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»Guten Morgen, Pater!« brüllte er mit einer Stimme, die man vermutlich bis an die Grenzen der Pfarrgemeinde hören konnte. Der Bruder schloß die Augen und betete um Geduld, während Mugwort das Glockenseil zog; es klang mehr wie eine Sturmglocke denn wie der Ruf zum Gebet. Endlich war das Geschepper zu Ende. In einen braunen Mantel gehüllt, schlüpfte Benedicta zur Tür herein. Scheu lächelte sie dem Ordensbruder zu, der geduldig wartend am Fuße der Treppe stand. Cecily, die Hure, war die nächste. Athelstan erkannte sie an der Wolke von billigem Parfüm, die ihr stets vorauswehte. Wieder schloß er die Augen und betete, daß Cecily inzwischen nur noch als Näherin für Benedicta und als Putzfrau in der Kirche arbeiten möge. Er mußte an einen Witz denken, den man sich in der Gemeinde erzählte: Cecily habe öfter auf dem Friedhof geruht als der gemeindeeigene Sarg. Pemel, die alte flämische Lady, war die nächste, das Haar rot gefärbt, das Gesicht weiß geschminkt, eine Frau von unbestimmbarer Herkunft und noch weniger klarer Moral. Athelstan schwor sich im stillen, sie im Auge zu behalten. Er hatte munkeln hören, daß Pemel die Hostie nicht herunterschlucke, sondern sie mit nach Hause nehme und in ihren Bienenkorb lege, damit die Bienen gesund blieben. Wenn er sie dabei erwischte, würde er ihr die Eucharistie verweigern, und er würde sich auch nicht mit der albernen Antwort abspeisen lassen, daß die Waben aus ihrem Bienenkorb immer aussähen wie eine Kirche. Endlich erschien auch Watkin, der Mistsammler, Totengräber und Küster von St. Erconwald und Vorsitzende des Gemeinderates. Seine stets wachsende Kinderbrut klapperte in ihren Holzschuhen den Gang herauf; einer der Kleinen, Crim, hatte sich wenigstens die Hände gewaschen, bevor er neben Athelstan auftauchte, um als Meßdiener vor den Altar zu treten. Der Bruder kam sich ein wenig lächerlich vor, zwischen Crim mit seinem schmutzigen Gesicht auf der einen und dem Kater Bonaventura auf der anderen Seite.

Manyer, der Henker, kam als letzter und warf die Kirchentür hinter sich zu. Athelstan holte tief Luft, machte das Kreuzzeichen und beschloß, sich auf die Messe zu konzentrieren, nicht auf das Böse draußen auf dem Friedhof.

*

Sir John Cranston, Coroner der Stadt London, stand in der Blind Basket Alley, unweit der Poor Jewry. Der Abwasserkanal lag wie eine Scheibe aus Eis zwischen den überhängenden Häusern. Der brave Coroner stampfte mit den Füßen und blies sich auf die behandschuhten Hände in dem vergeblichen Versuch, sie zu wärmen. »Halte die Fackel höher!« blaffte er den Ratsschreiber an. Cranston starrte die Männer an, die ihn umstanden, dunkle Gestalten im trüben Licht, und blickte dann hinauf zu dem verrammelten Fenster des düsteren, trostlosen Hauses. Den giftigsten Blick hob er sich auf für Luke Venables, den Ratsherrn des Bezirks, der ihn aus seinem warmen Bett geholt hatte. Sir John schätzte seinen Schlaf zu jeder Zeit, aber nach einer anstrengenden Woche ganz besonders. Vor zwei Tagen war er in die Kirche von St. Stephen in Walbrook gegangen, um dort den Leichnam eines William Clarke zu beschauen, der in den Glockenturm geklettert war, um nach Taubennestern zu suchen. Der Idiot war von Balken zu Balken gestiegen, schließlich abgerutscht, heruntergefallen und auf der Stelle tot gewesen. Cranston war zu dem Urteil gekommen, daß der Balken schuld sei, und hatte dem erbosten Pfarrer eine Buße von vier Pence auferlegt. Gestern hatte er nach West Chepe gemußt, um die Leiche eines William Pannar zu beschauen, eines Gerbers, der in der Nähe der Wasserleitung gefunden worden war. Pannar war so dumm gewesen, wegen irgendeiner Krankheit zu einem Arzt zu gehen. Natürlich hatte der ihn zur Ader gelassen, und zwar so heftig, daß der arme Hund auf dem Heimweg zusammengebrochen und auf der Stelle gestorben war. Cranston biß sich auf die Unterlippe und hämmerte von neuem gegen die Tür. Aber es war nicht bloß seine Arbeit, die ihm Sorgen machte. Da war noch etwas anderes: Seine geliebte Frau Maude war nicht ehrlich zu ihm, und Cranston vermutete, daß sie ein furchtbares Geheimnis hatte. Sir John war vernarrt in seine Frau und konnte den Freuden des Schlafgemachs nie widerstehen; aber in letzter Zeit - so auch in der vergangenen Nacht - hatte er sich wohlig an sie geschmiegt und war in seinen Avancen abgewiesen worden. Leise weinend hatte sie im Dunkeln protestiert, wollte ihm aber keinen Grund dafür sagen und sich auch nicht trösten lassen. Und jetzt hatte ihn dieser Idiot Venables in aller Herrgottsfrühe in die Kälte gehetzt, um sich gewaltsam Zutritt in dieses geheimnisvolle Haus zu verschaffen. Cranston hämmerte von neuem an die Tür, aber nichts rührte sich; nur die gedämpften Flüche und stampfenden Füße seiner Begleiter waren zu hören.

