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Steinfliesen statt eines warmen Holzfußbodens, grob angepinselte Türen, zerschlissene, ausgemergelte Polstermöbel. Indes lenken eine Kerze und eine Lampe auf dem Kaminbord unseren Blick auf zwei Porträts, die an den Wänden hängen. Das erste, das unter einem Barett ein längliches, fahles Gesicht mit matten Augen und einem Spitzbart über einer Halskrause zeigt, erkennen wir leicht: es ist Heinrich III., König von Frankreich und Polen. Auf dem unteren Rand des abgeblätterten Goldrahmens steht zu lesen: Henri de Valois.

Das zweite Bildnis, jüngst vergoldet und ebenso frisch wie das andere verstaubt, stellt eine junge Frau mit intelligenten, dunklen Augen, einer feinen, geraden Nase, energischen Bakkenknochen und einem Mund dar, der Gefühle klug zu beherrschen weiß. Ihr Haupt ziert ein Gebäude aus Haaren und Seidenbändern, das im Vergleich zu dem flachen Barett des Königs wie eine Pyramide neben einem Maulwurfshügel erscheint. Unter diesem Porträt liest man in schwarzen Lettern: Jeanne de Valois.

Zwischen Kerze und Lampe, möglichst weit den Fenstern, durch die der eisige Wind pfiff, saß an einem schäbigen Eichentischchen eine junge Frau, mehr als schlicht gekleidet, den Kopf in der aufgestützten Linken, und kontrollierte die Adressen mehrerer versiegelter Briefe. Blicken wir sie genau an: diese Frau ist das Original des soeben beschriebenen Porträts.

Jeanne de Valois, haben wir gelesen. Sie war also aus königlichem Geschlecht? Jenem Geschlecht, das der große Henri Quatre vom Thron gefegt hatte? Wie aber war sie in dieses Elend geraten, während der übrige Hochadel des Landes am Hof zu Versailles das annehmlichste Wohlleben genoß?

Offenbar war der jungen Frau dieser Widerspruch selbst unerträglich, denn ihren gemurmelten Worten ließ sich entnehmen, daß all die Briefe, die sie in den feinen klammen Händen bewegte, hart gesagt, Bettelbriefe um Geld an verschiedene Persönlichkeiten des Versailler Hofes waren, daß sie seufzend im voraus summierte, wie wenig diese Bittgesuche ihr eintragen mochten, und daß sie von dem wenigen erhofften Geld noch ein Erkleckliches an Droschkenfahrten zu persönlichen Vorsprachen zu wenden gedachte.

Plötzlich aufhorchend, unterbrach sie ihre Rechnereien.

»Frau Clothilde«, wandte sie sich an eine alte Dienerin, die vor dem erloschenen Kamin sich die Hände rieb, »es läutet.«

»I wo, Madam«, war die Antwort. Diener armer Leute sind wenig diensteifrig.

»Es läutet, gehen Sie nachsehen«, beharrte die Dame.

Widerwillig schlurfte die Alte hinaus.

Jeanne raffte hastig die Briefschaften zusammen und ließ sie in einer Schublade verschwinden.

»Wohnt hier die Gräfin de La Motte?« hörte sie draußen eine vornehm klingende weibliche Stimme fragen.

»Die Frau Gräfin de La Motte-Valois, ja«, bestätigte Frau Clothilde, »sie ist zu leidend, um auszugehen.«

»Sie können heraufkommen, Madame, wir sind hier richtig«, ließ sich dieselbe Stimme vernehmen.

Rasch setzte sich Jeanne in einen Lehnstuhl, um den Besucherinnen den Ehrenplatz auf dem armseligen Sofa anzubieten.

»Wen darf ich melden?« fragte Frau Clothilde.

»Eine Dame der Versailler Wohlfahrtsstiftung«, antwortete eine andere Stimme. Wir haben sie bereits gehört, als sie dem Kutscher Weber ihre Befehle gab.

Jeanne de La Motte-Valois

Jeannes erste Sorge, als sie schicklicherweise aufblicken durfte, war die, ihre Besucherinnen mit flinken Augen prüfend zu betrachten.

Die Ältere mochte etwa dreißig, zweiunddreißig Jahre zählen. Sie war von beachtlicher Schönheit, wiewohl der hochmütige Ausdruck ihrer Züge sie um einen Teil ihres Liebreizes beraubte. Im übrigen hatte sie den Pelzkragen hochgeschlagen und ihren Platz so gewählt, daß ihr Antlitz von der Lampe beschienen wurde.

Die Jüngere, von bezaubernder Anmut und Schönheit, zeigte sich weniger scheu.

