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»Würdet ihr meine Einladung annehmen, wenn ich euch ins >Semiramis< einlüde?« fragte sie. Erschrocken erwiderte er:

»Ich glaube nicht; was mich betrifft, so ist das ausgeschlossen.«

Er betonte, daß er das Hausboot nur verlasse, um ins Amt zu gehen.

»Es scheint«, sagte sie, »daß ich Ihnen nicht gefalle!«

»Sie sind sanfter als der Tau!« wehrte er ab. Währenddessen wurde es Nacht. Das Hausboot erbebte unter vielen Tritten, Lärm erhob sich auf dem Steg. Sammara erschrak, als das Boot schaukelte.

»Wir leben auf dem Wasser und beben unter jedem Tritt«, erklärte er.

Nach und nach erschienen die Freunde hinter dem Wandschirm. Sie staunten, als sie Sammaras gewahr wurden, aber sie grüßten sie herzlich. Saniya Kamil deutete ihre Anwesenheit auf besondere Weise und gratulierte Anis scherzhaft. Alsbald bewegten sich seine Hände geschäftig, und die Wasserpfeife kreiste. Ragab al-Qadi schenkte einen Whisky für Sammara ein. Anis bemerkte den verstohlenen Blick Sanas zwischen ihren Haarsträhnen hindurch zu Sammara hin und lächelte. Er freute sich sehr über das Glühen der Kohlen. Er streckte Sammara die Wasserpfeife entgegen, aber sie zog sich leicht zurück; er bat die anderen, sie zu überreden, doch vergeblich. Alles schwieg, abgesehen vom Blubbern der Wasserpfeife. Verschiedene Themen kamen zur Sprache. Die amerikanische Luftwaffe hatte Nordvietnam angegriffen. Das ist wie während der Kubakrise, erinnert ihr euch? Es sind zahlreiche Gerüchte im Umlauf. Da war der Abgrund, an dessen Rand die Welt schwebte. Das Fleisch und die Genossenschaften. Gibt es etwas Neues von den Arbeitern und Bauern? Bestechung und harte Währung.

Der Sozialismus und die Verkehrsbehinderung durch Privatautos. Anis sagte sich, dies alles liege im Inneren der Wasserpfeife und gehe in Rauch auf. Wie die Muluhiya[6], die Amm Abduh gekocht hat. Unsere alte Parole: Wäre ich nicht, so wünschte ich, daß ich wäre. Erglüht am Himmel ein Licht wie das im Kohlebecken, so sagt das astronomische Institut, daß ein Stern verglüht, daß die Gruppe seiner Planeten explodiert sei und daß sich alles in Staub aufgelöst habe. Einst fiel Staub auf die Erde, da wuchs das Leben. Und dennoch sagt man mir, man werde mir zwei Tage Lohn von meinem Gehalt abziehen, oder, man sei keine Hure. Al-Ma'arri[7] hat es in einer kurzen Verszeile zusammengefaßt, an die ich mich nicht genau erinnere und die zu erinnern mir gleichgültig ist. Er war blind, deshalb sah er Sammara nicht, die seine Zeitgenossin war. »Mein Mann ist bemüht, sich mit mir zu versöhnen.«

»Gott behüte!«

…blind, deshalb sah er nicht. Der Faden ist gerissen, etwas Erfreuliches hat sich verflüchtigt. Wichtig ist, daß wir achtgeben. Worauf achtgeben? Morgen haben wir wegen der Inventur einen anstrengenden Tag im Straflager des Amts. Ein Insektenmuseum. Die Mücken aber sind Säugetiere. Sammara sagte:

»Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes eine blonde Schönheit!«

Khalid ergriff das Wort. Es war klar, daß er mit seinen Worten Laila Zaidan meinte:

»Ihr eigentliches Problem ist das der gesamten Nation, die ist nämlich auch wie eine moderne Frau, die Heirat aber ist etwas Bürgerliches…«

Er blickte in die Nacht hinaus und sah die Straßenlampen des anderen Ufers wie Lichtsäulen im Fluß schweben. Der sanfte Wind trug ihm von einem weit entfernten Hausboot Gesang herüber, es mochte von einer Hochzeitsfeier sein, so wie Muhammad al-Arabi in seiner Hochzeitsnacht gesungen hatte: »Vernehmt die wundersame Geschichte, ich verliebte mich in eine Bäuerin.« Der Onkel hatte gesagt, Gott schütze dich und beglücke dein Heim mit gesegneter Nachkommenschaft! Aber paß auf, du hast nur noch zwei Feddan[8] Land! Wie schön ist das Dorf, wenn im Garten die Orangenblüten duften, es berauscht wie der Wohlgeruch, der von den Ohrläppchen der vornehmen Damen ausgeht. »Was für ein Vorschlag!«

»Eine aufrichtige Bekanntschaft ohne Falsch…«, sagte Sammara eifrig.

