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Parchmeiner stand rastlos zwischen seinen Bewachern, ganz in seine Erinnerungen versunken. »Dann ging Bartholomew zu Whitton. Er wollte um jeden Preis die Wahrheit herausfinden.« Der junge Mann zog eine Grimasse. »Aber er kam nicht zurück, und mein Verdacht bestätigte sich. Whitton hatte ihn vor fünfzehn Jahren verraten, und er hatte auch jetzt seine Stellung benutzt, um Bartholomew ermorden zu lassen.« Er funkelte Athelstan an. »Ich bin froh, daß ich sie umgebracht habe! Ich habe sie gewarnt und dazu das Zeichen benutzt, das Bartholomew und ich in unserer Gefangenschaft verwandten - das Schiff mit den drei Masten, das uns zusammenbrachte.«

»Und ich?« rief Philippa da. »Was ist mit mir?«

»Was meinst du?«

»Hast du mich nicht geliebt?«

Parchmeiner lachte. »Um jemanden zu lieben, Philippa, braucht man ein Herz. Ich habe kein Herz, keine Seele. Bartholomew war mein Leben.« Er warf dem Mädchen einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe dich benutzt«, fuhr er fort, ohne auf ihr lautes Schluchzen zu achten. »Mit Bartholomews Gold habe ich Whittons Untergang bewerkstelligt. Ich verstehe etwas von Manuskripten und Pergament, und so wurde ich Geoffrey Parchmeiner. Ach, Geoffrey ist übrigens wirklich mein Vorname. Ihr könnt mich Geoffrey Burghgesh nennen. Ich verkaufte dem Tower bestes Pergament zu einem lächerlichen Preis; ich freundete mich mit der Tochter des Konstablers an, erschmeichelte mir ihre Zuneigung.« Der Mörder lächelte.

»Und Ihr habt den Konstabler beobachtet? Seine Handlungen? Seine Stimmungen?«

»O ja, Bruder. Ich wußte, daß er und die anderen Mörder sich jedes Jahr im Advent trafen, um ihre Sünden zu feiern und zu schmausen. Ich wurde das, was er gern in mir sehen wollte: ein reicher, junger Kaufmann, ganz vernarrt in seine ziemlich reizlose Tochter. Wer seine Jugend als Gefangener der Mauren verbringt, der lernt zu schauspielern. Das muß man, wenn man überleben will.«

»Und warum jetzt?« fragte Cranston. »Warum nicht schon vor einem Jahr?«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Sir John, ich mußte planen. Ich mußte mein Wild beobachten, und als die Themse zufror, schlug ich zu. Oh, wie habe ich es genossen! Und ohne Euch wäre auch alles gelungen, Bruder. Ich habe Hornes Kopf zu Sir John geschickt, um ihm zu zeigen, daß die Gerechtigkeit ihren Lauf genommen hat.«

Parchmeiner grinste Cranston an, als ob er eine gute Geschichte erzählte, und Athelstan wurde klar, daß der junge Mann nicht mehr ganz richtig im Kopf war.

»Natürlich hätte mein Plan auch schiefgehen können«, fuhr er jetzt fort, »aber dann hätte ich mir eben etwas anderes ausgedacht. Schließlich führt ja mehr als eine Straße in die Hölle. Und ich wartete, weil die Rache, wie Ihr alle wißt, ein Gericht ist, das man am besten kalt genießt.«

»Du Dreckskerl!« schrie Sir Fulke.

»Glied des Satans!« ergänzte Kaplan Hammond.

»Kann sein«, gab Parchmeiner zurück. »Aber alle hatten sie den Tod verdient.«

»Nein, das hatten sie nicht«, widersprach Athelstan leise. »Sie hatten Unrecht getan, aber mindestens zwei von ihnen haben ehrlich bereut. Ihr hättet vor dem Oberhofgericht Klage gegen sie erheben können. Schon der Vorwurf hätte genügt, Sir Ralph zu vernichten.«

»Ich bin das Gericht Gottes!« schrie Parchmeiner auf und starrte wütend in die Runde. »Ich bin ihr Untergang! Horne hat das begriffen, als er mich in der Rüstung sah, die derjenigen von Sir Bartholomew glich.« Er spuckte zu Sir Fulke hinüber. »Gott verdamme Euch und Eure ganze Familie! Ich habe auch die Schnalle von Eurem Schuh genommen und draußen auf das Eis geworfen. Das wäre eine hübsche Wendung gewesen, wie? Euch hängen zu sehen für den Mord an Eurem Bruder!«

Sir Fulke wandte sich ab.

