Выбрать главу

»Aber warum, Sir John?« fragte ein rattenmäuliger Büttel verblüfft.

»Weil Weihnachten ist!« dröhnte Cranston. »Und weil Christus, der schöne Knabe aus Bethlehem, wieder zu uns kommt!«

Der Büttel wollte widersprechen, aber Cranston griff nach seinem Dolch, und der Kerl schnitt die Fesseln durch. Die Frau streckte dem Büttel die Zunge heraus, bedachte Cranston mit einer obszönen Geste und huschte durch eine Gasse davon. Sir John ritt weiter nach Petty Wales. An der Schenke warf er dem Hausknecht die Zügel zu und betrat den angenehm duftenden Schankraum.

»Mönch, wo zum Teufel steckst du?« brüllte er, daß die anderen Gäste um ihr liebes Leben fürchteten und der Wirt mit aufgerissenen Augen angelaufen kam, um ihn zu bedienen.

»Sir John, Ihr seid glücklich?«

»Glücklich wie eine Fliege auf einem Pferdearsch im Sommer!« brüllte Sir John und warf dem Wirt den wunderbaren Weinschlauch zu. »Vollmachen! Der Bruder hat gesagt, wir treffen uns hier«, knurrte er. Er spähte durch das verräucherte Halbdunkel, sah Athelstan dösend an einem Tisch sitzen und nickte.

»Bring mir einen Becher Wein«, befahl Cranston dem Wirt. »Frische Haferbrötchen und einen Streifen gedörrten Speck.« Er schmatzte. »Für den Bruder eine dicke Suppe - und auch wenn Advent ist, wird er einen Krug verdünntes Ale nicht ablehnen!«

Der Coroner trat breitbeinig an Athelstans Tisch und klopfte dem dösenden Ordensbruder auf die Schulter. »Auf, auf, Bruder!« blökte er. »Denn, verflucht, der Teufel geht um wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könnte!«

»Hoffentlich hat er nicht so schwere Pranken wie Ihr, Sir John«, murrte Athelstan, schlug die Augen auf und hob müde den Kopf. Cranston beugte sich zu ihm herunter. »Guten Morgen, Mönch!«

»Ich bin Ordensbruder.«

»Guten Morgen, Ordensbruder. Und warum bist du nicht voller Weihnachtsfreude?«

»Weil ich friere, Sir John, weil ich müde bin und völlig erschöpft.« Athelstan wollte die Litanei seiner Leiden fortsetzen, als er den Schelm sah, der wie kleine Teufel in Cranstons Augen tanzte. »Aber es ist schön, Euch glücklich zu sehen, Sir John. Ich nehme an, Ihr habt etwas zu essen bestellt?«

Cranston nickte, riß sich den mächtigen Biberhut vom Kopf und ließ sich gegenüber auf die Bank fallen.

Sie hatten sich satt gegessen, und Cranston hatte zwei Becher Rotwein vertilgt, bevor Athelstan mit seinem Bericht fertig war. Der Coroner schüttelte den Kopf, stellte ein paar Fragen und pfiff dann leise.

»In drei Teufels Namen - bist du sicher, Bruder? So viel aus einer unschuldigen kleinen Bemerkung von Lady Maude?«

Athelstan zuckte die Achseln. »Lady Maudes kleine Bemerkungen haben in den letzten paar Tagen für eine Menge Bestürzung gesorgt, Sir John.«

Cranston rülpste, stand auf und brüllte nach seinem Weinschlauch, und dabei warf er dem Wirt ein paar Münzen hin. »Habt Ihr getan, worum ich Euch gebeten hatte, Sir John?«

»Ja, Bruder, das habe ich.« Sir John streckte sich und gähnte. »Alle unsere Verdächtigen warten im Tower; nur Parchmeiner kommt später. Willst du zuerst Colebrooke sehen?«

»Und Rothand?«

»Ah ja, Rothand.«

»Ihr habt den Haftbefehl, Sir John?«

»Ich brauche keinen verdammten Haftbefehl, Mönch! Ich bin Cranston, der Coroner des Königs in dieser Stadt. Entweder sie beantworten die Frage, oder sie werden die Folgen zu tragen haben.«

Die beiden ließen die Pferde an der Schenke und wanderten durch ein paar Gassen zum gähnenden Eingang des Tower. Colebrooke erwartete sie im Torhaus. Athelstan sah, daß er Halsberge, Kettenhemd und Beinschienen trug.

