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Wie üblich, sollten sie vor den Richtern auf jenem Holzschemel Platz nehmen, der durch die Berührung mit den vielen Verbrechern, die von hier aus zum Schafott geschritten waren, bereits eine Schändung bedeutete. Überdies war der Sitz so niedrig, daß man ihn nur als demütigend und entehrend für den Angeklagten empfinden konnte.

Diesen Schemel besetzte als erster weinend und jammernd Reteaux de Villette, der seine Schuld bekannte und bereute. Aber für ihn interessierte sich niemand weiter. Er wurde schnell in seine Zelle zurückgeführt.

Darauf erschien Madame de La Motte in schlichter Gewandung, das Gesicht von einem weißen Schleier umhüllt.

Die Bewegung, die bei ihrem Auftreten durch die Menge lief, beunruhigte sie. Als der Gerichtsschreiber sie zu dem kleinen Schemel führte, der dem Block auf einem Schafott nicht unähnlich sah, erbleichte sie und blickte zornsprühend um sich, als ob sie die Richter einschüchtern wollte, die es wagten, ihr, einer Valois, ihr, die das Schicksal der Königin von Frankreich in ihren Händen gehalten, eine solche Schmach zuzumuten. Doch begegnete sie ringsum nur entschlossenem Willen und erbarmungsloser Neugier. So bemeisterte sie ihre Empörung und setzte sich.

Auch bei diesem Verhör formulierte sie alle ihre Antworten so, daß die Feinde der Königin aus ihrem Wortlaut Nutzen ziehen konnten. Sie vermied präzise Angaben, soweit sie nicht ihre Unschuld bekräftigen konnten, und nötigte den Präsidenten schließlich zu einer Frage nach jenen Briefen, die nach ihren wiederholten Angaben die Königin und der Kardinal gewechselt hätten.

Von ihrer Antwort erhoffte sie sich die letzte rettende Wirkung, indem sie das Interesse von ihrer Person noch einmal auf die beiden hohen Persönlichkeiten ablenkte.

Sie beteuerte zunächst, daß sie die Königin nicht bloßzustellen gesonnen sei und daß nur der Kardinal diese Frage vollgültig zu beantworten vermöchte.

»Fordern Sie ihn doch auf«, sagte sie, »diese Briefe oder wenigstens die Abschriften vorzuweisen, dann wird Ihre Neugierde befriedigt sein. Ich für mein Teil will mich nicht weiter darüber äußern, doch finde ich die einen zu frei und zu vertraulich von einer Fürstin an einen Untertan, die anderen zu wenig ehrerbietig von einem Untertan an seine Königin.«

Das eisige Schweigen aber, mit dem dieser letzte Angriff aufgenommen wurde, bewies Jeanne, daß sie an eine undurchdringli-che Mauer anrannte. So schwer das Königtum und der Hochadel durch diesen Prozeß beschädigt worden waren, zeigte sich die Obrigkeit doch nicht gewillt, weiteren Einbrüchen offiziell die Tore zu öffnen. Jeanne verbuchte ihren Fehlschlag, wiegte sich aber, als sie den Schemel verließ, noch in der süßen Hoffnung, daß nach ihr ein Rohan den schmachvollen Sitz einnehmen werde.

Indessen mußte sie sehen, als sie kurz vor dem Ausgang sich umwandte, daß der Schemel auf Geheiß des Gerichtshofes gegen einen Lehnstuhl ausgetauscht wurde.

Aufstöhnend stürzte sie aus dem Saal.

Gemessenen Schrittes trat der Kardinal herein. Er war in seiner Equipage vorgefahren, und man hatte das Haupttor für ihn geöffnet. Zwei Gerichtsdiener und zwei Schreiber begleiteten ihn. Der Gouverneur der Bastille ging an seiner Seite.

Sein Erscheinen wurde mit beifälligem und achtungsvollem Gemurmel begrüßt.

Fürst Louis de Rohan war blaß und sehr erregt. Er trug ein zeremonielles Kleid und bezeigte den Richtern seine Achtung und Ergebenheit.

Als er das Wort ergriff, erregte seine vibrierende Stimme das Mitgefühl der Anwesenden. Er sprach langsam, verbreitete sich eher über seine Empfindungen des Bedauerns, als daß er Beweise geltend machte, und als seine Rede schließlich stockte, erzielte er damit eine größere Wirkung als mit allen Verteidigungsreden und bündigen Schlüssen.

Für Oliva dann wurde der Lehnstuhl wieder durch den Schemel ersetzt. Nicht wenige Zuschauer erbebten bis ins Innerste, als sie das Ebenbild der Königin, dieses Phantom Marie-Antoinettes, den Sitz der Schande einnehmen sahen.

