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»Lachen? »Warum denn?«

»Weil diese Geschichte von dem Exkastalier Plinio, der sich um das Glasperlenspiel bemüht und um die Anerkennung der einstigen Kameraden, vergangen und gründlich abgetan ist, ebenso wie die von dem höflichen Repetenten Knecht, der trotz aller kastalischen Formen seine Verlegenheit vor dem hereingeschneiten Plinio so wenig zu verbergen wußte, daß sie ihm heut nach so vielen Jahren wie im Spiegel wieder vorgehalten werden konnte. Nochmals, Plinio, du hast ein gutes Gedächtnis, gut hast du erzählt, ich hätte es nicht so gekonnt. Ein Glück für uns, daß die Geschichte so ganz abgetan ist und wir über sie lachen können.«

Designori war verwirrt. Wohl spürte er die gute Laune des Magisters als etwas Angenehmes und Herzliches, von allem Spotte weit entfernt, und spürte auch, daß hinter der Heiterkeit ein großer Ernst liege, doch hatte er beim Erzählen allzu schmerzlich die Bitterkeit jenes Erlebnisses wieder gefühlt, und seine Erzählung hatte zu sehr den Charakter einer Beichte gehabt, als daß er ohne weiteres die Tonart hätte wechseln können.

»Du vergissest vielleicht doch,« sagte er zögernd, wenn auch schon halb umgestimmt, »daß das, was ich erzählte, für mich nicht dasselbe war wie für dich. Für dich war es eine Unannehmlichkeit, höchstens, für mich eine Niederlage und ein Zusammenbruch, und übrigens auch der Beginn wichtiger Änderungen in meinem Leben. Als ich damals, kaum war der Kurs zu Ende, Waldzell verließ, beschloß ich, nie hierher wiederzukehren, und war nahe daran, Kastalien und euch alle zu hassen. Ich hatte meine Illusionen verloren und eingesehen, daß ich nicht mehr zu euch gehöre, vielleicht auch früher schon nicht so ganz zu euch gehört hatte, wie ich mir einbildete, und es fehlte gar nicht viel, so wäre ich zu einem Renegaten und zu eurem ausgesprochenen Feind geworden.«

Heiter und zugleich durchdringend blickte der Freund ihn an.

»Gewiß,« sagte er, »und dies alles wirst du mir ja, so hoffe ich, nächstens auch noch erzählen. Aber für heute ist unsre Lage, so scheint mir, doch diese: wir waren in früher Jugend Freunde, wurden getrennt und gingen sehr verschiedene Wege; dann trafen wir uns wieder, das war damals bei deinem unglücklichen Ferienkurs, du warst ein halber oder ganzer Weltmensch geworden, ich ein etwas dünkelhafter und auf kastalische Formen bedachter Waldzeller, und dieses enttäuschenden und beschämenden Wiedersehens haben wir heute uns erinnert. Wir sahen uns selber und unsere damalige Verlegenheit wieder, und wir konnten den Anblick ertragen und können dazu lachen, denn es ist ja heute alles völlig anders. Ich will auch nicht verhehlen, daß der Eindruck, den du mir damals machtest, mich in der Tat in große Verlegenheit brachte, es war ein durchaus unangenehmer, negativer Eindruck, ich wußte nichts mit dir anzufangen, du erschienest mir auf eine unerwartete, bestürzende und aufreizende Weise unfertig, grob, weltlich. Ich war ein junger Kastalier, der die Welt nicht kannte und eigentlich auch nicht kennen wollte, und du, nun du warst ein junger Fremdling, von dem ich nicht recht begriff, wozu er uns aufsuchte und warum er einen Spielkurs mitmachte, denn du schienest vom Eliteschüler kaum mehr etwas an dir zu haben. Du reiztest damals meine Nerven wie ich die deinen. Ich mußte dir natürlich als hochmütiger Waldzeller ohne Verdienste erscheinen, der zwischen sich und einem Nichtkastalier und Spieldilettanten die Distanz sorgfältig zu wahren suchte. Und du wärest für mich eine Art Barbar oder Halbgebildeter, der lästige und unbegründete, sentimentale Ansprüche an mein Interesse und meine Freundschaft zu machen schien. Wir wehrten uns gegeneinander, wir waren nahe daran, einander zu hassen. Wir konnten nichts tun als auseinandergehen, weil keiner dem andern etwas zu geben hatte und keiner dem andern gerecht zu werden imstande war.

