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»Wie kommt Ihr an die Spuren von Sklavenketten?« fragte Athelstan. »Durch Handel?« Mit einer raschen Bewegung zog er dem Mann das Messer aus dem Gürtel und warf es Cranston zu. »Und wie geht es Euren Verwandten in Bristol? Habt Ihr wieder von ihnen gehört?«

Die Augen des jungen Mannes wurden schmal, und Athelstan sah den entschlossenen Zug um Mund und Kinn. Die Maske fiel. In Zukunft, nahm Athelstan sich insgeheim vor, würde er Gesichter aufmerksamer betrachten.

»Lügt jetzt nicht, Geoffrey. Ihr habt keine Schwester in Bristol. Sie hat Euch keinen Brief geschickt. Das West Country ist wegen des Schnees vollkommen abgeschnitten. Wie könnt Ihr mit jemand in Bristol in Verbindung stehen, wenn die Straßen nach Westen unpassierbar sind?« Athelstan lächelte Cranston ohne Heiterkeit zu. »Ist es nicht eigenartig, wie eine so unschuldige Bemerkung die ganze Sache zum Höhepunkt treiben kann?« Athelstan trat näher; die Atmosphäre im Raum hatte sich plötzlich verändert. Philippa war aufgestanden und preßte die Faust vor den Mund. Die anderen waren angespannt und regungslos wie Statuen.

»Euer Name ist nicht Parchmeiner, stimmt’s?« fragte Cranston. Athelstan trat noch näher. »Wer seid Ihr?« fragte er leise. »Seid Ihr Mark Burghgesh?«

Ein Lächeln zuckte über Parchmeiners Gesicht, während er versuchte, sich zu fassen. »Was soll der Unfug?« fauchte er. »Philippa, wir kennen uns seit drei Jahren. Ich komme aus Bristol. Meine Schwester wohnt dort. Sie wird in ein paar Tagen hiersein.«

Athelstan schüttelte den Kopf. »Nein, das wird sie nicht, junger Mann. Aber Ihr habt uns immer noch nichts über die Ringe an Euren Handgelenken erzählt.«

Der junge Mann wandte den Blick ab. »Ich habe früher Armbänder getragen«, antwortete er geschmeidig.

»Das ist doch alles Unsinn«, schaltete sich Philippa ein. »Wollt Ihr Geoffrey beschuldigen, meinen Vater ermordet zu haben?«

»Jawohl, das will ich«, erklärte Athelstan.

»Aber jemand ist von außen an der Nordbastion hinaufgeklettert!«

»Nein.« Athelstan sah Colebrooke an. »Master Lieutenant, habt Ihr alles vorbereitet?«

Colebrooke blinzelte nervös und nickte.

»Dann laßt uns anfangen!« rief Cranston. »Master Lieutenant, Ihr habt bewaffnete Wachen und Bogenschützen im Gang und unten?«

»Jawohl, Sir John.«

»Gut. Sie werden alle bewachen. Wenn irgendjemand versucht zu fliehen, sollen sie schießen.«

Cranston an der Spitze, verließen sie das Gemach, gingen die Treppe hinunter und über das Tower Green bis vor die erste Festungsmauer zur einsamen, trostlosen Nordbastion. Sie traten durch die Tür, im Vorraum standen zwei Soldaten erwartungsvoll auf ihrem Posten. An der hinteren Wand hing ein Holzgestell mit verschiedenen Schlüsseln.

»So«, sagte Athelstan zu den beiden Wachen. »Jener Morgen, als Sir Ralph tot gefunden wurde … Erzählt mir noch einmal, was da passiert ist.«

Der eine der beiden Soldaten zog eine Grimasse. »Na, ich bring den jungen Parchmeiner rauf«, sagte er. »Nein, erst nehm ich den Schlüssel vom Haken. Dann bring ich ihn rauf. Ich schließ die Tür zum Gang auf, laß ihn rein, schließ die Tür wieder ab und komm runter.«

»Und dann?«

»Na«, unterbrach der zweite Soldat, »wir hören Master Geoffrey nach Sir Ralph rufen.«

»Und dann?« fragte Athelstan.

»Er kommt zurück und klopft an die Tür.« Der Bursche deutete die Treppe hinauf. »Wie schließen auf, er kommt runter und schickt nach dem Lieutenant.«

»Nein«, widersprach Athelstan. »Da war noch etwas. Das habt ihr uns zumindest erzählt.«

Der eine Soldat kratzte sich das Stoppelkinn.

»Ah«, meldete sich sein Kamerad, »ich weiß schon. Der junge Geoffrey sagt, er will Sir Ralph selbst wecken, und wir geben ihm den Schlüssel. Er geht die Treppe rauf, überlegt sich’s dann anders, kommt wieder runter, gibt uns den Schlüssel und geht Master Colebrooke holen.«

»Gut.« Athelstan lächelte. »Und jetzt, Sir John, werde ich Parchmeiners Weg zurückverfolgen.« Er warf einen raschen Blick auf den jungen Mann, der mit bleichem Gesicht und schmalen Augen wachsam dastand. Philippa starrte ihn an wie ein Kind, das sich den plötzlichen Stimmungswandel eines Erwachsenen nicht erklären kann. Sir Fulke und der Kaplan machten verwirrte Gesichter, aber Athelstan bemerkte, daß der stumme Rastani, die Hand am Messer, sich näher an Parchmeiner herangeschoben hatte.

