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Als er in die Kirche hinaustrat, wußte er, daß seine Gebete fruchtlos gewesen waren. Watkin saß auf dem Ehrenplatz, die anderen Gemeindemitglieder kauerten rechts und links von ihm auf den Bänken. Crim hatte Athelstans Stuhl aus dem Chorraum geholt: als er Platz nahm, sah Athelstan, daß Watkin eine höchst wichtige Miene aufgesetzt hatte. Sein Blick flackerte geheimnisvoll, und der Mund war geschürzt, als gälte es, etwas sehr Bedeutendes zu verkünden.

Auch Ursula, die Schweinebäuerin, war gekommen; sie hatte, den Protesten der anderen zum Trotz, ihre große fette Sau mitgebracht. Das Tier watschelte behaglich grunzend umher. Athelstan war sicher, daß das ärgerliche Geschöpf ihn angrinste, aber er erhob keine Einwände. Besser hier als draußen. Ursula war ein streitsüchtiges, aber gutherziges altes Weib. Dennoch hegte der Bruder blinden Haß gegen ihre große, fettbäuchige Sau, die in regelmäßigen Abständen über seinen Garten herfiel und alles Gemüse wegfraß, das er dort anzupflanzen versuchte. Athelstan sprach ein Gebet zum Heiligen Geist und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Brüder und Schwestern«, begann er, »willkommen zu unserer Versammlung am Fest der heiligen Lucia.« Er ignorierte Watkins Flackerblick. »Wir haben einiges zu besprechen.« Er lächelte Benedicta zu und sah dann erschrocken, daß Watkins Frau die Hure Cecily wütend anfunkelte. Zwischen diesen beiden Frauen herrschte heftige Antipathie; Watkins Frau hatte sich in der Vergangenheit oft laut gefragt, weshalb ihr Mann eigentlich so oft mit Cecily die Reinigung der Kirche besprechen mußte. Huddle, der Maler, starrte mit leerer Miene auf eine kahle Wand; wahrscheinlich träumte er von dem Bild, das er darauf malen würde, wenn Athelstan ihm das nötige Geld gäbe. Der größte Teil der Gemeindegeschäfte waren profane Angelegenheiten. Die Tochter von Pike, dem Grabenbauer, wollte den ältesten Sohn von Amisias, dem Walker, heiraten. Das große Buch des Blutes wurde befragt, ob zwischen den beiden Familien eine Blutsverwandtschaft bestand. Zu seiner Freude konnte Athelstan bekanntgeben, daß es keine gab, und man wandte sich den Fragen der nahenden Weihnachtszeit zu, sprach über die Sternenfeier, die in der Kirche stattfinden würde, über die drei Messen am Weihnachtstag, über die Nichtbezahlung von Begräbnisgebühren und über die Angewohnheit der Kinder, aus dem Weihwasserbecken zu trinken. Tab, der Kesselschmied, erbot sich, neue Kerzenhalter zu machen, zwei große, mit Löwen. Der Schreiber Gamelyn war bereit, zum Ende jeder Weihnachtsmesse ein schönes Lied zu singen. Athelstan war einverstanden mit dem Mummenschanz, der am St.-Stephans-Tag in der Kirche stattfinden sollte, und es gab einige Diskussionen über die Frage, wer am 28. Dezember, dem Fest der Unschuldigen Kinder, die Rolle des Kinderbischofs spielen sollte.

Athelstan sah jedoch mit wachsender Verzweiflung, wie Watkin auf seiner Bank hing, ungeduldig in die Runde schaute, sein Gemächt zurechtrückte und mit den lehmbeschmierten Stiefeln scharrte. Benedicta bemerkte Athelstans Blick und sah besorgt den Mann an, den sie liebte, aber niemals haben durfte, weil er ein geweihter Priester war. Endlich wußte Athelstan nichts mehr zu sagen.

»Also, Watkin«, bemerkte er trocken, »du hast eine sehr dringende Angelegenheit vorzubringen?«

Watkin richtete sich zu voller Größe auf. Die fettige Stirn runzelte sich unter dem leuchtend roten Schopf, der immer mehr zu einem buschigen Haarkranz wurde. Die hellblauen Augen, die neben der Knollennase um Platz zu kämpfen schienen, funkelten in die Runde.

»Der Friedhof ist geplündert!« platzte er heraus.

Athelstan stöhnte auf und senkte den Kopf.