»So.« Cranston wandte sich an den Ratsherrn. »Erzählt mir noch mal, was das Problem ist.«

Venables kannte Sir John und schaute ihm ängstlich in das schnauzbärtige, rote Gesicht mit den eisblauen Augen und der gefurchten Stirn unter dem großen, wollenen Hut. Sir John war ein guter Mann, dachte Yenables, aber wenn ihm der Kragen platzte, dann konnte er sich in einen leibhaftigen Teufel verwandeln. Venables deutete auf das abgebrochene Schenkenschild über der Tür.

»Die Sache ist die, Sir John: Der Hausherr heißt Simon de Wyxford. Dies ist seine Schenke. Er hatte keine Familie, nur einen Diener namens Roger Droxford. Vor acht Tagen bekamen Herr und Diener einen heftigen Streit, der sich über den ganzen Tag hinzog. Am sechsten Dezember öffnete Roger, der Diener, wie immer die Schenke, stellte die Bänke heraus und verkaufte Wein, aber von Simon keine Spur. Am nächsten Tag fragten die Nachbarn Roger nach seinem Herrn. Er behauptete, Simon sei nach Westminster gegangen, um Schulden einzutreiben.« Venables blies die Backen auf und wandte sich an eine der schattenhaften Gestalten neben ihm.

»Erzähl du Sir John den Rest.«

»Vor vier Tagen…«, begann der Mann, ein kleiner Kerl, in weite Mäntel gehüllt. Cranston sah nur ein paar schüchterne Augen und eine tropfende Nase über einem Schal.

»Lauter!« befahl er. »Und nehmt den Schal vom Mund.«

»Vor vier Tagen«, fuhr der Mann fort und gehorchte Sir John bereitwillig, »ist Roger von hier fort. Er trug ein Bündel auf dem Rücken. Wir dachten, er wollte flüchten, aber er ging zu einem Nachbarn, zu Hammo, dem Koch, und sagte, er wollte Simon, seinen Herrn, suchen gehen. Dann gab er Hammo den Schlüssel, falls de Wyxford plötzlich zurückkehrte. Gestern abend« - er räusperte sich - »kam Francis Boggett, ein Schankwirt, um eine Schuld zu kassieren, die Master Simon bei ihm hatte.«

»Weiter! Weiter!« unterbrach Cranston.

»Boggett ging ins Haus«, schaltete der Ratsherr sich geschmeidig ein, »und fand keine Spur, weder von Simon noch von seinem Diener. Da nahm er sich drei Faß Wein zum Ausgleich für seine Forderung.«

»Wie ist er reingekommen?« wollte Cranston wissen.

»Hammo, der Koch, hat ihm den Schlüssel gegeben.«

Sir John schürzte die Lippen. »Boggett zahlt fünf Pence Buße für unerlaubtes Eindringen, und der Koch zwei Pence wegen Beihilfe.« Er funkelte den Ratsherrn an. »Habt Ihr den Schlüssel dabei?«

Venables nickte. Cranston schnippte mit den Fingern, und der Ratsherr gab ihm den Schlüssel. Der Coroner richtete sich zu voller Größe auf.

»Als Coroner dieser Stadt«, verkündete er großartig, »und angesichts der geheimnisvollen Ereignisse, von denen mir berichtet wurde, ermächtige ich uns nunmehr, dieses Haus zu betreten, um die Wahrheit festzustellen. Ratsherr, Ihr werdet mich begleiten.«

Als Venables sich von einem seiner Begleiter ein Stück Zunder geben ließ, entstand neue Verwirrung. Sir John schloß die Tür auf und betrat die kalte, dunkle Taverne. Es roch schmutzig und muffig. Sie stießen gegen Fässer, Schemel und Tische, bis Venables seinen Zunder entfacht und zwei Pechfackeln damit angezündet hatte. Eine davon reichte er Cranston. Sie gingen von Zimmer zu Zimmer und dann in den ersten Stock. Die beiden Kammern dort waren verwüstet, Kisten und Truhen aufgebrochen, die Deckel beiseite geworfen. Aber keine Spur von einer Leiche.