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Es konnte nicht ungesühnt bleiben. Cavin spürte, wie der Wald das Leid und den Hass aufsog wie ein Schwamm, wie sich irgendetwas in ihm änderte, etwas Dunkles, Böses von der Seele des Schwarzeichenwaldes Besitz ergriff …

Sein Blick suchte das Heer. Der Kampf war für einen Mockment ins Stocken gekommen. Cavin schätzte, dass Lassars Heer an die tausend Mann verloren haben musste bei seinem vergeblichen Ansturm, selbst für eine so große Armee ein schmerzhafter Schlag. Aber neunmal so viele Krieger standen bereit, erneut gegen sie vorzustürmen, und sie alle wussten, dass sie einem zweiten Angriff nicht standhalten würden.

Aber zumindest im Moment schien ein solcher nicht bevorckzustehen. Ganz im Gegenteil zog die Linie aus Schreien und hektischer Bewegung, an der die Ratten noch immer gegen die gepanzerten Krieger anrannten, sich langsam zurück. Für einen ganz kurzen Moment flammte die aberwitzige Hoffnung in Cavin auf, dass sie gewonnen haben könnten, dass der verbissene Widerstand der Rebellen und der vollkommen unerwarteckte Angriff der Tiere den Kampfeswillen der Krieger gebrochen haben könnte. Aber im Grunde wusste er ganz genau, wie närrisch dieser Gedanke war.

»Was tun sie?«, flüsterte Guarr neben ihm. Cavin zuckte nur mit den Achseln. Das Heer zog sich zurück, sehr schnell sogar, aber er war Realist genug zu erkennen, dass es nur eine neue Kriegslist sein konnte, kein Rückzug, sondern eine Änderung der Taktik.

Plötzlich kam Wind auf, sehr schnell und wie aus dem Nichts, eine eisige, beständige Böe, die die Baumwipfel und das Unterholz peitschte und Cavin die Tränen in die Augen trieb. Hastig hob er den Schild, um sein Gesicht vor den schneidenden Böen zu schützen, und starrte mit neu aufflammendem Misstrauen über dessen Rand hinweg auf das feindliche Heer. Dieser Sturm war nicht normal. Er konnte den Gestank schwarzer Magie beinahe riechen, der ihn entfacht hatte.

»Was bedeutet das, Guarr?«, schrie er über das Heulen hinckweg. »Das ist Lassars Magie! Hast du nicht behauptet, sie wirkt in diesem Teil des Waldes nicht?«

Guarr pfiff eine Antwort, die Cavin nicht verstand, und deucktete mit einer hektischen Bewegung nach Süden. Cavin blickte in die angegebene Richtung.

Was er sah, ließ sein Herz stocken.

Der Wald lag schwarz unter ihnen, aber in einer halben Meile Entfernung, dort, wo sich die ersten Reihen des Heeres befinden mussten, leckten Flammen aus dem Unterholz, sprangen auf behänden, glühenden Füßen hierhin und dorthin, versengckten Moos und Büsche und züngelten an Baumstämmen.

»Großer Gott«, flüsterte Cavin. Eine eisige Hand schien nach seinem Herzen zu greifen und es mit übermenschlicher Kraft zusammenzupressen. »Dieser Wahnsinnige lässt … lässt den Wald anzünden.«

Der Wind riss ihm die Worte von den Lippen und trug sie davon, und eine halbe Meile südlich von ihnen fachte er das Feuer zu einer Wand an, einer brüllenden Wand aus Flammen und grellweißer Glut, die sich höher und höher erhob und racksend schnell näher kam …

22

Nach einer Ewigkeit erwachte sie. Anders als in den letzten Tagen, da sie aus fiebergeplagtem Schlaf hochgeschrocken war, fühlte sie sich zwar benommen und schwach, aber nicht mehr krank. Ihre Gedanken liefen, zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus den Trümmern Hochwaldens, mit gewohnter Schärfe und Klarheit ab. Sie erinnerte sich an alles, was geschehen war – die Flucht, die Verfolger, die Hunde, die sie gestellt und hatten töten wollen … Dann war etwas geschehen, woran sie nur unklare Erinnerungen hatte. Raetts. Raetts waren gekommen, ihre großen, halb tierischen Verbündeten, und mit ihnen andere, kleinere Wesen, die die Hunde getötet und die Krieger vertrieben hatten, und …

Animah öffnete die Augen, blickte gegen eine hohe, finstere Steindecke und versuchte die Hände zu bewegen. Es ging nicht.

