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»Wie würde Ihnen zumute sein«, sagte Foma, »wenn Ihre eigene Mutter, sozusagen die Urheberin Ihrer Tage, den Bettelstab in die Hand nähme und, mit ihren zitternden, vom Hunger ausgemergelten Händen auf ihn gestützt, wirklich anfinge um Almosen zu bitten? Wäre das nicht etwas ganz Ungeheuerliches, erstens im Hinblick auf ihren Rang als Generalin und zweitens im Hinblick auf ihre Tugenden? Wie würde Ihnen zumute sein, wenn sie auf einmal (selbstverständlich nur aus Versehen; aber es läge ja doch im Bereiche des Möglichen) unter Ihre eigenen Fenster käme und ihre Hand ausstreckte, während Sie, ihr leiblicher Sohn, vielleicht in demselben Augenblicke in einem Daunenbette und... und... nun überhaupt im Luxus versinken? Schrecklich, schrecklich! Aber das Allerschrecklichste (gestatten Sie, daß ich offenherzig mit Ihnen rede, Oberst!), das Allerschrecklichste ist doch dies, daß Sie jetzt wie ein gefühlloser Pfahl vor mir dastehen, den Mund aufsperren und mit den Augen klappern (was sogar unschicklich ist), während Sie schon bei der bloßen Vorstellung eines solchen Falles sich die Haare mit den Wurzeln aus dem Kopfe reißen und Bäche – was sage ich! – Ströme, Seen, Meere, Ozeane von Tränen vergießen müßten...«

Kurz, vor übermäßigem Eifer verstieg sich Foma zu Übertreibungen. Aber das war der gewöhnliche Ausgang seiner Schönrednerei. Selbstverständlich endete die Sache damit, daß die Generalin nebst ihren armen Klientinnen und ihren Hunden sowie nebst Foma Fomitsch und Fräulein Perepelizyna, ihrer engsten Busenfreundin, schließlich doch Stepantschikowo mit ihrer Gegenwart beglückte. Sie sagte, sie wolle nur den Versuch machen, bei ihrem Sohne zu wohnen, und ihn zunächst nur auf die Probe stellen, ob er sich auch respektvoll gegen sie benehme. Man kann sich die Situation des Obersts vorstellen, während er so auf die Probe gestellt wurde! Anfangs hielt es die Generalin in Anbetracht dessen, daß sie eben erst Witwe geworden war, für ihre Pflicht, zwei- oder dreimal in der Woche bei der Erinnerung an ihren unwiederbringlich verlorenen General in Verzweiflung zu geraten, wobei sie aus nicht recht verständlichem Grunde ausnahmslos jedesmal den Oberst gehörig ausschalt. Manchmal, namentlich wenn Besuch da war, rief sie ihren Enkel, den kleinen Ilja, und die fünfzehnjährige Alexandra, ihre Enkelin, zu sich, setzte sie neben sich, sah sie lange, lange mit traurigen, schmerzerfüllten Blicken an, als bedauere sie die Kinder, die bei einem solchen Vater zugrunde gehen müßten, seufzte tief und schwer und brach dann, ohne ein Wort zu sagen, in geheimnisvolle Tränen aus, was mindestens eine ganze Stunde lang dauerte. Wehe dem Oberst, wenn er diese Tränen nicht zu begreifen vermochte! Und er, der Ärmste, vermochte sie fast nie zu begreifen, kam durch die Tücke des Zufalls in seiner Harmlosigkeit fast jedesmal zu diesen Tränenergüssen hinzu und mußte sich dann, er mochte wollen oder nicht, einem Examen unterwerfen. Aber das Respektvolle seines Benehmens verminderte sich nicht, sondern reichte vielmehr schließlich den denkbar höchsten Grad. Kurz, beide, sowohl die Generalin wie Foma Fomitsch, hatten vollständig die Empfindung, daß die Gewitterwolke, die so viele Jahre lang in der Gestalt des Generals Krachotkin drohend über ihnen gestanden hatte, nun vorübergezogen sei und nie mehr zurückkehren werde. Manchmal ließ sich die Generalin plötzlich ohne jeden äußeren Anlaß auf das Sofa sinken und fiel in Ohnmacht. Alles rannte dann hin und her und geriet in hastige Tätigkeit. Der Oberst war ganz fassungslos und zitterte wie Espenlaub.