»Mylord Coroner«, rief Athelstan, »ehe wir fortfahren, sollten alle, außer Lieutenant Colebrooke, lieber ihre Waffen abliefem.«

Leiser Protest erhob sich, aber Cranston wiederholte Athelstans Befehl, und Messer und Schwerter fielen klappernd auf einen unordentlichen Haufen.

»Nun fangen wir an«, sagte Athelstan. »Sir John, wollt Ihr bitte zählen?«

Er nickte einem der Wachposten zu. »Schließt oben die Tür auf!« Cranston begann laut zu zählen, und Athelstan lief die Treppe hinauf. Die Tür schwang auf und wurde hinter ihm abgeschlossen. Cranston verharrte ein paar Augenblicke bei Zwanzig, als Athelstan oben Sir Ralphs Namen rief; dann zählte er weiter. Er war gerade bei Fünfzig angelangt, als Athelstan oben an der Treppe gegen die Tür hämmerte. Einer der Wachen lief hinauf und schloß auf. Athelstan kam hervor und folgte dem Soldaten die Treppe herunter.

»Und jetzt«, rief der Bruder, »will ich den Schlüssel zu Sir Ralphs Kammer!«

Athelstan nahm einen Schlüssel vom Haken und lief die Treppe hinauf; auf halber Höhe blieb er stehen, schüttelte den Kopf und kam wieder herunter.

»Andererseits«, sagte er, »wollen wir doch lieber Master Colebrooke kommen lassen.« Er gab dem Soldaten den Schlüssel zurück. »Sag mir«, forderte er ihn dann auf, »habe ich länger gebraucht als der junge Geoffrey?«

»Nein, ungefähr genauso lange. Er war ’n bißchen länger oben im Gang. Aber nicht viel.«

Sir Fulke drängte sich nach vom. »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte er.

Athelstan lächelte. »Das werde ich Euch gleich zeigen. Master Lieutenant, schließt die Tür oben an der Treppe auf.«

Der Lieutenant ging die Treppe hinauf, schloß die Tür wieder auf, und alle folgten ihm in den kalten Gewölbegang. Colebrooke schloß Whittons Kammer auf, und nacheinander traten alle ein. Sir Fulke fluchte. Philippa stieß einen kurzen Schrei aus. In der Kammer war es eiskalt. Die Fensterläden standen weit offen, und das Federbett auf der schmutziggrauen Matratze des vierpfostigen Bettes war aufgeschlitzt worden. Gänsefedern quollen hervor - eine grausige Erinnerung an den Mord an Sir Ralph. »Wer war das? Was ist das für ein übler Unsinn?« fragte Kaplan Hammond.

Athelstan kümmerte sich nicht um ihn und stellte sich vor Parchmeiner.

»Ihr wißt, was ich getan habe«, sagte er ruhig. »Genau das, was Ihr an jenem Morgen tatet, als Ihr Sir Ralph ermordet habt. Und ich sage Euch, wie es sich abgespielt hat. Erstens: Als Sir Ralph in die Nordbastion zog, spieltet Ihr die Rolle des unterwürfigen Schwiegersohnes. Ihr halft ihm, ein paar Dinge hinüberzuschaffen. Die Kammer war ja erst bewacht, als Sir Ralph eingezogen war, nicht vorher; deshalb öltet Ihr sorgfältig Angeln und Türschloß, was die Ölflecke draußen im Gang erklärt. Zweitens: Das Stockwerk darüber ist abgeriegelt; das Ende des Korridors ist durch eingestürztes Mauerwerk versperrt. In diesem Geröll habt Ihr einen Dolch versteckt, wie es Colebrooke jetzt auf meine Bitte mit Sir Johns Dolch getan hat. Ich habe das Federbett aufgeschlitzt und den Dolch wieder dort versteckt. Am Abend vor Sir Ralphs Tod habt Ihr mit ihm gegessen und habt dafür gesorgt, daß er viel trank. Wahrscheinlich habt Ihr noch ein ziemlich starkes Schlafmittel hinzugegeben, um ihn benommen zu machen. Drittens: Ihr habt Sir Ralph bis zur Treppe gebracht, die Wachen halfen ihm zu seiner Kammer hinauf, und wahrscheinlich habt Ihr bei dieser Gelegenheit den Schlüssel vertauscht: Ihr habt den weggenommen, den Sir Ralph für die Wache dagelassen hatte, und einen anderen an den Haken gehängt. Als wir vorhin in Philippas Gemach waren, hat er mir den richtigen Schlüssel zugesteckt.« Athelstan machte eine Pause. »Am nächsten Morgen kommt Ihr herüber, die Wachen durchsuchen Euch, aber Ihr habt nichts bei Euch als Eure eigenen harmlosen Habseligkeiten, zu denen« - Athelstan griff dem jungen Mann vorsichtig an die Seite - »wie bei jedem Kaufmann ein Schlüsselbund gehört. Ihr geht die Treppe hinauf, die Wache macht Euch auf, und Ihr geht durch den Gang zu Sir Ralphs Kammer. Während Ihr klopft und brüllt, schließt Ihr lautlos die Tür auf; schließlich sind Schloß und Türangeln so gut geölt. Der Rest ist einfach.«