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Sie hatten angehalten, als sie die Stelle erreichten, die Guarrs Späher für ihr erstes Zusammentreffen mit den Angreifern ausgewählt hatten, und Cavin brauchte nur einen einzigen flüchtigen Blick, zu erkennen, wie klug diese Wahl war: Vor ihnen war der Boden geborsten, irgendwann, vor Jahrtausenden vielleicht, hatte sich der Wald um anderthalb Manneslängen gesenkt, sodass eine Klippe aus Erdreich und Wurzeln entstanden war, beinahe senkrecht und sich Meilen um Meilen nach beickden Seiten erstreckend, wie ein Riss, der sich durch die ganze Welt zog. Hier und da hatten Buschwerk und vorwitzige Bäuckme begonnen das Hindernis zu überwuchern, aber noch während Cavin nach einer geeigneten Deckung für sich und sein Pferd Ausschau hielt, bewegte sich ein ganzer Teil der Böckschung vor ihm, ein Stein kollerte, dann noch einer, und plötzcklich polterte eine Miniaturlawine den Erdbruch herab und riss Unterholz und einen kleinen Baum mit sich. Etwas Braunes, Quirliges huschte davon. Cavin schauderte. Guarrs »kleine Brüder« mochten im Geheimen arbeiten, aber er war plötzlich sehr froh, diese Wesen nicht zu Feinden zu haben.

Cavin wartete. Das Krachen und Splittern des Heeres kam beständig näher, und in der anderen, etwas tiefer gelegenen Hälfte der Welt begann Bewegung zu entstehen, ganz sacht zuerst, aber überall zugleich. Seine Hand löste den Bogen vom Sattelgurt und legte einen Pfeil auf die Sehne, fast ohne sein Zutun. Sein Pferd scheute, als etwas Kleines mit glitzernden Knopfaugen und einem handlangen nackten Schwanz an seinen Fesseln entlangstreifte. Nervös bohrte sich sein Blick in die Dunkelheit unter ihnen. Hätten sie einer nur zwei- oder dreifachen Übermacht gegenübergestanden, hätten sie vielleicht gewinnen können, denn alle Vorteile waren auf ihrer Seite.

Aber sie waren einer gegen fünfzig!

»Sie kommen«, sagte Guarr.

Cavin nickte, ohne den Blick vom Wald zu nehmen. Lassars Heer näherte sich jetzt rasch. Der gigantische Wurm aus Stahl und Fleisch war zerfallen, zu zahllosen einzelnen Körpern geworden, die sich über ein Gebiet von mehreren Meilen erstrecken mussten. Schon konnte er das Glitzern von Licht auf steinhartem Leder und Stahl erkennen und in das Splittern von Zweigen und das dröhnende Hämmern zahlloser Hufe mischten sich das Schnauben von Pferden, halblaute Rufe und Mecktallklirren. Irgendetwas begann sich am Fuße des Erdbruches zu bewegen; langsam, einzeln nicht wahrnehmbar, wie eine Woge, in der sich der ganze Waldboden hob. Einen Moment verharrte sie zitternd auf der Stelle, wurde deutlicher, ein wecknig nervöser und begann den näher kommenden Reitern entgegenzukriechen. Cavin hob seinen Bogen und zielte, aber Guarr drückte rasch seinen Arm herunter. »Noch nicht«, sagte er.

Im gleichen Moment erreichte die finstere Woge die vordersten Reiter.

Und verschlang sie.

Es ging so schnell, dass Cavin erschrak, obwohl er geahnt hatte, was geschehen würde. Die Finsternis erreichte die Reiter, überschwemmte sie, kroch rasend schnell an den Pferden hinckauf und bedeckte sie mit kribbelndem, tödlichem Leben, zerrte und biss Reiter und Tiere zu Boden, so schnell, dass kaum einer der Männer auch nur Zeit fand, einen Schrei auszustoßen.

Dann brach die Hölle los. Zehntausende der kleinen schnellen Nager brachen aus dem Boden, aus Gebüschen und Baumckwipfeln, erschienen wie tödliche Schatten aus dem Nichts oder fielen buchstäblich vom Himmel, eine gigantische, lebende Woge, die sich dem Reiterheer entgegenwarf und den Ansturm der Krieger binnen Sekunden zum Stehen brachte. Das Splittern und Dröhnen ihres Vormarsches machte einem Chor gellender Schreie Platz. Tiere bäumten sich auf und warfen ihre Reiter ab, Männer kippten aus den Sätteln, als mörderische Krallen ihre Kleider zerfetzten, tödliche Reißzähne nach ihren Kehlen und Augen und Mündern suchten, Männer und Tiere verschwanden schreiend, als sich der Boden auftat, von Milliocknen geduldig flinker Pfoten zu tödlichen Fallgruben ausgehöhlt. Aus dem Ansturm der Reiter wurde Chaos, dann, nach, Augenblicken, eine verzweifelte Flucht.