Heute aber, Plinio, durften wir die schamhaft begrabene Erinnerung daran wieder erneuern und dürfen über jene Szene und uns beide lachen, denn heut sind wir als andre und mit ganz andern Absichten und Möglichkeiten zueinander gekommen, ohne Rührseligkeiten, ohne unterdrückte Eifersuchts- und Haßgefühle, ohne Selbstdünkel, wir sind ja beide längst Männer geworden.«

Designori lächelte befreit. Doch fragte er noch: »Sind wir aber dessen auch sicher? Guten Willen haben wir ja schließlich auch damals gehabt.«

»Das will ich meinen,« lachte Knecht. »Und haben uns mit unsrem guten Willen bis zum Unerträglichen gequält und überanstrengt. Wir haben einander damals nicht leiden können, instinktiv, jedem von uns war der andre unvertraut, störend, fremd und widerlich, und nur die Einbildung einer Verpflichtung, einer Zusammengehörigkeit hat uns gezwungen, einen Abend lang diese mühsame Komödie zu spielen. Das wurde mir damals schon bald nach deinem Besuche klar. Die gewesene Freundschaft sowohl wie die gewesene Gegnerschaft war von uns beiden noch nicht recht überwunden. Statt sie sterben zu lassen, glaubten wir sie ausgraben und irgendwie fortsetzen zu müssen. Wir fühlten uns ihr verschuldet und wußten nicht, womit die Schuld zu bezahlen sei. Ist es nicht so?«

»Ich glaube,« sagte Plinio nachdenklich, »du bist auch heute noch etwas allzu höflich. Du sagst »wir beide,« aber es waren ja nicht wir beide, die einander suchten und nicht finden konnten. Das Suchen, die Liebe war ganz auf meiner Seite, und so auch die Enttäuschung und das Leid. Was hat sich denn, ich frage dich, in deinem Leben geändert nach unsrer Begegnung? Nichts! Bei mir dagegen bedeutete sie einen tiefen und schmerzlichen Einschnitt, und ich kann darum nicht in das Lachen mit einstimmen, mit dem du sie abtust.«

»Verzeih,« begütigte Knecht freundlich, »ich bin wohl voreilig gewesen. Aber ich hoffe dich mit der Zeit doch dahin zu bringen, daß du in mein Lachen einstimmst. Du hast recht, du bist damals verwundet worden, nicht durch mich zwar, wie du meintest und auch noch immer zu meinen scheinst, wohl aber durch die zwischen euch und Kastalien liegende Kluft und Entfremdung, die wir beide während unsrer Schülerfreundschaft überwunden zu haben schienen und die nun plötzlich so schrecklich breit und tief vor uns klaffte. Soweit du mir persönlich schuld gibst, bitte ich dich, deine Anklage freimütig auszusprechen.«

»Ach, eine Anklage war es nie. Wohl aber eine Klage. Du hast sie damals nicht gehört, und willst sie auch heute, wie es scheint, nicht hören. Du hast sie damals mit Lächeln und guter Haltung beantwortet und tust es heute wieder.«

Obwohl er Freundschaft und tiefes Wohlwollen im Blick des Meisters spürte, konnte er nicht aufhören, dies zu betonen; ihm war, dies lang und schmerzlich Getragene müsse nun einmal abgeworfen werden.

