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Von einer Hofdame begleitet, fuhr Marie-Antoinette nach Saint-Denis. Im Kloster herrschte tiefe Stille. Es war die Stunde der Meditation, bevor zur Abendandacht geläutet wurde.

Man meldete Andree, daß die Königin nach ihr verlange, und Andree eilte zum Sprechzimmer. Kaum war sie hundert Schritt gegangen, als sie durch die Freude, die sie ungewollt empfunden, sich gedemütigt fühlte.

Warum zittert mein Herz? fragte sie sich. Was darf es mich kümmern, daß die Königin das Kloster Saint-Denis besucht? Stolz? Die Königin ist nicht meinetwillen gekommen. Glück? Ich liebe die Königin nicht mehr.

Dennoch fühlte sie ihr Herz erneut höher klopfen, als sie Marie-Antoinette im Kreis der Nonnen sah, die sich auf eine Bitte der Majestät sogleich entfernten.

Um das Gespräch anzuknüpfen, äußerte die Königin ihre Verwunderung, die einstige Gefährtin in der strengen Klostertracht zu sehen, die ihr als eine Mahnung erscheine, ernst wie das Grab.

»Wer könnte sich erdreisten«, erwiderte Andree, »Eurer Majestät Mahnungen zu erteilen. Sogar der Tod mahnt die Königin erst, wenn er die Hand nach ihr ausstreckt.«

»Wie das?« fragte Marie-Antoinette, über Andrees Ton betroffen.

»Eine Königin muß in dieser Welt nur das Unvermeidliche erdulden. Sie genießt alle Erleichterungen des Lebens; sie nimmt den anderen, was ihnen das Leben hätte verschönen können. Und das ist ihr Recht. Die anderen sind für die Herrschenden ja nur Untertanen, deren Leben, Ehre und Glück ihnen gehören.«

Marie-Antoinette blickte Andree mit staunenden Augen an. Nie hatte man ihr derartiges gesagt. Welche Bitternis hatte dieses Mädchen von ihr fortgetrieben? Konnte sie eine so starke Gegnerschaft überwinden? Sie wagte es dennoch, Andree von der Rückkehr ins Leben, an den Hof und von der sich bietenden Heirat zu sprechen.

Andree lehnte all dies entschieden ab, und die Königin in ihrer wachsenden Angst sah sich gezwungen, nun zu Bitten und zu Geständnissen über ihre verzweifelte Lage überzugehen. Im letzten Augenblick aber fragte Andree: »Madame, nennen Sie mir wenigstens den Namen des Mannes, der mich zur Gefährtin nehmen wollte. Ich habe in meinem Leben so viele Demütigungen erlitten, daß der Name dieses großmütigen Menschen der Balsam sein mag, mit dem ich die Wunden meines Stolzes künftig bestreichen werde.«

Und dabei lächelte sie mit einer Ironie, die schmerzlich anzusehen war.

»Es ist Herr de Charny«, sagte die Königin.

»Olivier de Charny?« rief Andree, und binnen Sekunden wich ihre gemessene Haltung einer so unmäßigen, so jubelnden Freude, daß Marie-Antoinette der Atem stockte. Glühende Stiche trafen ihr Herz; und sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück, während Andree wie wahnsinnig ihre Hände, ihre Knie, ihr Kleid mit Küssen bedeckte.

Die Braut

Der alte Baron de Taverney war guter Dinge von Versailles zurückgekehrt. Er hatte sich mit dem neuesten Klatsch vollgesogen, hatte mit allen über alle gelacht und seine boshaften Bemerkungen gemacht. Wieder spann der närrische alte Mann seine ehrgeizigen Lieblingsideen. Für ihn war der geheimnisvolle Liebhaber der Königin im Park niemand anders als sein Sohn Philippe. Nur wagte er es nicht mehr, diesem seine unumstößliche Überzeugung kundzutun, um nicht einer harten Abfuhr sich auszusetzen.

Philippe hatte sich nach seinen enttäuschenden Erlebnissen bei Hofe entschlossen, an der Weltumsegelung des Herrn de La Peyrouse teilzunehmen, und rüstete zur Reise. Nach den jüngsten Ereignissen hatte er es noch eiliger fortzukommen, denn er wollte die Entehrung der Königin nicht miterleben. Sein ganzer Haß richtete sich gegen seinen glücklichen Rivalen Charny.

Um so tiefer verwundert war er, als völlig unerwartet seine Schwester aus dem Kloster heimkehrte - die Königin hatte Andree gleich von dort mitgebracht - und ihm strahlend vor Glück mitteilte, daß Charny um sie geworben habe.

Kaum war Andree heimgekommen und hatte das düstere Haus mit ihrer neuerblühten Schönheit und ihrer Freude erfüllt, als der Graf de Charny gemeldet wurde.

