Es hatte Knecht wenig Mühe gekostet, für seinen Entschluß die Zustimmung sowohl der Klosterleute wie der heimatlichen Behörde zu erlangen. Er vermochte sich noch nicht recht vorzustellen, welcher Art seine Position nach der Wiedereinreihung in die kleine Republik des Vicus Lusorum sein werde, vermutete aber, daß man ihn nicht lange in dieser Position belassen, sondern sehr bald mit irgendeinem Amte oder Auftrag beladen und ehren werde. Vorläufig freute er sich auf die Heimkehr, auf die Freunde, auf die bevorstehende Festzeit, genoß die letzten Tage des Zusammenseins mit Pater Jakobus und nahm es mit guter Haltung und Laune entgegen, daß Abt und Konvent ihn zum Abschiede noch durch manche Kundgebungen ihres Wohlwollens feierten. Dann reiste er, nicht ohne Wehmut des Abschieds von einem liebgewonnenen Ort und von einem hinter ihm zurückbleibenden Lebensabschnitt, aber durch die das Festspiel vorbereitende Folge kontemplativer Exerzitien schon festlich vorgestimmt, denen er sich zwar ohne Führung und Kameraden, aber nach dem Wortlaut der Vorschriften genauestens unterzogen hatte. Daß es ihm nicht gelungen war, den vom Magister Ludi seit langem feierlich zum Jahresspiel eingeladenen Pater Jakobus zur Annahme der Einladung und zur Mitreise zu überreden, tat dieser Stimmung keinen Abbruch, er verstand die reservierte Haltung des alten Antikastaliers, und er selbst fühlte sich so für einen Augenblick allen Pflichten und Beengungen enthoben und völlig hingabebereit an die ihn erwartende Feier.
Es ist nun mit Festlichkeiten eine eigene Sache. Ganz und gar mißglücken kann ein echtes Fest, es sei denn durch unseligen Einbruch höherer Gewalten, niemals; für den Frommen behält auch eine verregnete Prozession ihre Weihe, und auch ein verbratenes Festmahl kann ihn nicht ernüchtern, und so ist für die Glasperlenspieler jedes Jahresspiel festlich und gewissermaßen geheiligt. Dennoch gibt es, wie jeder von uns weiß, Feste und Spiele, bei welchen alles und jedes zusammenstimmt und einander hebt, beschwingt und steigert, so wie es theatralische und musikalische Aufführungen gibt, welche sich ohne deutlich erkennbare Ursache wie durch ein Wunder zu Höhepunkten und innigen Erlebnissen steigern, während andre, um nichts schlechter vorbereitete, nur eben brave Leistungen bleiben. Soweit nun das Zustandekommen jener hohen Erlebnisse im Gemütszustände des Erlebenden mitbegründet ist, wäre Josef Knecht aufs denkbar beste vorbereitet gewesen: von keiner Sorge gedrückt, mit Ehren aus der Fremde heimkehrend, sah er dem Kommenden mit freudiger Erwartung entgegen.
Es war jedoch dem Ludus sollemnis dieses Mal nicht beschieden, von jenem Hauch des Wunders gestreift zu einem besonderen Grade von Weihe und Strahlung zu gedeihen. Es wurde sogar ein unfrohes, ein ausgesprochen glückloses, ein schon beinahe mißglücktes Spiel. Mochten trotzdem viele seiner Teilnehmer sich erbaut und gehoben fühlen, so spürten, wie immer in solchem Falle, die eigentlichen Träger, Veranstalter und Verantwortlichen desto unerbittlicher jene Atmosphäre von Stumpfheit, Gnadenlosigkeit und Mißerfolg, von Hemmung und Pech, welche den Himmel dieses Festes bedrohte. Knecht, obwohl natürlich auch er es spürte und eine gewisse Enttäuschung seiner hochgespannten Erwartung erlebte, war keineswegs unter denen, welche das Mißgeschick am deutlichsten zu fühlen bekamen: ihm, der bei diesem Spiel kein Mitwirkender war und keine Mitverantwortung trug, war es möglich, in jenen Tagen, obwohl die eigentliche Blüte und Begnadung sich dem Akt versagte, als frommer Teilnehmer dem geistvoll gebauten Spiele anerkennend zu folgen, die Meditationen ungestört ausschwingen zu lassen und in dankbarer Hingabe jenes allen Gästen dieser Spiele wohlbekannte Erlebnis einer Feier und eines Opfers, einer mystischen Einswerdung der Gemeinde zu Füßen des Göttlichen in sich zu vollziehen, wie es auch ein für den engen Kreis der ganz Eingeweihten »mißglückter« Festakt zu geben vermag. Immerhin blieb auch er nicht unberührt von dem Unstern, der über dieser Feier waltete. Das Spiel selbst freilich, sein Plan und Aufbau, war ohne Tadel, wie jedes Spiel des Meisters Thomas, es war sogar eines seiner eindrücklichsten, einfachsten, unmittelbarsten. Seine Ausführung aber stand unter einem besonderen Unstern und ist in der Geschichte Waldzells noch nicht vergessen.