»Madame«, eröffnete sie das Gespräch, - »ich sage Madame, denn ich glaube, Sie sind vermählt?«

»Ich habe die Ehre, die Gattin des Grafen de La Motte zu sein, eines ausgezeichneten Edelmannes.«

»Nun denn, Madame, man hat uns, Ihre Situation betreffend, Dinge mitgeteilt, die unsere Teilnahme erregten, und wir sind gekommen, Genaueres darüber und über Sie selbst zu erfahren.«

»Meine Damen«, begann nach wohlgesetzter Pause die Angeredete, »Sie sehen hier das Bildnis Heinrichs III. Er war der Bruder meines Ahnherrn. Ich bin in der Tat, wie man Ihnen mitgeteilt haben dürfte, vom Blut der Valois.« Mit stolzer Bescheidenheit erwartete sie weitere Fragen.

»Ist es wahr, daß Ihre Frau Mutter ursprünglich Concierge eines Hauses in Bar-sur-Seine war?« fragte die ältere Dame.

Jeanne errötete, erwiderte aber sofort: »Das ist wahr, Madame. Meine Mutter, Marie Jossei, war überaus schön; mein Vater, ein direkter Abkomme der Valois, verliebte sich so sehr in sie, daß er sie heiratete. Aber - es ist beschämend, das sagen zu müssen, Madame - meine Mutter hat dem erlauchten Namen, den sie derweise gewann, keine Ehre gemacht, vielmehr hat sie meinen Vater ruiniert, bis er schließlich im Spital der Ärmsten der Armen, im Hotel-Dieu hier zu Paris, verstarb.«

Beide Damen stießen vor Überraschung einen leisen Schrei aus, während Jeanne gefaßt, mit gesenktem Blick, sitzen blieb. Die Ältere musterte sie eindringlich, und da sie aus Jeannes schlichter Haltung auf keinerlei Hochstapelei oder Unlauterkeit schließen konnte, fuhr sie fort:

»Nach allem, was Sie uns da sagen, Madame, müssen Sie großes Unglück erlitten haben, zumal Ihr Herr Vater ...«

»Oh, wenn ich Ihnen mein Leben erzählen wollte, Madame, würden Sie wohl finden, daß der Tod meines Vaters nicht das grausamste Unglück war, das mich getroffen hat, daß ich vielmehr seinen Tod als eine Erlösung aus allem Leid unserer Familie betrachte, und ich sage dies als liebende, pietätvolle Tochter«, setzte sie hinzu, als sie das mißbilligende Stirnrunzeln der älteren Dame gewahrte.

»Wäre es indiskret, Sie um weitere Einzelheiten zu bitten?« fragte mit leisem Schauder die Jüngere.

Jeanne schlug die Augen nieder und fuhr nach einem Seufzer fort:

»Meine Mutter, wie ich bereits sagte, hat meinen Vater ruiniert, indem sie ihn veranlaßte, seinen Landbesitz zu verkaufen und mit der Familie nach Paris überzusiedeln, um hier seine Rechte geltend zu machen. Meine ältere Schwester wurde am Vorabend unserer Übersiedlung vor der Tür ihres Paten, eines Pachtbauern, ausgesetzt. Die Reise und die erste Zeit unseres Aufenthalts in Paris verschlangen unsere letzten Barmittel. Mein Vater erschöpfte sich in demütigenden Bittgängen, die alle vergeblich waren, und erkrankte. Meine Mutter hielt mir täglich vor, ich sei eine unnütze Esserin, und bald hatte sie mir unter Schlägen einen Satz eingebleut, mit dem sie mich auf die Straßen betteln schickte: Haben Sie Mitleid mit einer armen Waise, die in direkter Linie von Henri de Valois abstammt. Aber dieser Satz trug mir kaum etwas Gutes ein. Manche Leute erbarmten sich meiner, ja, aber andere wurden zornig oder drohten, mich anzuzeigen. Ich kannte jedoch keine größere Gefahr, als mit leeren Händen vor meine Mutter zu treten. Sie schlug mich dann bis aufs Blut. Als mein Vater wegen unserer Armut ins Hotel-Dieu kam und dort starb, ging meine Mutter mit einem Soldaten, ihrem Liebhaber, auf und davon.«

»Da waren Sie ganz verwaist.«

»O nein, Madame, Waise war ich bei meiner Mutter. Jetzt nahm sich die öffentliche Mildtätigkeit meiner an. Eines Tages hatte ich das Glück, einer schönen jungen Dame zu begegnen, die an mir Gefallen fand. Sie brachte mich in einer Weißnäherei unter, und ich war dem Hunger entronnen.«