Andree eilte in ihr Zimmer, um die Klostertracht gegen ein Festkleid zu vertauschen. Von einem Nebenraum her belausch-te Philippe die Unterredung des Grafen mit seinem Vater. Tatsächlich bat Charny den Baron um die Hand seiner Tochter, und als der Alte, der sich über diesen Antrag hoch geehrt erklärte, hinausging, um die Familienpapiere zu holen und den jungen Mann über die Mitgift der Braut zu unterrichten, betrat Philippe den Salon, wo Charny wartete.

»Wie können Sie es wagen, Herr Graf«, sagte er voll Erbitterung, »meine Schwester zur Frau zu verlangen?«

Charny errötete und wich zurück.

»Wollen Sie auf diese Weise«, fuhr Philippe fort, »Ihre Liebschaft mit jener Frau maskieren, die Ihre Liebe erwidert? Oder hoffen Sie, als Gatte einer Frau, die bei Ihrer Geliebten jederzeit Zutritt hat, dem Gegenstand Ihrer Verehrung näherzukommen?«

Charny taumelte. Philippe betrachtete ihn mit vernichtendem Blick. Charny, dessen Gesicht sich mit tödlicher Blässe überzogen hatte, zwang sich zur Ruhe.

»Mein Herr«, sagte er, »auch wenn Sie mich der Niedertracht bezichtigen, bitte ich Sie, gerade Sie, um die Hand Ihrer Schwester. Wenn ich diesen Schritt um meinetwillen, aus feiger Berechnung täte, wäre ich ein Elender, der Ihre Verachtung verdient, aber ich tue ihn, um die Königin zu retten. Die Königin ist in Gefahr.«

Und er erklärte Philippe, was an diesem Morgen geschehen war und daß er die Königin nicht Lügen strafen könne.

Seine Rede wurde durch ein dumpfes Geräusch aus dem Nebenraum unterbrochen. Beide, Philippe und Charny, stürzten dorthin. Andree, die zusammengebrochen war, lag in ihrem Brautkleid wie leblos am Boden.

Die Viper

Madame de La Motte, wir erinnern uns, war die Entführung Olivas mißglückt, und so viele gemietete Spione sie aussandte, die Verschwundene aufzuspüren, der Erfolg blieb ihr versagt. Sie geriet darüber in unbeschreibliche Angst, und da ihr Befehl auf Befehl überbracht wurde, bei der Königin zu erscheinen, beschloß sie, einige Tage unterzutauchen, um ihre Lage gründlich zu durchdenken.

Verschleiert und bei Nacht begab sie sich nach Bar-sur-Aube, wo sie ein kleines Absteigequartier unterhielt. In dieser Abgeschiedenheit genügten ihr zwei Tage, ihre Ängste zu bändigen, neue Kraft zu finden und das Gebäude ihrer Verleumdungen zu befestigen.

Die Polizei konnte dem Hof von ihrem Aufenthalt in Bar-sur-Aube erst Mitteilung machen, als Jeanne bereits zum Kampf gerüstet war.

Durch ihre Flucht hatte sie die Verhaftung des Kardinals verspätet erfahren. Jede andere Frau hätte jetzt aufgegeben, aber Jeanne begriff nur, daß sie nun niemanden mehr zu schonen brauchte. Die Königin, so rechnete sie kaltblütig, hat es verschmäht, sich mit dem Kardinal im stillen zu vergleichen und die Juweliere zu bezahlen, das heißt, sie hat contra angesagt. Sie unterschätzt die Kräfte, die mir zu Gebote stehen.

So weit war Jeanne, als ein Offizier der Geheimpolizei bei ihr erschien und mitteilte, daß er sie an den Hof zu führen habe.

Man stelle sich nun Marie-Antoinette vor, ihren unsäglichen Groll, ihren kaum verhohlenen Zorn, ihr Triumphgefühl, als dieser Dämon vor sie hintrat, den sie noch nicht zur Genüge kannte, dessen verhängnisvollen Einfluß auf ihr Geschick sie jedoch mit geheimem Grauen ahnte. Endlich mußte die Wahrheit ans Licht kommen, endlich würden alle die abscheulichen, rätselvollen Verstrickungen gelöst werden, endlich setzte die Königin der Schlange, die sie gebissen hatte, den Fuß auf den Kopf!

Das Herz voller Geheimnisse, den Kopf voll von Ideen, als letzten Motor die Verzweiflung, so stand Jeanne vor ihrer Gegnerin.

Mit langsamer, feierlicher Verbeugung waren auf Geheiß der Königin zwei ihrer Frauen eingetreten, um mit gesenkten Lidern und geschlossenen Lippen dem Verhör beizuwohnen. Die beiden Zeugen, dachte Jeanne, wird sie wohl schnell hinausschik-ken müssen.