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Fjodr Michailowitsch Dostojewski

Das Gut Stepantschikowo und seine Bewohner

Erster Teil

I

Der Einzug

Mein Onkel, der Oberst Jegor Iljitsch Rostanew, siedelte, als er den Abschied genommen hatte, nach dem Gute Stepantschikowo über, das ihm durch Erbschaft zugefallen war, und führte dort ein Leben, als wäre er von jeher Gutsbesitzer gewesen und hätte seine Besitzungen niemals verlassen. Es gibt Naturen, die schlechthin mit allen zufrieden sind und sich an alles gewöhnen; und von der Art war gerade die Natur dieses Obersten a. D. Man konnte sich schwerlich einen Menschen vorstellen, der friedlicher gewesen wäre und sich williger zu allem hätte bereit finden lassen. Wäre jemand auf den Einfall gekommen, ihn allen Ernstes zu bitten, er möchte irgendeinen Menschen ein paar Werst weit auf seinen Schultern tragen, so hätte er das wahrscheinlich getan: er war so gutmütig, daß es ihm nicht darauf ankam, geradezu alles auf die erste Bitte hin wegzugeben, und selbst sein letztes Hemd würde er dem ersten besten, der ihn darum ersucht hätte, geschenkt haben. In seiner äußeren Erscheinung hatte er etwas Reckenhaftes: er war groß und schlank, ebenmäßig, hatte rote Backen, Zähne von der Weiße des Elfenbeins, einen langen, dunkelblonden Schnurrbart und dazu eine laute, klangvolle Stimme sowie ein herzliches, dröhnendes Lachen; er redete in abgehackten Sätzen und sehr schnell. Er war zur Zeit seiner Übersiedelung etwa vierzig Jahre alt und seit seinem sechzehnten Lebensjahr immer Husar gewesen. Er hatte sehr jung geheiratet; seine Frau hatte er grenzenlos geliebt; aber sie war gestorben und hatte in seinem Herzen eine unauslöschliche gute Erinnerung hinterlassen. Als er dann schließlich das Gut Stepantschikowo geerbt hatte und sein Vermögen dadurch auf sechshundert Seelen gestiegen war, quittierte er den Dienst und zog wie gesagt aufs Land, und zwar mit seinen Kindern, dem achtjährigen Ilja, dessen Geburt die Mutter das Leben gekostet hatte, und der älteren Tochter, der fünfzehnjährigen Saschenka, die seit dem Tode der Mutter in einer Moskauer Pension erzogen worden war. Aber bald bekam das Haus meines Onkels eine große Ähnlichkeit mit der Arche Noah. Und das ging folgendermaßen zu.

Zu der Zeit, als er die Erbschaft machte und den Abschied nahm, wurde seine Mama, die in zweiter Ehe einen General Krachotkin geheiratet hatte, wieder Witwe. Sie hatte den General vor ungefähr sechzehn Jahren geheiratet, damals, als der Onkel noch Kornett war, sich aber auch selbst schon mit Heiratsabsichten trug. Seine Mama verweigerte ihm lange ihren Segen zu seiner Heirat, vergoß bittere Tränen und beschuldigte ihn des Egoismus, der Undankbarkeit und der Respektlosigkeit; sie suchte ihm zu beweisen, daß sein Gut, das sich auf zweihundertfünfzig Seelen belief, auch so schon kaum zum Unterhalt seiner Familie ausreichte (das heißt zum Unterhalt seiner Mama mit ihrer ganzen Suite von armen Klientinnen, Möpsen, Spitzen, chinesischen Katzen und so weiter), und mitten in diesen Vorwürfen, Scheltreden und Klageliedern ging sie selbst auf einmal ganz unerwartet noch vor der Heirat ihres Sohnes eine neue Ehe ein, obgleich sie schon zweiundvierzig Jahre alt war. Übrigens fand sie auch dabei einen Grund, meinen armen Onkel zu beschuldigen, indem sie beteuerte, sie heirate einzig und allein, um für ihre alten Tage ein Obdach zu haben; denn dieser respektlose Egoist, ihr Sohn, versage ihr ein solches, indem er auf den unverzeihlich dreisten Einfall gekommen sei, einen eigenen Hausstand zu gründen.

