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Er folgte Jago die Treppe hinauf an Deck und fühlte sofort den kalten Wind und den Sprühnebel der Gischt im Gesicht. Er hörte das Zischen der Wellen, die der Bug durchschnitt, und das laute Knallen der Segel. Es war noch nicht hell, aber hinter dem Bugspriet zog sich ein rotbraunes Band am Horizont dahin, das immer breiter wurde. An seinem unteren Rand war ein ungleichmäßiger dunkler Streifen, und Hawkwood wusste, das war Land. Es war aber noch zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen.

Auf Backbord stand Lasseur vorgebeugt an der Reling und sah durch ein Fernrohr, eine Zigarre zwischen den Zähnen. Er sah aus wie ein Wolf, der Beute gewittert hat; ein Mann in seinem Element.

»Heimat«, sagte er und folgte Hawkwoods Blick. »Meine«, sagte er. »Nicht deine.« Er grinste.

»Wie weit?«

»Zwanzig Meilen, vielleicht etwas weniger.«

Hawkwood sah ihm über die Schulter. Über dem Heck war der Himmel viel dunkler, und es war schwerer, zwischen Meer und Land zu unterscheiden, wenn es dort überhaupt Land gab.

»Du sollst dort ein Segel gesehen haben?«, fragte Hawkwood.

Lasseur nickte. Er reichte Hawkwood das Fernrohr und zeigte geradeaus auf einen weit entfernten Küstenstreifen.

»Zwei Meilen vor dem Bug.«

Hawkwood stemmte sich mit der Hüfte gegen die Reling und versuchte das Wasser zu ignorieren, das über seine Stiefel schwappte. Er hielt das Fernglas ans Auge. Anfangs sah er nichts als blauschwarze Wassermassen. Er setzte das Glas ab, orientierte sich und peilte das helle Band an, das über dem Bug am Himmel zu sehen war, und versuchte es nochmals. Das Glas rutschte ab. Er unterdrückte einen Fluch, aber seine Beharrlichkeit wurde belohnt, denn plötzlich glitt ein dunkler, eckiger Gegenstand in sein Gesichtsfeld. Das Schiff lag tief im Wasser und segelte mit Backbordhalsen dicht am Wind, Fock- und Besansegel waren gebrasst.

»Ich sehe es!« Er spürte, wie eine Welle der Erregung ihn packte.

»Morgan?« Er gab Jago das Fernrohr.

»Es ist ein Kutter«, sagte Lasseur zuversichtlich. »Und Gravelines liegt in fast gerader Linie vor uns. In einer Stunde wird es hell, dann werden wir’s wissen.«

»Sie zeigt keine Flagge«, murmelte Jago, der durchs Fernglas sah. Das Fernrohr sah in seinen Händen sehr klein aus.

»Wir auch nicht«, erinnerte Lasseur ihn und nahm das Fernglas wieder an sich, um nochmals durchzusehen. »Wenn die uns sehen - aber vielleicht haben sie’s noch nicht -, dann werden sie sich fragen, wer wir sind, obwohl sie an unserer Takelage sehen können, dass wir kein britisches Schiff sind. Die Briten haben nicht viele Schoner. Ein paar von denen, die sie besitzen, haben wir erobert, aber die sind nicht so gut wie die Scorpion. Im Moment macht er sich wohl auch noch nicht zu viele Gedanken darüber. Damit sind wir im Vorteil.«

Hawkwood sah nach oben. Genau wie der Schoner schien auch dieser Kutter für ein Schiff seiner Größe außergewöhnlich viele Segel zu haben; das also war Lasseurs Berber-Takelage. Er sah über die Reling auf das Wasser, das am Bug vorbeischoss. Das Schiff schnitt durch die Wellen wie ein Messer. Gischt sprühte über den Bug. Die Geschwindigkeit war berauschend, und während der Himmel im Osten langsam von Rotbraun in Goldorange überging und die Küste immer näher kam, näherte sich die Scorpion unaufhaltsam ihrem Opfer.

Die drei Männer blieben an der Reling stehen. Hawkwood war beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der ihr Schoner den Abstand verkleinerte. In kürzester Zeit, so schien es, war der Kutter nur noch drei Kabellängen von ihnen entfernt. Der Himmel war wesentlich heller geworden. Er sah Menschen an Deck.

»Wenn sie bisher nicht ahnten, dass wir uns für sie interessieren, dann würde ich sagen, jetzt tun sie’s aber«, sagte Lasseur. Er hob das Fernrohr. »Bâtards!«, fluchte er plötzlich und reichte Hawkwood das Glas.

