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Iwan Jefremow

Das Herz der Schlange

wissenschaftlich-phantastische Erzählung

Aus dem Russischen von Hilde Angarowa.

Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau, 1961

Durch den Nebel der Ohnmacht, die das Bewußtsein solange gefangengehalten hatte, klang wie von weit her Musik: „Schlafe nicht, denn Gleichmut bedeutet hier Tod!“

Wort und Ton der vertrauten Arie verfehlten die Wirkung nicht. Die Gedankenverbindung war hergestellt, das Bewußtsein kehrte zurück und mit ihm die Erinnerung. Wie eine endlose Kette reihten sich ihre Bilder aneinander. Das Leben war wieder erwacht. Noch bebte das gewaltige Schiff, aber die automatisch arbeitenden Mechanismen taten ihre Pflicht. Die Kraftströme beendeten ihre unsichtbaren Wirbel um jede der drei Schutzglocken. Sie blieben noch einige Sekunden in der bisherigen Lage; dann schnellten sie, wie von Geisterhand gezogen, nach oben und verschwanden im Maschenwerk der Decke inmitten eines komplizierten Geflechts von Trägern, Querstreben und Drähten. Zwei Männer verharrten unbeweglich in ihren tiefen Sesseln, die von den Glocken umhüllt gewesen waren. Ein dritter jedoch hob langsam, noch etwas benommen, den tief herabgesunkenen Kopf, schüttelte ihn dann aber leicht und mühelos und fuhr sich mit der Hand durch das volle dunkle Haar. Er richtete sich aus der tiefen, weichen Polsterung auf, setzte sich aufrecht und beugte sich vor, um den Stand der Meßgeräte ablesen zu können. Diese befanden sich in riesiger Anzahl auf einer schrägen, helleuchtenden Tafel, die zu einem großen Pult gehörte, das sich etwa einen halben Meter vor den Sesseln quer durch den ganzen Raum erstreckte.

„Die Pulsation ist vorüber!“ ließ sich eine kernige Stimme vernehmen.

„Bist du wieder früher als die anderen zu dir gekommen, Karil? Du hast wirklich eine ideale Konstitution für die Raumschiffahrt!“

Karil Ram, Elektronenmechaniker und Astronavigator des Weltraumschiffes „Tellur“, drehte sich sofort um und begegnete dem noch verschleierten Blick des Kommandanten.

Mut Ang, dessen Bewegungen noch ungelenk waren und die damit verbundene Anstrengung erkennen ließen, stellte sich vor das Pult und atmete erleichtert auf.

„24 Parsec… Fast hätten wir einen Stern passiert! Neue Geräte sind eben nicht immer ganz zuverlässig, oder vielmehr, wir verstehen noch nicht, richtig mit ihnen umzugehen. Wir können die Musik abstellen. Tei ist aufgewacht!“

In der Stille, die jetzt eintrat, hörte Karil Ram das ungleichmäßige Atmen des zu sich gekommenen Genossen.

Die Zentrale der Raumschifführung war ein großer, völlig runder Raum. Oberhalb der Gerätepulte und der hermetisch verschlossenen Türen lief ein bläulicher Leuchtschirm rings um den Raum. Nach vorn, in der Mittelachse des Schiffes liegend, befand sich in dem Schirm ein Ausschnitt. Diesen füllte die kristallklare Scheibe des Radargerätes aus. Die mächtige Scheibe von fast vier Meter Durchmesser verschmolz gleichsam mit dem kosmischen Raum und glich, wenn sich die Lämpchen der Geräte in ihr widerspiegelten, einem riesenhaften schwarzen Diamanten. Mut Ang machte eine unmerkliche Bewegung, und sogleich schlossen alle drei Personen, die sich im Kommandoraum befanden, wie geblendet die Augen.

Eine übernatürlich große rötlichgelbe Sonnenscheibe überflutete von der linken Seite her den Leuchtschirm. Ihr grelles Licht war trotz der Abschwächung durch mehrere eingebaute Filter fast unerträglich. Mut Ang schüttelte mißbilligend den Kopf.

„Um ein Haar wären wir durch die Korona dieses Sternes gejagt. Wir werden den direkten Kurs nicht weiter einhalten können. Es dürfte viel weniger gefährlich sein, seitlich daran vorbeizugehen.“

„Somit sind also auch die neuen Pulsationsraumschiffe nicht unbedingt zuverlässig“, kam aus der Tiefe des Sessels die Stimme von Tei Eron, dem Ersten Offizier und Chefastrophysiker. „Wir stellen großartige Berechnungen an, und dann schießt das Raumschiff blindlings vorwärts in der Finsternis. Wir aber liegen unterdessen wie tot innerhalb unserer Wirbelschutzfelder. Offen gestanden, mir gefällt diese Art von Raumschiffahrt nicht, mag sie auch schneller sein als alles andere, was sich die Menschheit bisher ausgedacht hat.“

„24 Parsec von der Erde entfernt!“ rief Mut Ang aus. „Und für uns sind das nur Augenblicke gewesen!“

