Was nun unsre eigene, kastalische Heiterkeit betrifft, so mag sie nur eine späte und kleine Abart dieser großen sein, aber sie ist eine durchaus legitime. Die Gelehrsamkeit ist nicht immer und überall heiter gewesen, obwohl sie es sein sollte. Bei uns ist sie, der Kult der Wahrheit, eng mit dem Kult des Schönen verknüpft und außerdem mit der meditativen Seelenpflege, kann also nie die Heiterkeit ganz verlieren. Unser Glasperlenspiel aber vereinigt in sich alle drei Prinzipien: Wissenschaft, Verehrung des Schönen und Meditation, und so sollte ein rechter Glasperlenspieler von Heiterkeit durchtränkt sein wie eine reife Frucht von ihrem süßen Saft, er sollte vor allem die Heiterkeit der Musik in sich haben, die ja nichts anderes ist als Tapferkeit, als ein heiteres, lächelndes Schreiten und Tanzen mitten durch die Schrecken und Flammen der Welt, festliches Darbringen eines Opfers. Um diese Art der Heiterkeit war es mir zu tun, seit ich sie als Schüler und Student ahnend zu verstehen begann, und ich werde sie nicht mehr preisgeben, auch nicht im Unglück und Leid.
Wir gehen jetzt schlafen, und morgen früh reisest du. Komm bald wieder, erzähle mir mehr von dir, und auch ich werde dir erzählen, du wirst erfahren, daß es auch in Waldzell und im Leben eines Magisters Fragwürdigkeiten, Enttäuschungen, ja Verzweiflungen und Dämonien gibt. Jetzt aber sollst du in den Schlaf noch ein Ohr voll Musik mitnehmen. Der Blick in den Sternenhimmel und ein Ohr voll Musik vor dem Zubettgehen, das ist besser als alle deine Schlafmittel.« Er setzte sich und spielte behutsam, ganz leise, einen Satz aus jener Sonate von Purcell, einem Lieblingsstück des Paters Jakobus. Wie Tropfen goldenen Lichtes fielen die Töne in die Stille, so leise, daß man dazwischen noch den Gesang des alten laufenden Brunnens im Hofe hören konnte. Sanft und streng, sparsam und süß begegneten und verschränkten sich die Stimmen der holden Musik, tapfer und heiter schritten sie ihren innigen Reigen durch das Nichts der Zeit und Vergänglichkeit, machten den Raum und die Nachtstunde für die kleine Weile ihrer Dauer weit und weltgroß, und als Josef Knecht seinen Gast verabschiedete, hatte dieser ein verändertes und erhelltes Gesicht, und zugleich Tränen in den Augen.
Vorbereitungen
Es war Knecht gelungen, das Eis zu brechen, ein lebendiger und für beide erfrischender Verkehr und Austausch begann zwischen ihm und Designori. Dieser Mann, der seit langen Jahren in resignierender Melancholie gelebt hatte, mußte seinem Freunde recht geben: es war in der Tat die Sehnsucht nach Heilung, nach Helligkeit, nach kastalischer Heiterkeit gewesen, was ihn nach der pädagogischen Provinz zurückgezogen hatte. Er kam nun des öfteren auch ohne Kommission und Amtsgeschäfte, von Tegularius mit eifersüchtigem Mißtrauen beobachtet, und bald wußte Magister Knecht über ihn und sein Leben alles, was er brauchte. Designoris Leben war nicht so außerordentlich und war nicht so kompliziert gewesen, wie Knecht nach dessen ersten Enthüllungen vermutet hatte. Plinio hatte in der Jugend die uns schon bekannte Enttäuschung und Demütigung seines enthusiastischen und tatendurstigen Wesens erlitten, er war zwischen Welt und Kastalien nicht zum Mittler und Versöhner, sondern zum vereinsamten und vergrämten Außenseiter geworden und hatte eine Synthese aus den weltlichen und den kastalischen Bestandteilen seiner Herkunft und seines Charakters nicht zustande gebracht. Und doch war er nicht einfach ein Gescheiterter, sondern hatte im Unterliegen und Verzichten trotz allem ein eigenes Gesicht und ein besonderes Schicksal erworben. Die Erziehung in Kastalien schien sich an ihm durchaus nicht zu bewähren, wenigstens brachte sie ihm vorerst nichts als Konflikte und Enttäuschungen und eine tiefe, seiner Natur schwer erträgliche Vereinzelung und Vereinsamung. Und es schien, als müsse er, nun einmal auf diesen dornenvollen Weg der Vereinzelten und Nichtangepaßten geraten, auch selber noch allerlei tun, um sich abzusondern und seine Schwierigkeiten zu vergrößern. Namentlich brachte er sich schon als Student in unversöhnlichen Gegensatz zu seiner Familie, seinem Vater vor allem. Dieser war, wenn auch in der Politik nicht zu den eigentlichen Führern zählend, doch gleich allen Designoris sein Leben lang eine Stütze der konservativen, regierungstreuen Politik und Partei gewesen, ein Feind aller Neuerungen, ein Gegner aller Ansprüche der Benachteiligten auf Rechte und Anteile, mißtrauisch gegen Menschen ohne Namen und Rang, treu und opferbereit für die alte Ordnung, für alles, was ihm legitim und geheiligt erschien. So war er, ohne doch religiöse Bedürfnisse zu haben, ein Freund der Kirche und sperrte sich, obwohl es ihm an Gerechtigkeitssinn, an Wohlwollen und Bereitwilligkeit zum Wohltun und Helfen durchaus nicht fehlte, hartnäckig und grundsätzlich gegen die Bestrebungen der Landpächter zur Verbesserung ihrer Lage. Er rechtfertigte diese Härte scheinlogisch mit den Programm- und Schlagworten seiner Partei, in Wirklichkeit leitete ihn freilich nicht Überzeugung und Einsicht, sondern blinde Gefolgstreue seinen Standesgenossen und den Traditionen seines Hauses gegenüber, wie denn eine gewisse Ritterlichkeit und Ritterehre und eine betonte Geringschätzung dessen, was sich als modern, fortschrittlich und zeitgemäß gab, für seinen Charakter bezeichnend waren.