Ich habe nie den wahren Grund ausfindig machen können, der einen allem Anscheine nach so klugen Menschen wie den verstorbenen General Krachotkin, zu dieser Heirat mit der zweiundvierzigjährigen Witwe hat veranlassen können. Ich muß annehmen, daß er Geld bei ihr voraussetzte. Andere meinten, er habe einfach eine Pflegerin gebraucht, da er schon damals jenes ganze Heer von Krankheiten geahnt habe, das ihn später auf seine alten Tage überfiel. Nur soviel steht fest, daß der General seine Frau während ihres ganzen Zusammenlebens sehr respektlos behandelte und bei jeder geeigneten Gelegenheit über sie lachte und spottete. Er war ein eigentümlicher Mensch. Nur halbgebildet, aber durchaus nicht dumm, hegte er gegen alle und jeden eine entschiedene Geringschätzung, hatte keine Grundsätze machte sich über alles und über alle lustig und wurde im Alter infolge der Krankheiten, die er sich durch seinen nicht sehr korrekten und redlichen Lebenswandel zugezogen hatte, boshaft, reizbar und unbarmherzig. Er hatte eine gute Karriere gemacht, sah sich aber genötigt, wegen eines unangenehmen Vorfalls in recht mißlicher Weise den Abschied zu nehmen, wobei er nur mit knapper Not einem gerichtlichen Verfahren entging und seine Pension verlor. Das erbitterte ihn nun endgültig. Fast ohne alle Mittel, da er nur gegen hundert wirtschaftlich ruinierte Leibeigene besaß, legte er die Hände in den Schoß und kümmerte sich während seines ganzen übrigen Lebens, das heißt ganze zwölf Jahre lang, nicht darum, wovon er lebe und wer die Kosten seines Unterhaltes bestreite; trotzdem aber beanspruchte er allen möglichen Komfort, schränkte seine Ausgaben nicht ein, hielt sich eine Equipage und so weiter. Bald danach wurde er an den Beinen gelähmt und saß die letzten zehn Jahre lang in einem bequemen Lehnstuhl, der, sobald er es, wünschte, von zwei baumlangen Lakaien geschaukelt wurde, die aber von ihm nie etwas anderes als die mannigfaltigsten Schimpfworte zu hören bekamen. Die Equipage, die Lakaien und den Lehnstuhl bezahlte der respektlose Sohn, der seiner Mutter das Letzte, was er hatte, schickte, sein Gut übermäßig mit Hypotheken belastete, sich das Notwendigste versagte und sich in Schulden stürzte, von denen kaum abzusehen war, wie er sie bei seinem damaligen Vermögen jemals werde bezahlen können; aber dennoch hafteten ihm die Bezeichnungen als Egoist und als undankbarer Sohn unverrückbar an. Aber der Onkel hatte einen solchen Charakter, daß er schließlich selbst glaubte, er sei ein Egoist, und, um sich zu bestrafen und kein Egoist zu sein, immer mehr Geld schickte. Die Generalin vergötterte ihren Mann; am meisten gefiel ihr übrigens an ihm, daß er General und sie infolgedessen Generalin war.

Im Hause hatte sie ihre eigene besondere Wohnung inne, wo sie während der ganzen Zeit der Halbexistenz ihres Mannes in der Gesellschaft ihrer schmarotzenden Klientinnen, der städtischen Neuigkeitskrämerinnen und ihrer Busenfreundinnen, ein ganz behagliches Dasein führte. In ihrem Städtchen war sie eine wichtige Persönlichkeit. Klatschereien, Einladungen zu Taufen und Hochzeiten, Preference um eine Kopeke den Point und der allgemeine Respekt, den man ihrem Range als Generalin entgegenbrachte, entschädigten sie vollkommen für das häusliche Ungemach. Es stellten sich bei ihr sämtliche Klatschbasen der Stadt mit ihren Berichten ein; immer und überall überließ man ihr den ersten Platz, – kurz, sie zog aus ihrer Stellung als Generalin allen Vorteil, der sich nur daraus ziehen ließ. Der General mischte sich in all das nicht ein; aber dafür machte er sich in Gegenwart anderer Leute ungeniert über seine Frau lustig, warf zum Beispiel Fragen von dieser Art auf: wie er eigentlich dazu gekommen sei, eine »solche Betschwester« zu heiraten; und niemand wagte es, ihm zu widersprechen. Allmählich aber zogen sich alle Bekannten von ihm zurück, und dabei war ihm Gesellschaft unentbehrlich: er liebte es, zu plaudern und zu disputieren, und hatte gern ständig einen Zuhörer vor sich sitzen. Er war ein Freigeist und Atheist von altem Schlag und disputierte deshalb auch gern über höhere Gegenstände.

Aber die Einwohner des Städtchens N. fanden an höheren Gegenständen keinen Geschmack, und so wurden denn die Zuhörer des Generals immer spärlicher. Er machte den Versuch, regelmäßig Whist- und Préférencepartien mit seinen Hausgenossinnen einzurichten; aber das Spiel endete gewöhnlich mit solchen Wutanfällen des Generals, daß die Generalin und ihre Parasitinnen in ihrer Angst Kerzen vor dem Altar in der Kirche aufstellten, Messen lesen ließen, aus den Bohnen und den Karten die Zukunft zu erfahren suchten, Weißbrot im Gefängnis verteilten und mit Zittern und Beben der Zeit nach dem Mittagessen entgegensahen, wo sie sich wieder zum Whist- oder Préférencespielen hinsetzen und sich für jeden Fehler anschreien, ausschimpfen und beinahe prügeln lassen mußten. Denn wenn dem General etwas nicht gefiel, so legte er sich vor keinem Menschen Zwang auf: er kreischte wie ein Weib und fluchte wie ein Kutscher; ja manchmal, wenn er die Karten zerrissen und auf den Fußboden geworfen und seine Partnerinnen weggejagt hatte, weinte er sogar vor Ärger und Wut, einzig und allein um eines Buben willen, den jemand statt einer Neun abgeworfen hatte. Zuletzt bedurfte er wegen zunehmender Augenschwäche eines Vorlesers. Da erschien Foma Fomitsch Opiskin auf dem Plane.