Als Knecht dort eintraf, eine Woche vor dem Beginn des großen Spieles, wurde er nach seiner Anmeldung im Spielerdorf nicht vom Glasperlenspielmeister empfangen, sondern von dessen Stellvertreter Bertram, der ihn höflich willkommen hieß, ihm aber ziemlich kurz und zerstreut mitteilte, der ehrwürdige Magister sei dieser Tage erkrankt und er selbst, Bertram, über Knechts Mission nicht genügend unterrichtet, um seinen Bericht entgegenzunehmen, er möge sich dieserhalb zur Ordensleitung nach Hirsland begeben, dort seine Rückkehr melden und deren Befehle erwarten. Als Knecht bei der Verabschiedung in Stimme oder Gebärde unwillkürlich eine gewisse Befremdung über die Kühle und Kürze seines Empfanges verriet, entschuldigte sich Bertram. Der Kollege möge verzeihen, wenn er ihn enttäuscht habe, er möge das Besondere der Situation verstehen: der Magister sei erkrankt, das große Jahresspiel stehe dicht vor der Tür, und noch sei es sehr ungewiß, ob der Magister es werde leiten können oder ob er, der Stellvertreter, für ihn werde einspringen müssen. Die Krankheit des Ehrwürdigen hätte auf keinen ungünstigeren und heikleren Augenblick fallen können; er sei zwar, wie jederzeit, in Bereitschaft, die Amtsgeschäfte statt des Magisters zu versehen, aber dazu noch innerhalb so kurzer Frist sich genügend auf das große Spiel vorzubereiten und dessen Leitung zu übernehmen, das würde, so fürchte er, doch über seine Kräfte gehen.
Knecht bedauerte den sichtlich niedergeschlagenen und etwas aus dem Gleichgewicht gekommenen Mann und bedauerte nicht minder, daß in dessen Händen nun vielleicht die Verantwortung für das Fest liegen solle. Er war zu lange von Waldzell fort gewesen, um zu wissen, wie begründet die Sorgen Bertrams seien, denn dieser war, was für einen Stellvertreter immer das denkbar Mißlichste ist, seit einer Weile des Vertrauens der Elite, der sogenannten Repetenten, verlustig und hatte in der Tat einen sehr schweren Stand. Mit Sorge dachte Knecht des Glasperlenspielmeisters, dieses Helden der klassischen Form und der Ironie, des vollkommenen Magisters und Kastaliers; er hatte sich darauf gefreut, von ihm empfangen, angehört und wieder in das kleine Gemeinwesen der Spieler, vielleicht auf einen Vertrauensposten, eingereiht zu werden. Von Meister Thomas das Festspiel zelebriert zu sehen, unter seinen Augen weiter zu arbeiten und um seine Anerkennung zu werben, war sein Wunsch gewesen; nun war es ihm schmerzlich und enttäuschend, ihn hinter seiner Krankheit verborgen und sich an andere Instanzen gewiesen zu finden. Es entschädigte ihn dafür allerdings das achtungsvolle Wohlwollen, ja die Kollegialität, mit der ihn der Ordenssekretär und Herr Dubois empfingen und anhörten. Er konnte auch gleich bei der ersten Aussprache feststellen, daß man ihn bei dem römischen Plan vorerst nicht weiter zu brauchen gedenke und seinen Wunsch nach dauernder Rückkehr zum Spiel respektiere; vorerst lud man ihn freundlich ein, im Gästehaus des Vicus Lusorum Wohnung zu nehmen und erst einmal sich hier wieder umzusehen und dem Jahresspiel beizuwohnen. Mit seinem Freunde Tegularius widmete er die Vortage den Fasten- und Versenkungsübungen und hat jenes eigenartige Spiel, das manchen in so wenig erfreulicher Erinnerung geblieben ist, fromm und dankbar mitgemacht.