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»Natürlich nicht. Der Schnee rings um die Sturmglocke lag dick und unberührt. Der Bolzen traf die Glocke und fiel in den Schnee. Als die Soldaten nachschauten, weshalb die Glocke geläutet hatte, suchten sie nach Fußabdrücken und nicht nach einem Armbrustbolzen, kleiner als Eure Hand, der tief im Schnee steckte.«

»Und die Armbrust?« Zum ersten Mal sprach Parchmeiner jetzt; seine Stimme klang schroff und abgehackt.

Athelstan schüttelte den Kopf. »Wie den Dolch konntet Ihr sie im Korridor liegenlassen und später beiseite schaffen oder durch das Abtrittloch werfen. Außerdem: Wer würde etwas merken? Als Ihr hastig den Abort verließt und ins Gemach zurückranntet, war alles in Aufruhr, weil die Alarmglocke läutete. Niemand sah einen Zusammenhang zwischen Eurer Abwesenheit und dem Läuten der Glocke. Ihr wart ja auf dem Abort und nicht unten, und die Wachen hatten niemanden in der Nähe der Glocke gesehen. Der Rest war dann einfach«, fuhr Athelstan fort. »Im nächtlichen Wirrwarr konntet Ihr zum Wehrgang hinauflaufen und den Schaft über die Brustwehr in den Wassergraben werfen. Wenn Euch jemand auf der Treppe bemerkt hätte, hättet Ihr als Held gegolten, der herausfinden wollte, weshalb der arme Mowbray zu Tode gestürzt war.« Athelstan sah Cranston an. »Als Sir John mir erzählte, daß ein Armbrustbolzen im Fleisch des Bären gesteckt habe, fiel mir plötzlich ein, wie das geheimnisvolle Läuten der Sturmglocke bewerkstelligt sein konnte.« Athelstan war plötzlich müde. Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht.

»Gott allein weiß«, dröhnte der Coroner und baute sich breitbeinig vor dem Gefangenen auf, »wie Ihr den armen Horne in den Tod gelockt habt. Allerdings war der Mann so voller Angst, daß es kein Problem gewesen sein dürfte, damit zu spielen.« Er umspannte Parchmeiners Gesicht mit Daumen und Zeigefinger und drückte die Wangen zusammen. »Ich habe die grausigen Überreste Eurer Tat gesehen.«

Parchmeiner bog den Kopf zurück, lächelte und spuckte dem Coroner mitten ins Gesicht. Der Coroner wischte sich den Speichel mit dem Mantelsaum von der Wange; dann holte er aus und schlug Parchmeiner schallend ins Gesicht. Der junge Mann sträubte sich gegen die Wachen, die ihn festhielten, und Cranston schaute Athelstan an.

»Keine Angst«, sagte er. »Ich schlage ihn nicht noch einmal. Aber er hatte es verdient, weil er seine üble Tat unter mein Dach und in mein Haus getragen hat.«

Er schenkte sich Wein nach und trug den Becher zu Philippa hinüber, die neben ihrem Onkel saß. Sie hob nicht einmal den Kopf. Sir Fulke wandte sich ab, und so stellte Cranston sich mitten ins Zimmer und nahm selbst einen Schluck. »Schließlich Fitzormondes Tod.« Er verzog das Gesicht. »Das war leicht.« Er deutete auf Parchmeiner. »Unser junger Mordbube hier tut so, als verlasse er den Tower. Bei dem starken Tauwetter sind so viele Leute auf den Beinen, daß kaum jemand bemerken dürfte, wie er sich, vielleicht in einem anderen Mantel oder mit einer Kapuze, wieder herein schleicht. In dieser Festung gibt es genug finstere Winkel, um eine ganze Armee zu verstecken. Jeden Abend ging Fitzormonde zum Bären, und Parchmeiner nutzte diese Gelegenheit. Wieder mit seiner kleinen Armbrust bewaffnet, schießt er auf das Tier. Die Bestie gerät in Raserei und stürzt sich auf Fitzormonde. Die schlecht gesicherte Kette reißt, und der Hospitaliter stirbt. Geoffrey nutzt das Chaos und verschwindet durch das Haupttor oder durch eine der Seitenpforten. Man kann ihm nichts zur Last legen.«

»Ihr habt keinen Beweis!« schnarrte Parchmeiner. »Nicht den kleinsten Beweis für das alles.«

»Nein, aber den bekommen wir noch«, erwiderte Athelstan. »Erstens kann ich beweisen, daß ein Mann durchaus im kältesten Winter nachts an der Außenmauer der Nordbastion hinaufklettern kann. Aber würde er auch wieder heil herunterkommen? Ich kann den Schutt vor Sir Ralphs Kammer nach Blutflecken von dem Dolch absuchen, den Ihr dort versteckt und später zweifellos wieder geholt habt. Master Colebrooke kann feststellen, wer das Schloß und die Türangeln von Sir Ralphs Kammer geölt hat. Man kann die Sturmglocke nach Spuren eines Bolzenschusses absuchen und ebenso den Boden darunter, denn das Geschoß liegt bestimmt noch im Schneematsch. Wir können ermitteln, wer wo war, als Adam Horne umgebracht wurde.« Athelstan trat auf den bleichen Mann zu. »Wir können Euch auch hier in einen Kerker sperren, bis der Schnee schmilzt, und uns dann nach Euren Verwandten in Bristol erkundigen.«

»Aber wamm? Warum?« Philippas eingefallenes Gesicht war vom Schmerz verdüstert, und dunkle Schatten lagen unter ihren geröteten Augen. »Warum?« kreischte sie.