»Ihr erwartet Schwierigkeiten, Master Lieutenant?«

»Sir Johns Anweisungen waren ziemlich strikt«, antwortete Colebrooke.

»Wo ist Rothand?«

»Warum wollt Ihr diesen verrückten Hund sehen?«

»Weil ich es befohlen habe«, antwortete Cranston.

Sie überquerten die Wiese; das kärgliche Gras schimmerte jetzt durch den grauen Matsch. Zwei Soldaten trotteten hinter ihnen her. Colebrooke schickte den einen zu einer kleinen Tür im Fuße des White Tower. Athelstan schaute betrübt zu der Ecke hin, wo der große Bär gesessen hatte. Die Stelle wirkte jetzt leer und einsam, aber der Boden trug noch Spuren des Aufenthaltes, und ein paar klägliche Essensreste lagen auf dem Kopfsteinpflaster verstreut.

»Gott schenke der Seele des Bären die ewige Ruhe«, betete Athelstan.

Cranston drehte sich um. »Haben Bären eine Seele, Bruder? Kommen sie in den Himmel?«

Athelstan grinste. »Wenn Ihr im Himmel Bären braucht, Sir John, dann wird es sie dort auch geben. Aber in Eurem Fall besteht der Himmel vermutlich aus einer endlosen Reihe von Schenken und geräumigen Ale-Stuben.«

Cranston schlug sich mit dem Handschuh auf den Schenkel. »Du gefällst mir, Bruder!« Und er strahlte den überraschten Colebrooke an.

Plötzlich wurde die Pforte des White Tower aufgestoßen, der Soldat kam hervor und zerrte Rothand am Kragen hinter sich her.

»Loslassen!« rief Athelstan. Er lief zu dem Buckligen hinüber, hockte sich vor ihn und ergriff seine Hand. Er schaute in die eisblauen Augen des Narren und sah die Tränen auf den fleckigen Wangen. »Du trauerst um den Bären, Rothand?«

»Ja. Rothands Freund ist fort.«

Athelstan bedeutete dem Soldaten, er solle verschwinden. »Ich weiß, Rothand«, flüsterte er dann. »Der Bär war ein prachtvolles Tier. Aber er ist jetzt glücklich. Sein Geist ist frei.«

Rothand sah Athelstan mit wäßrigen Augen an und lächelte. »Bist du Rothands Freund?«

Athelstan betrachtete das Gesicht des Buckligen, das schüttere weiße Haar und die grotesken kunterbunten Lumpen. Er dachte an Pater Anselms weise Worte: »Bedenke stets, Athelstan: Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. In einem zerbrochenen Glas brennt die Flamme ebenso hell wie in einer kunstvoll verzierten Lampe.«

»Ich bin dein Freund«, antwortete er. »Und ich brauche deine Hilfe.«

Rothands Blick wurde wachsam.

»Ich möchte, daß du mir deine Geheimnisse zeigst.«

»Was für Geheimnisse, Herr?«

»Was zum Teufel machst du da, Bruder?« rief Cranston. Athelstan warf ihm einen warnenden Blick zu.

»Hör zu, Rothand«, sagte er leise. »Du hast mir doch von Kerkern erzählt, von Verliesen, die zugemauert wurden.«

Rothand wollte sich losreißen, aber Athelstan hielt seine Hand fest.

»Bitte«, drängte er. »Hatte Sir Ralph solche geheimen Gewölbe? Wenn du es mir sagst, Rothand, dann kann ich den Mann fangen, der schuld ist am Tod des Bären.«

Mehr Ermutigung brauchte der Verrückte nicht. Er drehte sich um. »Warte. Warte hier«, bat er und verschwand wieder durch die kleine Pforte im White Tower. Sekunden später war er wieder da und hielt ein klingendes Glöckchen in der Hand. »Folgt Rothand!« schrie er. »Folgt Rothand!«

Cranston schaute Athelstan ungläubig an. Colebrooke winkte verärgert.

»Was hat der kleine Halunke vor?« fragte Cranston leise, als der Narr sie hüpfend über das Tower Green zu einer völlig eingerosteten Tür im Wakefield Tower führte. Rothand blieb davor stehen, verbeugte sich dreimal und ließ sein Glöckchen klingeln.

»Was ist da drin?« fragte Athelstan.

Colebrooke zuckte die Achseln. »Irgendwelche Gewölbe tief unter der Erde.«

»Aufmachen!«

»Ich habe keinen Schlüssel.«

»Macht uns keine Schwierigkeiten!« kläffte Cranston. »Schließt das verdammte Ding auf!«