloster befinde. Er wird es Euch gewiss vergelten, dass Ihr Barmherzigkeit und Nächstenliebe über die gestrenge Regel gestellt habt«, sagte Jakob einschmeichelnd. »Zumal Euch sicherlich noch viele Stunden am Tag für Euer frommes Schweigen bleiben.«

Er schien damit den richtigen Ton getroffen zu haben. Bruder I-senbard nickte zustimmend und murmelte etwas in der Art, dass man alle Gäste gleich zu behandeln und das Schweigen nicht allein für gelehrte Stiftsherren zu brechen habe.

Jakob biss in eine Kartoffel - und spuckte die Hälfte angeekelt wieder aus, weil sie voll schwarzer Fäule war. »Und ich dachte, Mönche hätten zumindest immer gute und reichhaltige Kost auf ihrem Tisch!«