Zum Schluß kam Cagliostro, der gar nicht erst aufgefordert wurde, sich zu setzen. Zum einen galt er für unschuldig, zum anderen fürchtete der Gerichtshof offenbar Cagliostros Äußerungen.

Nach einem kurzen Scheinverhör fand man, daß den formalen Ansprüchen der Prozeßordnung Genüge getan war.

Dann erklärte der Gerichtshof die Plädoyers und Verhöre für abgeschlossen. Die Menge zerstreute sich in der Absicht, im Laufe der Nacht zurückzukehren und das Urteil anzuhören.

Die Exekution

Jeanne hatte in der Frühe von dem Oberschließer der Concierge-rie erfahren, daß der Kardinal und Cagliostro freigesprochen waren, daß Reteaux de Villette auf die Galeeren geschickt werden sollte und daß Oliva mit einer Ortsverweisung davongekommen war. Wie ihr eigenes Urteil lautete, hatte er ihr nicht verraten.

Nach einer Nacht zwischen Bangigkeit und Hoffen erwartete sie jetzt fast gleichmütig den Gerichtsschreiber, der ihr ihren Spruch verlesen sollte.

Endlich hörte sie Schritte auf dem Gang, dann trat der Schließer ein und forderte sie auf, ihm zu folgen.

Was würde sie hören müssen? Sicherlich verwies man sie außer Landes. Schließlich mußte die Königin interessiert sein, sich eine so gefährliche Frau vom Halse zu schaffen. Ja, wenn sie in aller Stille ins Ausland abgeschoben würde, wäre das für alle Beteiligten die glücklichste Lösung. Herr de Rohan war freigekommen, nun denn, immerhin trug auch sie einen ruhmvollen Namen.

Unter solchen Gedanken war sie hinter dem Schließer bis vor eine Tür gelangt, die in einen dunklen Raum führte. Geräuschvoll wurde die massive Tür abgeschlossen, und Jeanne erschauerte. Bläuliches Licht gab dem Gelaß das Aussehen einer Gruft. Jeanne fühlte, wie die Feuchtigkeit und Kälte des Kerkers auf sie eindrangen. Die Augen des Schließers schienen ihr gespenstisch zu glimmen. Ihre Zuversicht schwand, und sie begann Schlimmes zu ahnen.

Nach langem Warten öffnete sich eine zweite Tür, hinter der Stufen auf einen kärglich beleuchteten Gang führten. An seinem anderen Ende erkannte Jeanne einen Platz, wo sich Leute drängten. Zu Seiten der Treppenstufen blitzten vier Bajonette.

Jetzt kamen drei Männer über den Gang und betraten, die Stufen herabschreitend, den Raum. Mit dumpfem Laut wurde die Tür hinter ihnen geschlossen.

Jeanne, deren Unruhe sich in kaltes Grausen verwandelt hatte, suchte bei dem Schließer Schutz. Doch der Mann lehnte sich an die Wand und gab mit einer Gebärde zu verstehen, daß er nur ein passiver Zuschauer des kommenden Geschehens sein werde.

Einer der drei Männer hatte den Hut aufbehalten und drehte einige Schriftstücke nervös in den Händen. Die beiden anderen mieden Jeannes Blick.

»Madame«, begann der Mann mit dem Hut, »Sie sind Jeanne de Saint-Remy-de-Valois, Gattin des Grafen Marie-Antoine-Nicolas de La Motte?«

»Ja, meine Herrn.«

»Sie sind geboren am 22. Juli 1756 zu Fontenette und wohnen in Paris, Rue Saint-Claude?«

»Ja, meine Herrn. Aber warum fragen Sie mich das?«

»Ich bedaure, Madame, daß Sie mich nicht erkennen. Ich bin der Gerichtsschreiber. Ich habe Ihnen den Spruch vorzulesen, der in der Sitzung vom 31. Mai 1786 gegen Sie gefällt worden ist.«

Jeanne begriff. Jetzt erst betrachtete sie die beiden anderen Männer aufmerksam und gewahrte mit Schaudern das eisengraue Gewand des einen und die Pelzmütze des anderen. Eine seltsame Schürze, die der letztere trug, schien an einigen Stellen Brandflecke zu haben.

»Knien Sie nieder, Madame«, befahl der Gerichtsschreiber.

»Ich soll niederknien? Ich, eine Valois?«

»Der Befehl erheischt es«, antwortete der Schreiber mit einer Verneigung.

»Was fällt Ihnen ein, mein Herr?« entrüstete sich Jeanne. »Soll ich Sie das Gesetz kennen lehren? Man kniet nur nieder, wenn man zu einer entehrenden Strafe verurteilt worden ist.«

»Sie werden den Spruch hören, sobald Sie niedergekniet sind.«