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»Ich wollte mich nur versichern, dass es Alyss auch wirklich gut geht«, erklärte der Indianer. »Bin nach der letzten Vorstellung mit einem Fährboot rüber. Dann sah ich die Leiter und einen Mann in Euer Haus einsteigen. Dachte gleich, dass da was nicht stimmt.« Dann blickte er von Sir Christopher zu Alyss. »Wenn es Euch recht ist, werde ich den Rest der Nacht das Zimmer des Mädchens bewachen.« Und weder Sir Christopher noch Alyss hatten dagegen etwas einzuwenden.

Allein und verlassen

Ende September 1619

Ned blieb spurlos verschwunden, und auch Alyss war für Jack unerreichbar. Nachdem sie das Schiff gestürmt hatten, hatte er sie im Tumult verloren und sich nicht einmal von ihr verabschiedet. Von Aurelia hatte er dann am nächsten Tag erfahren, dass der Freund ihres Vaters zurückgekehrt und sie bei ihm eingezogen war. Jetzt, wo Alyss ihren Salamander wiederhatte, würde für sie sicher alles gut werden. Sobald der Mann das Erkennungszeichen gesehen hatte, würde er ihr helfen, die bösen Verwandten zu vertreiben, und sie würde nach Hatton Hall zurückkehren. Trotzdem hätte Jack gerne selbst mit dem Mädchen gesprochen. Er war bereits mehrmals zu dem unheimlichen Haus an der Themse gegangen, aber er hatte sich nie getraut anzuklopfen. Einmal hatte er Alyss sogar gesehen. Sie war mit der Frau, die er damals im Garten beobachtet hatte, aus dem Haus getreten und die Straße entlanggelaufen. Doch bevor ihn das Mädchen entdecken konnte, war er schnell in den Hofeingang neben dem Zuckerbäcker geschlüpft. Er wollte nicht, dass Alyss ihn sah. Ihre Jungenhose hatte sie gegen einen weinroten Rock eingetauscht und sich ein gleichfarbiges Seidenband um die kurzen Locken gebunden. Sie gehörte jetzt zu den vornehmen Leuten und würde einen dahergelaufenen Taschendieb sicher keines Blickes würdigen.

Kapitän Bates war am Morgen nach der ereignisreichen Nacht überstürzt losgesegelt. Zwar hatte er seine wertvolle Fracht verloren, doch er wollte es wohl nicht riskieren, wegen Kindesdiebstahls geschnappt zu werden. Auch Master Smyth entkam ungestraft. Man konnte ihn bereits am Nachmittag des nächsten Tages in seinem Tabakladen in der Nähe von St. Pauls sehen, als wäre nichts geschehen. Moll dagegen war immer noch schlecht gelaunt. Sie gab nicht auf, wie besessen nach einem Gegenstand zu suchen, den das Äffchen angeblich geklaut hatte. Allerdings behielt sie weiterhin für sich, um was es sich dabei handelte. Nur Jack wusste, dass es um den Salamander ging, doch er würde Alyss’ Geheimnis bestimmt nicht ausplaudern.

Genau eine Woche nach dem nächtlichen Überfall änderte sich dann alles schlagartig. Jack und Tommy kamen gerade von einer Diebestour nach Hause zurück. Dem Neuen war es gelungen, einen Beutel voller Münzen zu stehlen, und er brannte darauf, Eliza und den anderen von seinem Erfolg zu berichten.

»Ich hab ...«, begann er, hielt jedoch abrupt inne.

»Was ist los?« Jack war dicht hinter ihm auf den Dachboden getreten. Maggie, Eliza, Guy und die anderen Jungs hockten mit todernsten Mienen im Kreis. Selbst Orlando, Molls Äffchen, war nicht so fröhlich wie sonst. Statt lebhaft zu schnattern, kauerte er nur stumm auf dem Kopf der Strohpuppe, die bewegungslos vom Balken hing. Wie der Affe waren auch James’ Glöckchen verstummt. Irgendetwas stimmte ganz offensichtlich nicht.

»Wo ist Moll?« Normalerweise würde die Frau nie ohne Orlando außer Haus gehen.

»Sie haben sie geschnappt und in den Knast gesteckt!«, flüsterte Eliza und rückte auf die Seite, um den beiden Jungen Platz zu machen. »Und jetzt müssen wir alle weg von hier.«

»Das muss ’n Irrtum sein. Moll hat doch mit den Kinderdieben nichts zu tun.« Jack hockte sich zwischen Maggie und Eliza.

