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»Aber …« Colebrooke wollte etwas sagen.

»Noch nicht«, unterbrach Athelstan ihn und betrachtete Parchmeiner aufmerksam. »Drinnen handelt Ihr blitzschnell. Die Fensterläden geöffnet, die kalte Luft hereingelassen. Dann hinüber zu Whittons Bett, den Kopf zurückgerissen. Sir Ralph, immer noch schwer benommen, schlägt vielleicht für einen Moment die Augen auf, als Ihr ihm die Gurgel durchschneidet. Ihr wischt das Messer am Bettzeug ab, schließt wieder ab, schiebt die Waffe in den Schutt und hämmert an die Tür zum Gang.« Athelstan sah leise Belustigung in Parchmeiners Blick; das Gesicht des jungen Mannes blieb kalt und unbewegt.

»Jetzt«, fuhr Athelstan fort, »macht Ihr den Schlüssel zu Sir Ralphs Kammer von Eurem Ring los. Ihr geht nach unten, laßt Euch den falschen Schlüssel geben, steigt die Treppe hinauf und vertauscht die beiden Schlüssel, während Ihr den Soldaten den Rücken zukehrt. Dann gebt Ihr den Wachen den richtigen Schlüssel zurück; ich habe eben bewiesen, daß zwei Schlüssel sehr ähnlich aussehen können. Und dann macht Ihr Euch auf die Suche nach Colebrooke.«

»O nein!« Philippa sank bleich und bestürzt gegen Sir Fulke, ohne Geoffrey aus den Augen zu lassen. »Oh, bitte, lieber Gott, nein!«

»Ja, so ist es gewesen«, verkündete Cranston obenhin. »Mein Schreiber hat es bewiesen. Die beiden Wachen haben nur gesehen und gehört, was sie sollten.«

»Bruder Athelstan?«

»Ja, Sir Fulke?«

»Der Leichnam meines Bruders war kalt, als Colebrooke kam.«

»Ja, selbstverständlich«, erwiderte Cranston bissig. »Kohlebecken und Kaminfeuer waren erloschen; das läßt vermuten, daß Whitton von Drogen berauscht war. Der Mörder stieß die Fensterläden auf, und die eiskalte Luft strömte herein. Bedenkt, es war ein frostiger Morgen. Daß Master Parchmeiner nicht gleich nach Colebrooke schickte, dürfte mit dazu beigetragen haben.«

Aus dem Augenwinkel sah Athelstan plötzlich eine schnelle Bewegung. »Sir John! Rastani!«

Trotz seiner Körpermassen bewegte der Coroner sich flink. Er packte den Stummen, der sich gerade auf den Mörder seines Herrn stürzen wollte, am Wams und hob ihn hoch wie ein kleines Kind.

»Ihr, Sir«, sagte er leise, »werdet auf Eurem Platz bleiben, bis diese Angelegenheit erledigt ist.« Er schüttelte Rastani wie eine Lumpenpuppe. »Habt Ihr verstanden?«

Der Stumme warf Parchmeiner einen haßerfüllten Blick zu. »Ob Ihr verstanden habt?« Cranstons Griff wurde härter.

Der Stumme klappte den Mund auf und zu und nickte dann. Cranston ließ ihn sanft zu Boden gleiten, und zwei von Colebrookes Soldaten postierten sich rechts und links von dem Mauren.

»Bewacht ihn gut!« befahl Cranston knapp. »Zieht eure Schwerter!«

Während dieses Auftritts hatte Parchmeiner nicht mit der Wimper gezuckt, sondern den Ordensbruder mit kühlem Blick betrachtet; dieser wußte, daß er einem Mann gegenüberstand, für den Mord etwas Natürliches war und der die Gelegenheit genutzt hatte, furchtbare Rache zu üben.

»Master Colebrooke!« rief Athelstan, ohne den Mörder aus den Augen zu lassen. »Ich möchte, daß man Master Parchmeiner die Hände fesselt und ein Seil um den Leib bindet.«

Colebrooke erteilte Befehle; einer der Soldaten drehte Parchmeiner die Arme auf den Rücken und fesselte Handgelenke und Daumen aneinander. Ein anderer Soldat löste seinen Gürtel, schob das eine Ende durch Parchmeiners Gürtel und schnallte das andere fest an die Ledermanschette an seinem Handgelenk. Athelstan entspannte sich und schaute sich in der kalten Todeskammer um.