»Vor fünfzehn Jahren«, antwortete Cranston, der sie vor lauter Mitleid nicht anschauen konnte, »dienten Euer Vater und die anderen, die Parchmeiner ermordet hat, unter Führung von Sir Bartholomew Burghgesh als Ritter in Outremer. Ihr habt den Namen schon einmal gehört? Euer Vater«, fuhr er fort, ohne auf eine Antwort zu warten, »und die anderen verrieten Sir Bartholomew auf grausame Weise, um einen Schatz an sich zu bringen, den er dem Kalifen von Ägypten weggenommen hatte. Sir Bartholomew verließ Zypern und wollte nach Genua reisen, aber die anderen, angestiftet von Sir Ralph, informierten insgeheim den Kalifen, und das Schiff, auf dem Sir Bartholomew reiste, wurde überfallen.« Cranston kratzte sich am Kopf. »Man hatte allgemein angenommen, daß Bartholomew auf diesem Schiff sein Leben aushauchte, aber wie wir jetzt wissen, kam er vor drei Jahren zu Eurem Vater in den Tower. Sir Ralph nahm Sir Bartholomew gefangen - entweder durch einen Trick oder mit Gewalt - und sperrte ihn in ein Verlies unter diesem Turm hier. Er befahl dem Narren Rothand, die Zelle zuzumauern. Wer würde nachher schon auf das Geschwätz eines Idioten hören?« Parchmeiner begann, zwischen seinen beiden Wächtern zu toben.

»Er ist hier?« schrie Geoffrey. »Bartholomews Leiche ist hier?« Plötzlich erschlaffte er. »O Gott!« flüsterte er. »Wenn ich das nur gewußt hätte!«

Athelstan kam zu ihm. Aller Hochmut und Haß waren verschwunden, dem jungen Mann kamen die Tränen, und Mitgefühl durchströmte den Ordensbruder.

»Wer seid Ihr?« fragte Athelstan leise. »Sagt es mir. Ich verspreche Euch, Ihr dürft Bartholomews letzte Ruhestätte sehen.« Parchmeiner schaute zu Boden. »Burghgesh war nicht mein Vater«, begann er, und seine Stimme klang wie aus weiter Ferne. »Aber ich wünschte zu Gott, er wäre es gewesen. Ich war mit ihm auf dem Schiff, als es gekapert wurde. Ich war ein Waisenjunge, und ich klammerte mich an Sir Bartholomew.« Geoffrey lächelte matt. »Und er beschützte mich«, flüsterte er. »Er schob mich hinter sich und kämpfte wie ein Paladin, bis die Mauren versprachen, uns beiden das Leben zu schenken, wenn er sich ergäbe.« Der junge Mann blickte auf und blinzelte. »Sie hielten Wort, aber Bartholomew wurde mit Riemen geschlagen, bis seine Fußsohlen rohes Fleisch waren. Dann verkauften sie uns als Sklaven an einen Kaufmann in Alexandria. Sir Bartholomew arbeitete im Garten, und ich kam ins Scriptorium, wo ich Pergament bearbeiten und einlagern mußte. Die Jahre vergingen. Sir Bartholomew gab die Hoffnung niemals auf. Er kümmerte sich um mich, sorgte für mich wie für einen Sohn und beschützte mich vor denen, die mich gern wie eine Frau behandelt hätten. Und eines Nachts Schnitt er unserem Herrn die Kehle durch und plünderte seine Schatzkammer. Wir flohen durch die Wüste nach Damietta, bestachen dort einen Kaufmann, fuhren zu Schiff nach Zypern und weiter nach Genua; dann reisten wir quer durch Europa nach Southampton.«

»Wie lange ist das her?«

»Vier Jahre. Sir Bartholomew hatte mir von Whitton und dem Schatz erzählt, aber…« Fast brach ihm die Stimme. »Mein Herr war ein guter, ehrlicher Mensch. Er konnte einfach nicht glauben, daß seine Kameraden« er spuckte das Wort aus -, »daß seine Kameraden ihn verraten hatten!« Der junge Mann schüttelte den Kopf und fluchte leise. »Wir gingen nach London. Sir Bartholomew hatte noch den Schatz, den er dem Kaufmann in Alexandria gestohlen hatte, Gold- und Silbermünzen, und wir lebten wie die Fürsten in einem Gasthaus an der Barbican Street.« Geoffrey schaute Athelstan an. »Könnt Ihr das glauben, Bruder? Er wollte sich nicht damit abfinden, daß er verraten worden war. Er ließ mich im Gasthaus zurück und reiste nach Woodforde, aber von dort kam er verzweifelt zurück. Seine Frau und sein Sohn waren gestorben, das Herrenhaus war verfallen. Wir blieben im Gasthof, bis Sir Bartholomew sagte, seine Kameraden würden sich, wie verabredet, zu jedem Advent in der Nähe des Tower treffen.« Der junge Mann fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Er erkundigte sich, was aus seinen Kameraden geworden war. Zwei waren inzwischen Hospitaliter und einer Kaufmann.« Geoffrey lachte. »Sir Bartholomew, Gott segne ihn, freute sich sogar, als er hörte, daß Whitton jetzt Konstabler des Tower war, und er erzählte von der Festung, schilderte mir jede Ecke und jeden Winkel.«