»Grausamer Sohn!« schrie die Generalin, wenn sie wieder zu sich kam. »Du zerreißt mein Innerstes... mes entrailles, mes entrailles!« »Aber wodurch zerreiße ich denn Ihr Innerstes, liebe Mama?« erwiderte der Oberst schüchtern. »Du hast es zerrissen! Du hast es zerrissen! Er will sich noch rechtfertigen! Er wird grob. Grausamer Sohn! Ich sterbe...« Der Oberst war natürlich ganz niedergeschmettert.

Aber merkwürdigerweise wurde die Generalin, statt zu sterben, immer wieder lebendig. Eine halbe Stunde darauf sagte dann wohl der Oberst zu einem Bekannten, den er beim Knopfe faßte: »Na, siehst du, lieber Freund, sie ist eben eine grande dame, eine Generalin! Sie ist eine herzensgute alte Dame; aber, weißt du, sie ist an all dieses feine Wesen gewöhnt... und ich Tölpel passe nicht zu ihr! Jetzt ist sie böse auf mich. Gewiß, ich habe mich schuldig gemacht. Allerdings weiß ich immer noch nicht, lieber Freund, was ich eigentlich begangen habe; aber gewiß, ich werde mich schon schuldig gemacht haben...«

Es kam auch vor, daß Fräulein Perepelizyna es für ihre Pflicht hielt, dem Oberst die Leviten zu lesen. Sie war ein schon überreifes Mädchen, das jeden Menschen anzischte, ohne Augenbrauen, mit einer falschen Haartour, mit kleinen, giftig blickenden Augen und fadendünnen Lippen; die Hände pflegte sie sich mit Gurkenlake zu waschen.

»Das kommt daher, daß Sie sich so respektlos benehmen«, sagte sie. »Das kommt daher, daß Sie ein Egoist sind, daher, daß Sie Ihre Mama beleidigen; sie ist daran nicht gewöhnt. Sie ist eine Generalin, während Sie nur Oberst sind.« »Das ist Fräulein Perepelizyna, lieber Freund«, sagte dann wohl der Oberst erklärend zu seinem Zuhörer, »ein ganz vortreffliches Mädchen, Mamas warme Verteidigerin! Ein Mädchen, wie man es selten findet! Glaube nicht, daß sie hier nur so herumschmarotzt; nein, lieber Freund, sie ist selbst die Tochter eines Oberstleutnants. Ja, so ist das!«

Aber selbstverständlich waren das nur erst die Blüten, aus denen sich später Früchte entwickeln sollten. Dieselbe Generalin, die sich darauf verstand, ihrem Sohne so mancherlei schreckliche Szenen zu bereiten, zitterte ihrerseits wie ein Mäuschen vor dem früheren Spaßmacher des Generals. Foma Fomitsch hatte sie vollständig in seinen Bann gebracht. Sie hatte ihm gegenüber keinen eigenen Willen, hörte mit seinen Ohren, sah mit seinen Augen. Ein Vetter dritten Grades von mir, ebenfalls ein verabschiedeter Husar, ein noch junger Mensch, der aber sein ganzes Vermögen durchgebracht hatte, tief in Schulden steckte und nun eine Zeitlang bei meinem Onkel wohnte, dieser sprach sich mir gegenüber geradezu dahin aus, nach seiner festen Überzeugung stehe die Generalin mit Foma Fomitsch in unerlaubten Beziehungen. Natürlich wies ich damals diese Vermutung als gar zu grob und plump voller Entrüstung zurück. Nein, da lag etwas anderes vor, und was dies war, das kann ich nur dadurch deutlich machen, daß ich im voraus dem Leser Foma Fomitschs Charakter so klarlege, wie ich ihn selbst in der Folge erkannt habe.