Aber es gab nichts, wohin sie fliehen konnten. Die Ratten waren überall, unter, auf und über dem Boden, in Geäst und Unterholz, in den Baumwipfeln. Binnen weniger Augenblicke war der Wald jenseits des Erdbruches mit Toten und Sterbenden übersät, und das entsetzliche Gemetzel ging weiter, denn die »kleinen Brüder« der Raetts waren wie in einem Blutrausch, unfähig, ihre Angriffe einzustellen oder von ihren Opfern abzulassen, wenn sie sich zur Flucht wandten.

Trotzdem – wie Cavin voller dumpfem Schrecken erkannte – ging der Vormarsch der Krieger weiter, denn von Süden drängckten mehr und mehr Männer heran, wie eine lebende Wand, die sich unaufhaltsam durch den Wald schob. Die Ratten griffen mit irrsinniger Wut an, aber Lassars Krieger waren jetzt gewarnt: Als das braune Heer die erste Welle der Reiter überrollt und verschlungen hatte, schlug ihm ein wahrer Hagel von Pfeicklen und Bolzen entgegen, lächerlich wenig gegen das ungeheuckerliche Heer der heranrasenden Nager und doch genug, um Lücken in ihre Reihen zu reißen. Lassars Krieger saßen ab, lösten gewaltige metallene Schilde von ihren Sätteln und vercksuchten eine Verteidigungslinie zu bilden. Auch sie wurde überrannt, aber von hinten drängten immer mehr und mehr Krieger nach, riesige, gepanzerte Gestalten jetzt, an deren mecktallenen Harnischen die Ratten keinen Angriffspunkt mehr fanden. Die bizarre Schlacht kam ins Stocken. Noch immer gellten Schmerzens- und Todesschreie wie ein apokalyptischer Chor zu den Rebellen hinauf, aber Lassars Männer wichen jetzt nicht mehr vor den Tieren zurück, sondern kämpften sich langsam und unter entsetzlichen Verlusten weiter zum Erdbruch vor. Sie mussten das Hindernis jetzt sehen – und die Kette von annäckhernd zweihundert Schatten, die mit gespannten Bögen und angelegten Lanzen auf sie warteten.

»Achtung jetzt!«, rief Cavin. »Sie kommen!«

Und sie kamen. Die Front aus Schilden und gepanzerten Leickbern öffnete sich wie ein bizarres Riesenmaul und eine gewaltige Masse finsterer Reiter sprengte auf die Böschung zu, drei-, vier-, fünfhundert, die ihre Tiere rücksichtslos durch den Wald trieben. Die meisten von ihnen fielen, noch ehe sie die halbe Strecke zurückgelegt hatten, aber aus dem Heer strömten immer neue Reiter, zwei für jeden, der fiel, und der Strom heranrasender Kolosse wurde breiter statt dünner.

»Jetzt!«, befahl Cavin.

Für die Dauer eines Atemzuges war das Peitschen der Bogensehnen alles, was er hörte. Ein finsterer Hagel aus Pfeilen senkte sich auf die Reiter herab, traf Mensch und Tier und ließ die Formation der Angreifer auseinander spritzen wie ein gewaltiger Fausthieb.

Aber die Überlebenden jagten weiter und noch immer drängckten aus Lassars Heer frische Krieger herbei, hunderte, tausende, wie es schien, eine endlose Masse finsterer riesiger Gestalten, die längst nicht mehr über zertrampelten Waldboden, sondern über einen Teppich aus Leichen ritt. Dann erreichten die Reiter die Böschung und noch einmal kam ihr Ansturm ins Stocken, als die Hälfte von Cavins Männern ihre Bögen senkte und dafür die Lanzen hob, die Böschung in einen Wald aus tödlich vorgerecktem Stahl verwandelnd, in den die Krieger hineingetrieben wurden und starben. Die Bogensehnen sirrten noch immer und jetzt, aus unmittelbarer Entfernung abgefeuert, verfehlte keines der Geschosse sein Ziel. Schon nach Augenckblicken verwandelte sich der Fuß der Böschung in ein unentckwirrbares Knäuel aus Menschen- und Pferdeleibern, Toten, Sterbenden und Verwundeten.

Und der Angriff ging weiter. Noch immer jagten Reiter in unaufhörlichem Strom heran, wurden getroffen und starben und wurden durch neue abgelöst. Und langsam, aber unbarmckherzig kam die Hauptmasse des Heeres näher.

Aber Cavin bemerkte noch etwas anderes. Etwas, das allen anderen – mit Ausnahme Guarrs vielleicht – entging und das ihn doch beinahe mehr erschreckte als das entsetzliche Töten und Sterben unter ihnen. Irgendetwas … änderte sich. Es war, als spüre der Wald den Schmerz, die grauenhafte, sinnlose Wut, den unglaublichen Hass, der sich auf beiden Seiten aufgestaut hatte – und als reagiere er darauf. Cavin konnte das Gefühl nicht in Worte fassen, aber es war da. Überdeutlich. Der Schwarzeichenwald begann sich zu verändern. Und es war keickne Änderung zum Guten.