»Deswegen haben sie sie auch gar nicht verhaftet. Sie hat versucht, ’n Richter zu bestechen, und der hat sie verpfiffen«, erklärte Maggie. »Sie haben sie heute Nachmittag festgenommen. Morgen wollen sie wiederkommen, um alle Sachen abzuholen. Der Laden soll dichtgemacht werden.«

»Und was passiert mit uns?« Für Jack und die anderen Kinder war Molls Pfandhaus seit Jahren ihr Zuhause gewesen. Auch wenn Moll eine gefuchste Schwindlerin war und sie von früh bis spät für sie klauen mussten, hatte sie den Straßenkindern ein Dach über dem Kopf geboten. Sie hatte sichergestellt, dass sie nicht in der Gosse verhungerten.

»Für uns gibt’s nur eine Möglichkeit«, verkündete Guy. »Wir müssen so schnell wie möglich von hier verduften, bevor die auf die Idee kommen, uns ins Heim zu stecken. Ich jedenfalls«, fuhr er fort und strich sich mit der Hand über die Haarstoppeln, »werde mit dem Jahrmarkt weiterziehen und mich mit Kartentricks über Wasser halten. Da sehe ich wenigstens was von der Welt.«

»Maggie und ich gehen zu Kit«, verkündete Eliza. »Er hat gesagt, dass sie ’ne Menge Platz haben. Du und Tommy, ihr könnt da sicher auch mit.«

»Das ist wirklich die beste Lösung«, ergänzte Maggie, die Jacks skeptischen Blick bemerkte. »Sie wohnen zwar nur in ’ner verfallenen Lagerhalle hinterm Fischmarkt, aber Kit hat gesagt, dass es sich dort recht gut leben lässt.«

Auch Walter, Hal und Tim hatten beschlossen, sich der Hafenbande anzuschließen.

Jack war unschlüssig. Was, wenn sein verschollener Bruder irgendwann doch wieder auftauchte. War doch logisch, dass er erst zum Pfandhaus gehen würde.

»Wir sagen einfach Rose nebenan Bescheid. Falls Ned aufkreuzt, kann sie’s ihm ausrichten«, meinte Maggie, fast als hätte sie Jacks Gedanken gelesen.

»Und ich? Kann ich wirklich mit?«, mischte sich Tommy mit weinerlicher Stimme ein. Noch vor Kurzem hocherfreut über seine Beute, befürchtete er jetzt wohl, dass die anderen ihn allein auf dem Dachboden zurücklassen würden. Er fing an, nervös an seinen Nägeln zu knabbern.

»Mach dir deswegen nicht gleich in die Hose«, beruhigte Jack den Jungen. »Ist doch keine Frage. Natürlich gehen wir mit den anderen mit.« Maggie hatte durchaus recht. Es war die beste Lösung, sich der Hafenbande anzuschließen. Falls Ned doch hier auftauchte, war er sicher klug genug, in der Nachbarschaft herumzufragen. Und die Tochter des Handschuhmachers würde ihm dann Auskunft geben, wohin es Molls Bande verschlagen hatte.

Maggie begann, gekochte Eier an die Kinder zu verteilen. Trotz aller Aufregung waren sie hungrig. Einen Augenblick lang hörte man auf dem Dachboden nur leises Pochen, als jedes Kind sein Ei aufschlug.

»Ach ja, hab’s fast vergessen«, wandte sich Guy an Jack, während er ein Stück Eierschale von seinem Zeigefinger schnippte. »Du hast heute Besuch gehabt. Deine neue Freundin war schon wieder mit dem Wilden hier. Sie wollte unbedingt mit dir sprechen.« Er steckte sich das Ei in den Mund und verschlang es mit einem Biss. Walter, der neben ihm hockte, begann grinsend, Küsschen in die Luft zu pusten. Jack ignorierte ihn.

»Alyss?«

Guy nickte. »Ja. Sie trug ’nen feinen Rock und ’n Mieder. Vor ’n paar Tagen war sie schon mal hier, aber da warst du auch nicht da.«

»Was? Wieso hast du mir das nicht gesagt?«

Guy zuckte mit den Achseln. »Bin doch nicht dein Sekretär.«

»Was hat sie gesagt?«

»Nichts Besonderes. Nur, dass sie mit dir sprechen wollte.«

Am liebsten hätte sich Jack auf den Jungen gestürzt. Doch Maggie mischte sich rechtzeitig besänftigend ein.

»Ist doch egal. Du kannst morgen zu ihr gehen und sie selber fragen«, meinte sie und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.

Doch als Jack am nächsten Morgen am Haus an der Themse anklopfte, öffnete niemand die Tür. Das Klopfen hallte im Haus wider, ansonsten blieb es still. Auch der Hintereingang zur Küche, den er von der Mauer aus gut sehen konnte, war verschlossen. Da sah er die Bäckersfrau, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite gerade frisches Gebäck auf ihrem Verkaufstisch auslegte.