Man stelle sich einen ganz unbedeutenden, kleinmütigen Menschen vor, eine Art Fehlgeburt der Gesellschaft, einen Menschen, den niemand zu etwas gebrauchen kann, der völlig unnütz und widerwärtig ist, aber ein grenzenloses Selbstbewußtsein besitzt, jedoch ohne die geringste Begabung, durch die er sein krankhaft gereiztes Selbstbewußtsein auch nur irgendwie rechtfertigen könnte. Ich sage gleich von vornherein: Foma Fomitsch ist eine Verkörperung des grenzenlosesten Selbstbewußtseins, aber zugleich eines besonderen Selbstbewußtseins, nämlich eines Selbstbewußtseins, das mit vollkommener Wertlosigkeit verbunden ist, das, wie es unter solchen Umständen gewöhnlich der Fall ist, viele Kränkungen erlitten hat, durch schwere frühere Mißerfolge niedergebeugt ist, schon seit langer Zeit eitert und schwärt und seitdem bei jeder Begegnung, bei jedem fremden Erfolge, Neid und Gift heraustreten läßt. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß all dies mit einer häßlichen Empfindlichkeit, mit einem ganz verrückten Mißtrauen gepaart ist. Vielleicht fragt jemand: woher stammt ein solches Selbstbewußtsein? Wie kann es bei so vollständiger Wertlosigkeit, in solch kläglichen Menschen entstehen, die schon vermöge ihrer gesellschaftlichen Stellung wissen müßten, auf welchen Platz sie gehören? Was soll man auf diese Frage antworten? Wer weiß, vielleicht gibt es auch Ausnahmen, zu denen auch mein Held gehört. Und er ist tatsächlich eine Ausnahme von der Regel, wie sich das auch in der Folge herausstellen wird. Aber gestatten Sie die Frage: Sind Sie wirklich davon überzeugt, daß diejenigen, die sich schon vollständig darein ergeben haben und es als eine Ehre und ein Glück für sich ansehen, Ihre Spaßmacher, Ihre Gnadenbrotempfänger und Parasiten zu sein – sind Sie wirklich davon überzeugt, daß die schon vollständig auf jedes Selbstbewußtsein verzichtet haben? Aber der Neid, die Klatscherei, die Verleumdung, die Denunziationen, das geheime Zischeln in den Hinterzimmern Ihres eigenen Hauses, irgendwo ganz in der Nähe, an Ihrem eigenen Tisch? Wer weiß, vielleicht wird bei manchen dieser vom Schicksal erniedrigten Vagabunden, Ihrer Spaßmacher und Hansnarren, das Selbstbewußtsein durch die Erniedrigung nicht etwa ertötet, sondern vielmehr gerade durch diese Erniedrigung, durch die Stellung als Hansnarren und Spaßmacher, durch das Schmarotzertum, durch die stete notgedrungene Unterordnung und Unselbständigkeit noch mehr entflammt. Wer weiß, vielleicht ist dieses unförmig aufgeschossene Selbstbewußtsein nichts anderes als ein falsches, von vornherein verzerrtes Gefühl der eigenen Würde, die vielleicht schon in der Kindheit zum ersten Mal durch Bedrückung, Armut, Schmutz und Geringschätzung beleidigt wurde, vielleicht schon in der Person der Eltern des zukünftigen Vagabunden, vor seinen eigenen Augen? Aber ich habe gesagt, daß Foma Fomitsch überdies auch noch eine Ausnahme von der allgemeinen Regel bilde. Und das ist richtig. Er war früher einmal Schriftsteller gewesen, hatte keine Anerkennung gefunden, und das hatte ihn verbittert; denn die Schriftstellerei ist imstande, noch ganz andere Leute als Foma Fomitsch zugrunde zu richten, selbstverständlich dadurch, daß ihnen keine Anerkennung zuteil wird. Ich weiß es zwar