„Augenblicke todähnlichen Schlafes“, warf Tei Eron mit düsterer Miene ein. „Auf der Erde aber waren das…“

„Es ist besser, man denkt gar nicht daran, daß auf der Erde inzwischen über achtundsiebzig Jahre verflossen sind.“ Karil Ram richtete sich auf. „Viele unserer Freunde und Verwandten werden schon tot sein, vieles wird sich verändert haben.“

„Das ist bei allen Raumschifftypen im Hinblick auf die weite Reise unvermeidlich“, sagte der Kommandant ruhig. „Auf der ,Tellur‘ haben wir aber den großen Vorteil, daß uns die Zeit bedeutend langsamer vergeht. Und obwohl wir weiter als alle anderen in den Kosmos vordringen werden, sind wir nicht länger als sie unterwegs.“

Tei Eron trat an die Rechenmaschine heran.

„Kein Zweifel“, sagte er nach einigen Minuten, „das ist der Cor Serpentis oder — wie die alten arabischen Astronomen ihn nannten — Unuk al Chai: Das Herz der Schlange.“

„Schieben Sie die Schutzwände aller Empfänger zur Seite!“ ordnete der Kommandant an.

Sie waren umgeben vom endlosen Dunkel des Kosmos. Es erschien ihnen noch tiefer als sonst, weil links von ihnen mit rötlichgoldenem Feuerschein[1] das „Herz der Schlange“ brannte, dessen grelles Licht sich gespenstisch vom tiefen Schwarz des Raumes abhob. Nur winzige scharfe Lichtpunkte entfernter Sterne und der Milchstraße hafteten an diesem Schwarz — bis auf einen helleren weißen Stern, der den Raumfahrern auffiel.

„Dorthin ist mein früheres Raumschiff, die ,Sonne‘, unterwegs“, sagte der Kommandant. „Es ist auf der Suche nach neuen Planeten.“

„Dann ist das also Klein Alpha in der Nördlichen Krone?“

„Ja, Ram, oder mit der europäischen Bezeichnung Gemma. — Aber jetzt an die Arbeit!“

„Sollen die anderen geweckt werden?“ fragte Tei Eron.

„Ja, sie sollen etwas essen, denn wir wollen noch eine oder zwei Pulsationen machen, sobald wir uns überzeugt haben, daß vor uns alles frei ist“, antwortete Mut Ang. „Schalten Sie die optischen und die Radioteleskope ein, überprüfen Sie die Abstimmung der Speicherwerke. Tei, stellen Sie die Atommotoren an! Wir werden zunächst mit ihrer Kraft den Kurs korrigieren. Sorgen Sie dafür, daß wir die augenblickliche Geschwindigkeit beibehalten!“ Tei Eron führte rasch die erforderlichen Handgriffe aus. Das Raumschiff ließ keinerlei Erschütterung verspüren, obwohl eine blendende regenbogenfarbige Flamme auf dem gesamten Feld des hinteren Leuchtschirmes aufloderte und die schwachen Sterne unterhalb der Milchstraße völlig zum Verschwinden brachte. Inmitten dieser Sterne befand sich auch die Sonne der Erde.

„Wir haben jetzt einige Stunden zur Verfügung, während deren die Geräte die Beobachtungen zum Abschluß bringen und die vierfache Überprüfung der Ergebnisse vornehmen werden“, sagte Mut Ang. „Wer gegessen hat, kann sich zurückziehen und ein wenig ausruhen. Ich werde Karil ablösen.“

Die Raumfahrer verließen die Kommandostelle. Nur Karil Ram blieb zurück. Er setzte sich in den Drehsessel in der Mitte des langen Pultes. Dann schaltete er die hinteren Empfangsgeräte ab. Die Flamme der Raketenmotoren erlosch.

Der vordere Leuchtschirm zeigte einen dunklen, unergründlich tiefen Schacht. Das war aber durchaus kein Grund zur Besorgnis, der Astronavigator freute sich vielmehr darüber. Die Ergebnisse, die in sechsjähriger Arbeit von den besten Wissenschaftlern mit Hilfe raffiniert ausgedachter Forschungsmaschinen auf der Erde erreicht worden waren, erwiesen sich als einwandfrei und fehlerlos.

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Von einem nahezu mit Lichtgeschwindigkeit sich bewegenden Raumschiff aus erscheinen Helligkeiten und Farben der Sterne völlig anders als von der Erde aus, und auch die Richtungen, aus denen das Licht der Sterne kommt, werden völlig anders beurteilt als von einem langsamen Raumschiff (Doppler-Effekt und Aberrationserscheinungen). Wenn der Autor hier trotzdem ganz normale Beobachtungen beschreibt, dann muß man annehmen, daß auch jetzt nicht direkt beobachtet wird, sondern über einen Leuchtschirm. Grundsätzlich gibt es technische Möglichkeiten zur „Übersetzung“ von Wellenlängen und dergleichen, wenn sie in der hierzu nötigen Form gegenwärtig auch utopisch sind.