»Aber was bezwecken Sie mit Ihrem Vorschlag?«

»Ich meine das Hauptinteresse, die Hauptsorge, die einen jeden beschäftigt.«

»Handelt es sich um eine journalistische Recherche?«

»Wenn Sie Bedenken haben, muß ich gleich gehen.«

»Also, beginnen wir mit Ihnen«, sagte Ahmad Nasr vorsichtig, »nennen sie uns Ihr Ziel im Leben!«

Sie schien nicht überrascht zu sein und sagte mit vertrauenerweckender Offenheit:

»Gegenwärtig beschäftigt mich vor allem der Gedanke, mich mit einem Drama zu versuchen.«

»Ein Schauspiel wird nicht ohne Anlaß geschrieben«, bemerkte Mustafa Raschid vieldeutig.

Langsam tat sie einen Zug aus ihrer Zigarette und verengte nachdenklich und zögernd die Augen.

Ali as-Sayyid lächelte teilnehmend und sagte ermutigend: »Es ist klar, daß die Atmosphäre unseres Hausboots nur Unsinn und Unfug zuläßt. Sie sind aber eine selbstbewußte junge Frau, Sie müssen es mit unserer Atmosphäre aufnehmen.« Sie senkte die Augen, als blicke sie zum Kohlebecken. »Nun gut. Um die Wahrheit zu sagen: Ich glaube an die Ernsthaftigkeit.«

Die Fragen überstürzten sich: Was für eine Ernsthaftigkeit? Wem gegenüber? Ist es nicht auch möglich, daß wir ernsthaft an das Absurde glauben? Ernsthaftigkeit setzt voraus, daß das Leben einen Sinn hat. Was für einen Sinn? Ragab rief laut:

»Ihr seht eine Zauberin vor euch, die mit ihrer Feder die Farce in ein Tendenzstück verwandeln will. Aber glauben Sie selbst daran?«

»Ich möchte es…«

»Reden Sie offen, sagen Sie mir, wie Sie das tun wollen! Wir werden gewiß dieses Wunder herzlich begrüßen.« Sie vergegenwärtigten sich die hohen Ideale, von denen einst der Sinn des Lebens ausgegangen war, und gaben zu, daß diese Ideale unwiderruflich verloren seien. Auf welches neue Fundament sollte sich nun der Sinn gründen? »Auf den Lebenswillen!« sagte sie knapp. Sie überlegten. Der Lebenswille war etwas Beständiges, Gesichertes, aber er konnte auch ins Sinnlose umschlagen. Wie sollte das verhindert werden? Konnte der Lebenswille einen Helden hervorbringen? War doch der Held gerade derjenige, der den Lebenswillen für etwas Höheres als das Leben opfert. Wie sollte dieser sonderbare Sinn gefunden werden? »Ich meine, wir sollten bei unserer Suche den Lebenswillen selbst ins Auge fassen und nicht nach einer weiteren Grundlage fragen, an die schwer zu glauben ist. Der Lebenswille ist es, der bewirkt, daß wir uns an das Leben klammern, selbst wenn wir mit unserem Verstand Selbstmord begehen. Das ist die unerschütterliche, uns unmittelbar gegebene Grundlage. Wir könnten damit über uns selbst hinauswachsen…«

»Dann ließe sich Ihre Philosophie so zusammenfassen«, sagte Mustafa Raschid, »sie ersetzt die Parole >Von oben nach unten< durch die Parole >Von unten nach oben<!«

»Keine Philosophie, das ist, was mich am meisten bewegt. Jetzt sind Sie an der Reihe…«

Verflucht sollt ihr sein. Nichts ist dem Rausch feindlicher als das Denken. Zwanzig Pfeifen sind fast völlig umsonst geraucht. Und nichts scheint tiefer im Glauben verwurzelt als der Lebachbaum. Die Beharrlichkeit der Mücken erheischt unsere Bewunderung. Verlieren die Klagerufe des Omar al-Khayyam[9] ihre Kraft, so ist es um die ewige Ruhe geschehen. All diese Sarkastiker sind Gebilde aus Atomen. Nun löst sich jeder von ihnen in eine begrenzte Anzahl von Atomen auf, sie haben Gestalt und Farbe verloren. Sie sind völlig verschwunden. Nichts ist von ihnen geblieben, was mit dem bloßen Auge zu erkennen wäre. Nur noch Stimmen sind vernehmbar. Die Stimme Ragabs: »Mein Hauptinteresse gilt der Kunst.« Die Stimme Mustafas:

»In Wirklichkeit gilt sein Interesse der Liebe, noch richtiger, den Frauen.«

Die zweifelnde Stimme Sammaras: »Ist das wirklich Ihr Hauptinteresse?«

»Nichts mehr und nichts weniger.« Ihre Stimme lockte die Stimme Ali as-Sayyids an: »Mein Hauptinteresse gilt der Kunstkritik.« Die Stimme Mustafa Raschids höhnte:

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6

Muluhiya: Eine dünne Suppe aus grünen, feingehackten Blättern.

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7

Al-Ma'arri, Abu >Ala< (973—1057): Berühmter arabischer Dichter, von Kindheit an blind. Philosophischer Skeptiker und Kritiker des religiösen Formalismus.

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8

Feddan: Flächenmaß, etwa 4200 Quadratmeter.

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9

Al-Khayyam, 'Omar (Omar Chajjam, gest. 1050): »Omar der Zeltmacher«, persischer Mathematiker und Dichter. In Europa bekannt durch seine »Vierzeiler«.