»Wir müssen nicht hierbleiben«, erklärte er. »Wir können in Mistress Philippas Gemach zurückkehren.«

Das junge Mädchen sprach kaum ein Wort und stöhnte leise, als ihr Onkel sie in die Arme nahm. Die Gruppe verließ die Nordbastion. Auf dem Tower Green befahl Colebrooke, dem die Gefahr bewußt geworden war, einem Wachoffizier, die Trommel zu schlagen und die Garnison zu den Waffen zu rufen. Befehle erschallten, Tore schlossen sich, und während sie die Treppe zu Philippas Gemach hinaufgingen, hörte Athelstan, wie Soldaten und Bogenschützen unten in Stellung gingen. Er drehte sich um und lächelte Cranston an.

»Ich muß mich entschuldigen. Euer Dolch liegt noch in dem Schutthaufen in der Nordbastion.«

»Keine Sorge«, knurrte Cranston. »Was ich gesehen habe, ist mehr wert als tausend Dolche.«

Oben angekommen, blieb Parchmeiner zwischen den beiden Wachen stehen. Athelstan sah ihn neugierig an, denn der junge Mann lächelte wie über einen geheimen Scherz. Die anderen waren ein stilles, gebanntes Publikum. Rastani hockte mürrisch und verschlossen zwischen zwei vierschrötigen Wachen auf einem Schemel. Philippa seufzte leise; sie war ganz in ihren Schmerz versunken. Ihr Onkel und der Kaplan standen ihr zur Seite. Cranston goß sich einen Becher Wein ein. Athelstan ging zum Kamin und wärmte sich die Hände am Feuer.

»Die anderen Morde«, fuhr er ruhig fort, »waren ein Kinderspiel. Als Mowbray starb, war er oben auf dem Wehrgang beim Salt Tower, während Ihr anderen hier zum Abendessen bei Philippa versammelt wart. Master Parchmeiner, nehme ich an, kam als letzter. Mowbray war, wie jeder Soldat« - er drehte sich um und lächelte Colebrooke zu -, »ein Gewohnheitstier. Wir wollen annehmen, daß die Geschichte von Master Parchmeiners Höhenangst gelogen ist. Er wußte, daß Mowbray am anderen Ende der Brustwehr auf seinem gewohnten Platz stand; er schlich sich hinauf, legte den Schaft eines Speeres oder einer Axt oben über die Treppe und verkeilte ihn fest in einer der Schießscharten. Dann begab er sich in Mistress Philippas Gemach, und das Essen konnte beginnen.«

»Aber er ist dann nicht wieder weggegangen«, gab Sir Fulke zu bedenken. »Er ist nicht weggegangen, um die Sturmglocke zu läuten.«

»Natürlich nicht«, sagte Cranston. »Master Colebrooke, ist alles bereit? Ist die Garnison gewarnt? Nun …« Cranston stellte seinen Weinbecher auf den Tisch. »Ich muß mich erleichtern. Wenn ich recht verstanden habe, gibt es einen Abtritt unten am Gang?«

Sir Fulke nickte verblüfft. Cranston ging zur Seitentür hinaus. Die anderen blieben regungslos sitzen wie Figuren auf einem Fresko. Plötzlich sprang alles auf, denn die große Sturmglocke läutete los. Befehle wurden gebrüllt, Männer rannten, und das Geläut verstummte. Cranston kam grinsend wieder hereingeschlendert.

»Wer hat die Glocke geläutet?« quiekte der Kaplan.

»Ich«, sagte Sir John.

»Wie denn?«

Athelstan wandte dem Feuer den Rücken zu und ergriff das Wort. »Sir John ging zum Abort«, sagte er ruhig. »Ein Bogenschütze mit einer kleinen Armbrust begleitete ihn. Mir war aufgefallen, daß man durch das Fenster über dem Abtritt auf das Tower Green schaut. Der Bogenschütze brauchte sich nur hinter den Vorhangzu stellen, der den Abtritt verbirgt, einen Bolzen abzuschießen und die Glocke zu treffen.« Athelstan zuckte die Achseln. »Ihr kennt den Mechanismus. Wenn die Glocke einmal ins Schwingen gebracht wird, läutet sie endlos.«

»Aber es war doch dunkel«, wandte Sir Fulke ein.

»Nein, Sir Fulke. Wie Ihr Euch vielleicht erinnert, stehen Fackeln um die Glocke.«

»Aber der Bolzen wurde nicht gefunden!«