Knecht änderte den Ausdruck seiner Züge nicht. Er sann ein wenig, schließlich sagte er behutsam: »Ich beginne dich wohl erst jetzt zu verstehen, Freund. Vielleicht hast du recht, und es muß auch hierüber gesprochen werden. Ich möchte vorerst dich nur daran erinnern, daß du doch eigentlich nur dann das Recht hättest, ein Eingehen von mir auf das, was du deine Klage nennst, zu erwarten, wenn du diese Klage auch wirklich ausgesprochen hättest. Es war aber so, daß du bei jenem Abendgespräch im Gästehaus keineswegs Klagen äußertest, sondern du tratest, ganz wie auch ich, so forsch und tapfer wie möglich auf, du spieltest gleich mir den Tadellosen und den, der gar nichts zu klagen hat. Heimlich aber erwartetest du, wie ich jetzt höre, daß ich dennoch die heimliche Klage vernehme und hinter deiner Maske dein wahres Gesicht erkenne. Nun, etwas davon habe ich damals wohl bemerken können, wenn auch längst nicht alles. Aber wie sollte ich, ohne deinen Stolz zu verletzen, dir zu verstehen geben, daß ich Sorge um dich habe, daß ich dich bemitleide? Und was hätte es genutzt, dir die Hand hinzustrecken, da doch meine Hand leer war und ich dir nichts zu geben hatte, keinen Rat, keinen Trost, keine Freundschaft, da doch unsre Wege so völlig getrennte waren? Ja, damals war mir das verborgene Unbehagen und Unglück, das du hinter flottem Auftreten verbargst, lästig und störend, es war mir, offen gestanden, widerlich, es enthielt einen Anspruch auf Teilnahme und Mitgefühl, dem dein Auftreten nicht entsprach, es hatte etwas sich Aufdrängendes und Kindisches, so schien mir, und half meine Gefühle nur erkälten. Du erhobest Anspruch auf meine Kameradschaft, du wolltest ein Kastalier, ein Glasperlenspieler sein, und schienest dabei so unbeherrscht, so wunderlich, so an egoistische Gefühle verloren! So etwa war damals mein Urteil; denn ich sah wohl, daß von Kastallertum bei dir beinahe nichts übriggeblieben war, du hattest offenbar sogar die Grundregeln vergessen. Gut, das war nicht meine Sache. Aber warum kämest du nun nach Waldzell und wolltest uns als Kameraden begrüßen? Das war mir, wie gesagt, ärgerlich und widerlich, und du hast damals vollkommen recht gehabt, wenn du meine beflissene Höflichkeit als Ablehnung gedeutet hast. Ja, ich lehnte dich instinktiv ab, und nicht, weil du ein Weltkind warst, sondern weil du Anspruch darauf machtest, als Kastalier zu gelten. Als du dann nach so vielen Jahren neulich wieder auftauchtest, war nichts mehr davon an dir zu spüren, du sahest weltlich aus und sprachest wie einer von draußen, und besonders fremd berührte mich der Ausdruck von Trauer, Kummer oder Unglück in deinem Gesicht; aber alles, deine Haltung, deine Worte, sogar noch deine Traurigkeit, gefiel mir, war schön, paßte zu dir, war deiner würdig, nichts daran störte mich, ich konnte dich annehmen und bejahen ohne jeden inneren Widerspruch, es bedurfte dieses Mal keines Übermaßes an Höflichkeit und Haltung, und so bin ich dir denn sogleich als Freund entgegengekommen und habe mich bestrebt, dir meine Liebe und Teilnahme zu zeigen. Diesmal war es ja eher umgekehrt als einstmals, diesmal war es eher so, daß ich mich um dich bemühte und um dich warb, während du dich sehr zurückhieltest, nur nahm ich freilich stillschweigend dein Erscheinen in unsrer Provinz und dein Interesse für deren Geschicke als eine Art von Bekenntnis der Anhänglichkeit und Treue. Nun, und schließlich gingest du ja auch auf mein Werben ein, und wir sind so weit, daß wir uns einer dem andern eröffnen und, so hoffe ich, unsre alte Freundschaft erneuern können.