nicht, muß aber vermuten, daß Foma Fomitsch auch schon vor seiner schriftstellerischen Tätigkeit Mißgeschick gehabt hatte; vielleicht hatte er auch auf anderen Laufbahnen statt des erhofften Lohnes nur Nasenstüber oder noch Schlimmeres erhalten. Darüber ist mir allerdings nichts Sicheres bekannt; aber ich habe später Nachforschungen angestellt und weiß zuverlässig, daß Foma tatsächlich einmal in Moskau einen kleinen Roman verfaßt hat, sehr ähnlich denen, die dort in den dreißiger Jahren jährlich zu Dutzenden fabriziert wurden, in der Art wie »Die Befreiung Moskaus«, »Der Hetman Bur«, »Ein Sohn der Liebe oder ein Russe im Jahre 1104« und so weiter und so weiter, Romane, die zu ihrer Zeit dem Witz des Barons Brambäus eine willkommene Zielscheibe darboten. Das war freilich schon lange her; aber eine Verletzung des schriftstellerischen Ehrgeizes wirkt manchmal wie ein tiefer, unheilbarer Schlangenbiß, namentlich bei unbedeutenden, einfältigen Menschen. Foma Fomitsch fühlte sich gleich bei seinem ersten Schritte auf dem Gebiete der Schriftstellerei schwer gekränkt und schloß sich gleich damals an die gewaltige Schar der Verbitterten an, aus der dann alle jene Narren und Vagabunden und Pilger hervorgehen. Schon seit jener Zeit, glaube ich, entwickelte sich bei ihm diese ungeheuerliche Prahlsucht, dieser Durst nach Lob und Auszeichnungen, nach Verehrung und Bewunderung. Schon als er noch die Stellung eines Spaßmachers bekleidete, hatte er ein Häufchen von Idioten um sich gesammelt, die ihn ehrfurchtsvoll anstaunten. Irgendwo und irgendwie der Erste zu sein, den Propheten zu spielen, sich ein Air zu geben und zu prahlen, das war ihm das wichtigste Lebensbedürfnis! Wenn ihn andere nicht lobten, so lobte er sich selbst. Ich selbst habe im Hause meines Onkels in Stepantschikowo Foma zu der Zeit, als er dort schon unumschränkter Herrscher war und für einen Propheten galt, manchmal mit einer Art von geheimnisvoller Wichtigkeit sagen hören: »Ich kann hier unter euch nicht dauernd weilen! Ich sehe mir hier die Sache an, bringe euch alle in geordnete Verhältnisse, gebe euch Anweisung und Belehrung, aber dann sage ich euch Lebewohl und gehe nach Moskau, um dort ein Journal herauszugeben! Dreißigtausend Menschen werden allmonatlich meine Artikel lesen. Dann wird mein Name endlich Klang gewinnen und dann – wehe meinen Feinden!« Aber der geniale Mensch verlangte, schon während er sich noch darauf vorbereitete, berühmt zu werden, sofortige Belohnung. Vorauszahlung zu empfangen ist überhaupt angenehm, und in diesem Falle ganz besonders. Ich weiß, daß er meinem Onkel allen Ernstes versicherte, es sei ihm, Foma, beschieden, eine gewaltige Tat zu vollbringen, eine Tat, zu der er auf dieser Welt berufen sei und zu deren Ausführung ihn eine Art von menschlichem Wesen mit Flügeln oder so etwas Ähnliches antreibe, das ihm bei Nacht erscheine. Er werde nämlich zur Rettung der Menschenseelen eine tiefsinnige Schrift verfassen, von der ein allgemeines Erdbeben ausgehen und ganz Rußland erzittern werde. Sobald aber ganz Rußland erzittere, werde er, Foma, allen Ruhm verachtend, Mönch werden und Tag und Nacht in den Kiewer Höhlen für das Heil des Vaterlandes beten. All dies übte auf meinen Onkel eine bezaubernde Wirkung aus.