»Wie meinst du das?« fragte Ranulf, der Rattenfänger, mit dem scharfgeschnittenen Gesicht unter der schwarzen Teerkappe. »In den letzten paar Tagen«, verkündete Watkin, »sind Leichen ausgegraben worden.«

Bestürzung allenthalben. Athelstan erhob sich und klatschte in die Hände, so lange, bis der Lärm sich legte. »Ihr wißt«, begann er, »daß auf unserem Friedhof von St. Erconwald oft Fremde begraben werden - Bettler zum Beispiel, deren Leichen niemand beansprucht. Die Gräber von Gemeindemitgliedern sind nicht angerührt worden.« Er holte tief Luft. »Trotzdem-Watkin hat recht. Aus drei Gräbern sind die Toten verschwunden. Alle drei waren eben erst bestattet worden. Eine junge Bettlerin, ein Söldner aus Brabant, der nach einer Prügelei im Wirtshaus tot gefunden wurde, und ein alter Mann, den man vor dem Hospital des Heiligen Thomas hatte betteln sehen; er wurde erfroren im Hof des Gasthofs Zum Wappenrock gefunden.« Athelstan fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Der Boden ist hart gefroren«, fuhr er dann fort. »Watkin weiß, wie schwer es ist, mit Hacke und Schaufel so tief zu graben, daß es für ein Grab reicht. Die geringe Tiefe der Gräber hat also den frevelhaften Räubern die Arbeit erleichtert.«

»Dann muß man eine Wache aufstellen«, rief Pike, der Grabenbauer.

»Willst du das übernehmen?« fragte Benedicta sanft. »Willst du die Nacht auf dem Friedhof verbringen, Pike, und auf die Grabräuber warten?« Ihre dunklen Augen musterten den Gemeinderat. »Wer will Wache stehen? Und wer weiß«, fuhr sie fort, »ob diese Grabfrevel nachts begangen werden? Vielleicht geschieht es nachmittags oder abends?«

Athelstan warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Ich könnte Wache halten«, schlug er vor. »Ich habe es schon getan, wenn ich… äh …«Er brach ab.

»Wenn du die Sterne studierst, Bruder«, sagte Ursula, die Schweinebäuerin; leises Gelächter war die Folge, denn die ganze Gemeinde wußte natürlich von der seltsamen Beschäftigung ihres Priesters.

Huddle, der Maler, regte sich. »Du könntest Sir John Cranston bitten, uns zu helfen. Vielleicht könnte er Soldaten schicken, die die Gräber bewachen?«

Athelstan schüttelte den Kopf. »Der Lord Coroner hat nicht die Macht, die Soldaten des Königs hierhin und dorthin zu schicken«, sagte er.

»Und die Büttel?« fragte Watkins Frau. »Die Bezirkswache?« Ja, was ist mit denen? fragte Athelstan sich betrübt. Der Rat und die Beamten des Bezirks kümmerten sich kaum um St. Erconwald und schon gar nicht um seinen Friedhof, und daß die Gräber dreier Unbekannter ausgeräumt worden waren, würde sie einen Dreck interessieren.

»Wer tut so etwas?« fragte Benedicta leise. »Und warum? Was wollen sie?«

Auf ihre Fragen folgte Schweigen. Alle Gesichter wandten sich wortsuchend dem Priester zu. Diesen Augenblick hatte Athelstan gefürchtet. Der Friedhof war ein Gottesacker. Als er vor neun Monaten in diese Gemeinde gekommen war, hatte er sehr streng reagiert, wenn jemand dort einen Marktstand aufstellen wollte oder die Kinder mit von streunenden Hunden oder Schweinen ausgegrabenen Knochen spielten. »Der Friedhof«, hatte er erklärt, »ist Gottesland; hier warten die Gläubigen darauf, daß Christus wiederkommt.« Athelstan hatte damals nicht alle Gründe für seine Strenge benannt. Insgeheim teilte er die Angst der Kirche vor denen, die Satan, den Herrn des Kreuzwegs und Meister des Galgens, anbeteten und ihre schwarzen Künste auf Friedhöfen ausübten. Er hatte von einem Fall in der Gemeinde von St. Peter Cornhill gehört, wo ein Schwarzer Magier das Blut solcher Leichen benutzt hatte, um Dämonen und Skorpione heraufzubeschwören.

Athelstan hustete. Was sollte er antworten? Da flog die Tür auf, und Cranston, sein massiger Erretter, kam hereingerauscht.

2. Kapitel

Sir John warf seinen Mantel zurück und schob sich den Biberhut in den Nacken.

»Komm, Bruder«, donnerte er und zwinkerte Benedicta zu. »Man braucht uns im Tower. Anscheinend schert der Mord sich nicht ums Wetter.«