Hawkwoods erster Gedanke war, sie hätten das falsche Schiff verfolgt. Dann glitt ein schwarzer Bug in den Vordergrund und wurde immer größer, wirkte aber immer noch klein im Vergleich zur Größe der Segelfläche. Hawkwood erinnerte sich an Gadds Beschreibung der Sea Witch. Er suchte an der Gillung nach einem Namen, aber die Jolle, die außen an dem schmalen Heck hing, verdeckte ihn. Drei Männer standen auf Steuerbord an der Reling, dicht beim Steuermann, und starrten auf die Scorpion. Zwei von ihnen trugen blaue Jacken und weiße Hosen. Als Hawkwood den dritten Mann erkannte, der zwischen ihnen stand, war ihm der Name des Schiffes nicht mehr wichtig. Groß und graubärtig stand er da und hielt ein Fernglas ans Auge. Er hielt es nur mit der rechten Hand.

Es war Pepper.

Und während Hawkwood und Lasseur ihn noch beobachteten, trennten sich die drei Männer. An Deck des Kutters entwickelte sich plötzlich eine fieberhafte Aktivität.

»Oh Gott, die fahren ihre verdammten Kanonen aus«, rief Hawkwood, als die Mannschaft des Kutters anfing, die Segeltuchplanen von den Kanonen im Heck des Kutters zu entfernen. Soweit er sehen konnte, waren es sechs, auf jeder Seite drei. Er gab Lasseur das Fernrohr.

»Merde!«

»Was für welche sind es denn?«, fragte Hawkwood. Er war nicht sehr bewandert in den Kalibern der Marinegeschütze. Als ob es darauf ankam. Kanonen waren überall verdammte Kanonen.

»Was ihr Sechspfünder nennen würdet, wie es aussieht. Euer Zoll hat die auch. Bei richtiger Höhe sind sie zielgenau bis zu zweihundertfünfzig Yards. Zum Glück sind wir im Vorteil. Wir haben mehr davon.«

An die Möglichkeit, dass die Sea Witch schwere Geschütze an Bord haben könnte, hatte Hawkwood überhaupt nicht gedacht. Er war davon ausgegangen, dass Morgan und seine Leute kleine Waffen hatten, höchstens Drehbassen - er hatte eine davon im Bug des Kutters gesehen -, aber keine Kanonen auf Lafetten, obwohl die kurze Kanone, die sie beim Erstürmen der Admiralität benutzt hatten, ihn eigentlich hätte warnen müssen. Er überlegte, wie geübt sie wohl sein mochten, falls es zu einem Seegefecht kommen sollte. Der Gedanke, dass Morgan unter den ehemaligen Seeleuten in seinen Diensten auch ein paar Kanoniere hatte, war gar nicht so abwegig.

Lasseur war offenbar ebenso überrascht. Im Nu war er weg.

»Tous les marins sur le pont!«

Eine Glocke fing an, laut zu scheppern. Das Deck dröhnte vom Rennen der Männer.

Die Scorpion hob sich aus den Wellen und schoss dahin.

»Preparez les canons!«

Innerhalb von Sekunden war Sand gestreut, waren die Kanonen ausgefahren, persönliche Waffen verteilt und Halstücher um die rechten Arme der Männer gebunden. Lasseur erklärte, dass sich seine Männer zwar kannten, aber jeder, besonders Hawkwood und Jago, musste Freund von Feind sofort unterscheiden können. Selbst ein Zögern um den Bruchteil einer Sekunde konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.

»Sie wollen tatsächlich entern?«, fragte Jago und fuhr mit dem Daumen über die Klinge seines Entermessers, während Lasseur Hawkwood eine Pistole und einen Tomahawk gab.

»Ich bezweifle, dass Morgan sich auf Zuruf ergeben wird«, sagte Lasseur grimmig.

Schließlich war jedes Mitglied der Mannschaft an seinem Platz, und die Scorpion schoss weiter durchs Wasser.

Der Kutter, der jetzt weniger als eine Kabellänge vor ihrem Bug war, drehte nach Backbord. Seine Segel flatterten, als er aus dem Wind drehte, doch dann wurden sie festgezurrt und füllten sich wieder. Hawkwood fand, dass er ziemlich toplastig aussah.

Lasseur gab mit lauter Stimme Kommandos. Den nautischen Jargon verstand Hawkwood nicht, Lasseur hätte seine Anweisungen ebenso gut auf Chinesisch geben können. Doch als die Männer eilig an den Tauen zogen um die Segelfläche zu verkleinern, und als der Steuermann hart am Ruder drehte, wurde ihm klar, dass der Privateer versuchte, sich den Manövern des Kutters anzupassen. Die Scorpion drehte langsam bei.