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»Nun,« rief Tito, »und würden Sie ihm nicht recht geben, wenn er es täte?«

»Ich möchte mich nicht zu seinem Richter machen, junger Herr. Wenn ein späterer Designori sich der Größe seines Geschlechts und der Verpflichtung besinnt, die ihm damit ins Leben mitgegeben ist, wenn er der Stadt, dem Staat, dem Volk, dem Recht, der Wohlfahrt mit seinen Kräften dient und daran so stark wird, daß er nebenher auch die Rückerwerbung des Hauses fertigbringt, dann ist er ein respektabler Mann, und wir wollen den Hut vor ihm abnehmen. Wenn er aber kein anderes Ziel im Leben kennt als diese Hausgeschichte, dann ist er eben nichts als ein Besessener und Verliebter, ein Mann der Leidenschaft, höchst wahrscheinlich einer, der solche jugendlichen Vaterkonflikte nie in ihrem Sinn erkannt und sie zeitlebens, auch noch als Mann, mit sich herumgeschleppt hat. Wir können ihn verstehen, auch bedauern, aber den Ruhm seines Hauses wird er nicht vermehren. Es ist schön, wenn eine alte Familie an ihrem Hause mit Liebe hängt, aber Verjüngung und neue Größe kommen ihr immer nur davon, daß ihre Söhne größeren Zielen als denen der Familie dienen.«

Wenn bei diesem Spaziergange Tito dem Gast seines Vaters aufmerksam und ziemlich willig zuhörte, so zeigte er ihm bei anderen Anlässen doch wieder Ablehnung und Trotz, er witterte in dem Mann, auf den seine beiden sonst so uneinigen Eltern so viel zu halten schienen, eine Macht, die seiner eigenen verwöhnten Ungebundenheit gefährlich werden könnte, und zeigte sich gelegentlich ausgesprochen unartig; freilich folgte darauf jedesmal ein Bedauern und Gutmachenwollen, denn es kränkte sein Selbstgefühl, sich vor der heitern Höflichkeit, die den Magister wie ein blanker Panzer umgab, eine Blöße gegeben zu haben. Und insgeheim spürte er auch in seinem unerfahrenen und ein wenig verwilderten Herzen, daß dies ein Mann sei, den man vielleicht sehr lieben und verehren könnte.

Er spürte dies besonders in einer halben Stunde, da er Knecht allein und auf den von Geschäften festgehaltenen Vater wartend angetroffen hatte. Bei seinem Eintritt in das Zimmer sah Tito den Gast mit halbgeschlossenen Augen regungslos in einer statuenhaften Haltung sitzen, Stille und Ruhe ausstrahlend in einer Versenkung, so daß der Knabe unwillkürlich seine Schritte leise machte und auf Zehenspitzen wieder hinausschleichen wollte. Aber da schlug der Sitzende die Augen auf, grüßte ihn freundlich, erhob sich, deutete auf ein Klavier, das im Zimmer stand, und fragte ihn, ob er Freude an der Musik habe.

Ja, sagte Tito, er habe zwar schon längere Zeit keine Musikstunden mehr und auch nie mehr geübt, denn er stehe in der Schule nicht glänzend und werde dort von den Paukern genügend geplagt, aber Musik zu hören sei ihm immer ein Vergnügen gewesen. Knecht öffnete das Klavier, setzte sich davor, stellte fest, daß es gestimmt sei, und spielte einen Andantesatz von Scarlatti, den er dieser Tage einer Glasperlenspielübung zugrunde gelegt hatte. Dann hielt er inne, und da er den Knaben aufmerksam und hingegeben fand, begann er ihm in kurzen Worten zu erklären, was in einer solchen Glasperlenspielübung ungefähr vor sich gehe, zerlegte die Musik in ihre Glieder, zeigte einige der Arten von Analyse auf, die man auf sie anwenden könne, und deutete die Wege zur Übersetzung der Musik in die Spiel-Hieroglyphen an. Zum erstenmal sah Tito den Meister nicht als Gast, nicht als eine gelehrte Berühmtheit, die er ablehnte, weil sie sein Selbstgefühl drückte, sondern sah ihn bei seiner Arbeit, einen Mann, der eine sehr subtile und genaue Kunst gelernt hat und als Meister ausübt, eine Kunst, deren Sinn Tito zwar nur ahnen konnte, die aber einen ganzen Mann und seine Hingabe zu fordern schien. Auch tat es seiner Selbstachtung wohl, daß man ihn für erwachsen und gescheit genug nahm, um ihn für diese verwickelten Dinge zu interessieren. Er wurde still und begann in dieser halben Stunde zu ahnen, aus welchen Quellen die Heiterkeit und sichere Ruhe dieses merkwürdigen Mannes komme.

Knechts amtliche Tätigkeit war in dieser letzten Zeit beinahe so intensiv wie einst in der schwierigen Zeit seiner Amtsübernahme. Ihm lag daran, alle Ressorts seiner Verpflichtungen in einem musterhaften Zustande zu hinterlassen. Dies Ziel hat er auch erreicht, wennschon er das mitgemeinte Ziel verfehlte, seine Person als entbehrlich oder doch leicht ersetzbar erscheinen zu lassen. Es ist ja bei unseren höchsten Ämtern beinahe immer so: der Magister schwebt, beinahe nur wie ein oberstes Schmuckstück, eine blanke Insignie, über dem komplizierten Vielerlei seines Amtsbereiches; er kommt und geht rasch, leicht wie ein freundlicher Geist, sagt zwei Worte, nickt ein Ja, deutet einen Auftrag durch eine Gebärde an und ist schon fort, schon beim Nächsten, er spielt auf seinem Amtsapparat wie ein Musikant auf seinem Instrument, scheint keine Kraft und kaum ein Nachdenken zu brauchen, und alles läuft, wie es laufen soll. Aber jeder Beamte in diesem Apparat weiß, was es heißen will, wenn der Magister verreist oder krank ist, was es heißt, auch nur für Stunden oder für einen Tag ihn zu ersetzen! Während Knecht noch einmal den ganzen Kleinstaat des Vicus Lusorum prüfend durchlief und namentlich alle Sorgfalt darauf verwandte, seinen »Schatten« unauffällig der Aufgabe entgegenzuführen, ihn nächstens allen Ernstes zu vertreten, konnte er zugleich feststellen, wie sein Innerstes sich schon von alledem gelöst und entfernt hatte, wie die ganze Kostbarkeit dieser wohldurchdachten kleinen Welt ihn nicht mehr beglückte und fesselte. Er sah Waldzell und sein Magisteramt schon beinahe wie etwas hinter ihm Liegendes an, einen Bezirk, den er durchschritten, der ihm vieles gegeben und ihn vieles gelehrt hatte, der aber nun keine neuen Kräfte und Taten mehr aus ihm locken konnte. Mehr und mehr auch wurde ihm in der Zeit dieses langsamen Sichlösens und Abschiednehmens klar, daß der eigentliche Grund seines Fremdwerdens und Fortwollens wohl nicht das Wissen um die für Kastalien bestehenden Gefahren und die Sorge um dessen Zukunft sei, sondern daß es einfach ein leer und unbeschäftigt gebliebenes Stück seiner selbst, seines Herzens, seiner Seele sei, das nun sein Recht begehrte und sich erfüllen wollte.