»Der Rest war so einfach!« fuhr Geoffrey fort. »Die Briefe wurden abgeschickt. Sir Ralph zog in die Nordbastion. Ich ölte die Angeln und das Schloß seiner Tür und versteckte einen Dolch in dem Schutthaufen im Gang. Die Schlüssel vertauschte ich, als ich dem betrunkenen Schwein zu seiner letzten Ruhestätte half.«

»Und die anderen?« fragte Athelstan.

»Oh, Mowbray, der so brütend im Dunkeln stand, war kein Problem. Ich war schon früher oben auf der Mauer, und er hatte mich nie bemerkt. Die Armbrust habe ich wirklich im Korridor versteckt und nach dem Schuß auf die Glocke ins Abtrittloch geworfen.« Geoffrey kicherte. »Horne war ein Opfer seiner eigenen Angst. Ein echter Trottel. Und Fitzormonde hatte ich vor dem Bären gewarnt.« Der Mörder biß sich auf die Lippe. »Ich hätte sie auch anders umbringen können, aber nachdem Whitton mich aufgenommen hatte, mußte das Spiel gespielt werden.«

Cranston trat vor ihn. »Geoffrey Parchmeiner«, intonierte er, »auch bekannt als Geoffrey Burghgesh: Ich verhafte Euch wegen Mordes. Ihr werdet ins Gefängnis nach Newgate gebracht und Euch zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt für Eure schrecklichen Verbrechen vor dem Königlichen Oberhofgericht verantworten.« Er sah sich um und nickte Colebrooke zu. »Führt ihn ab.«

»Ich will Bartholomews letzte Ruhestätte sehen!«

»Ja«, sagte Athelstan. »Master Lieutenant, er darf sich ansehen, was wir heute morgen entdeckt haben. Aber fesselt ihn gut!« Der Mörder warf Fulke einen letzten wütenden Blick zu, bevor Colebrooke und seine Soldaten ihn zur Tür hinausdrängten. Athelstan seufzte und sah sich um.

»Sir Fulke, Mistress Philippa, es tut mir leid.«

Philippa barg das Gesicht an der Schulter ihres Onkels und weinte lautlos. Sir Fulke wandte den Blick ab.

»Sir John«, sagte Athelstan. »Wir sind hier fertig.« Er packte sein Schreibzeug in den Leinenbeutel, verbeugte sich vor Sir Fulke und folgte Sir John die Treppe hinunter.

Draußen holte Cranston tief Luft. »Gottlob ist es vorbei, Bruder!«

Sie gingen an den abweisenden Massen des Wakefield Tower auf und ab, während ein Diener in die Nordbastion eilte und Cranstons Dolch holte.

»Ein getreuer Mörder«, sagte Sir John leise.

»Aye«, bestätigte Athelstan. »Wahnsinnig oder besessen, getrieben von Haß und Rachsucht.« Er schaute zu den Raben hinauf, die über ihnen krächzten. »Ich bin froh, hier wegzukommen, Sir John. Dieser Ort stinkt nach Tod.«

»Er heißt Das Haus des Roten Schlächters.«

»Der Name paßt gut«, meinte Athelstan.

Sie traten beiseite, als Colebrooke vorbeimarschierte. Parchmeiner, stramm gefesselt, war inmitten seiner Bewacher kaum zu erkennen. Dann kam der Diener mit Cranstons Dolch; sie strebten der nächstbesten Schenke zu.

Sir John verlangte naturgemäß »Erfrischung« nach dem, was er eine »mühselige Plackerei« nannte. Athelstan tat es ihm Becher für Becher nach. Schließlich trennten sie sich. Sir John feierte weiter, während Athelstan den widerstrebenden Philomel nach Billingsgate und über die London Bridge heim in die dunkle Einsamkeit von St. Erconwald führte.

*

Ein paar Tage später saß Athelstan auf seiner Bank gleich hinter dem Chorgitter, den behaglich schnurrenden Bonaventura auf dem Schoß. Der Bruder sah sich im Chorraum um. Alles war bereit für das Weihnachtsfest. Auf dem Altar lag ein frisches, goldgesäumtes Tuch, der Chorraum war ausgefegt, der Altar mit Efeu und Stechpalmen umkränzt, und grüne Blätter und blutrote Beeren schimmerten im Kerzenlicht. Die Kinder hatten ihr Maskenspiel aufgeführt. Athelstan lachte leise beim Gedanken daran, wie Crim, der den Joseph spielte, das Stück für einen kurzen Faustkampf mit einem der Engel unterbrochen hatte. Cecily hatte das Kirchenschiff ausgefegt und die Simse abgestaubt, und morgen würde er drei Messen feiern, eine im Morgengrauen, eine am Vormittag und eine am Mittag. Er schloß die Augen. Er würde seiner eigenen Toten gedenken, seiner Eltern und seines Bruders Francis, aber auch der Männer, die im Tower umgebrachtworden waren, und des jungen Parchmeiner, der sicher hängen würde.