Im ersten Moment glaubte sie gefesselt zu sein, wieder in Gefangenschaft. Dann begriff sie, dass es Bandagen waren, fest angelegte Binden, die ihre Wunden bedeckten.

Länger als eine Minute blieb sie liegen, vollkommen reglos, den Blick starr gegen die Decke gerichtet, und versuchte sich zu erinnern, wo sie war. Die Raetts hatten sie fortgebracht, an einen Ort, den sie nur aus Legenden kannte und an dem …

Karelian.

Karelian und Cavin.

Für einen Moment sah sie die Gesichter der beiden ganz deutlich vor sich. Dann verschwand das Bild und machte wieckder der schwarzen Steindecke über ihr Platz.

Mühsam wandte sie den Kopf, erblickte eine schlafende, zusammengesunkene Gestalt auf einem Stuhl neben sich und unterdrückte im letzten Moment einen Schrei, als sie sie erkannte. Karelian! Der Mann war Karelian. Es war wahr, kein Fiebertraum, keine Vision. Sie war gerettet worden und in der Megidda, der Festung im Herzen des Schwarzeichenwaldes, und –

Obwohl sie sicher war keinen Laut verursacht zu haben, fuhr Karelian im Schlaf zusammen, hob unsicher den Kopf und sah sie an. Im ersten Moment war sein Blick verschleiert; er schlief nicht mehr, war aber auch noch nicht vollends wach. Dann war er aufgeregt.

»Animah!«, rief er aus. »Du bist wach. Du …« Seine Stimme versagte. Er versuchte aufzustehen, verharrte mitten in der Beckwegung und ließ sich wieder zurücksinken. »Du … du bist wach«, murmelte er. »Verstehst du mich? Erkennst du mich, Kind?«

Animah schloss aus seinen Worten, dass dieses Erwachen nicht das erste war aber ihre Erinnerungen purzelten wild durcheinander und es lohnte auch nicht, Energie darauf zu verckschwenden.

»Wo bin ich?«, flüsterte sie. Ihre Stimme war so schwach, dass sie selbst erschrak. »Durst«, fügte sie hinzu.

Karelian schüttelte irritiert den Kopf, dann sprang er so heftig auf, dass sein Stuhl umfiel, und verschwand aus ihrem Blickfeld, um Sekunden später mit einer gefüllten Wasserschale zurückzukommen. Behutsam hob er ihren Kopf an und setzte das Gefäß mit der freien Hand an ihre Lippen.

»Du bist in Sicherheit«, sagte er, während sie trank. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Du bist an einem Ort, an den Lassars Macht nicht hinreicht.«

Animah leerte die Schale bis zur Neige, ehe sie den Kopf in die Kissen zurücksinken ließ und ihren Vater verständnislos ansah. »Einem Ort, an den –«

»Die schwarze Festung«, sagte Karelian ruhig. »Faroan selbst hat uns den Weg hierher gewiesen. Wir sind in Sicherckheit, Kind. Keine Angst.«

Aber etwas im Klang seiner Worte war falsch. Animah hatte es stets gespürt, wenn Karelian sie belog, und sie spürte es auch diesmal. Etwas stimmte nicht.

»Was ist geschehen?«, fragte sie. »Ich … ich konnte fliehen. Lassar hat Hochwalden besetzt, nicht wahr? Was ist mit Cavin und den anderen? Habt ihr … ihn befreien können?«

»Das haben wir«, bestätigte Karelian. »Es ist viel geschehen in den letzten sechs Monaten. Ich werde dir alles erzählen, aber jetzt muss ich nach Arcen rufen, dem Heilkundigen. Gott sei Dank, dass du gesund bist!« Er ließ die Schale fallen, beugte sich vor und umarmte Animah so heftig, dass es fast wehtat. Tränen der Freude rannen über sein Gesicht.

Und im gleichen Moment, in dem er Animah berührte, geschah … etwas.

Animah spürte seine Berührung, den leisen Schmerz, den diese ihrem geschundenen Körper zufügte, aber da war auch noch etwas anderes, eine tiefe, entsetzlich tiefe Kälte, die von Karelians Körper auszugehen schien. Entsetzen ergriff sie.

Und als er sich aufrichtete und noch einmal sagte, dass er nun gehen und den Heilkundigen holen würde, huschte ein Schatten über sein Gesicht. Es ging ganz schnell; der Bruchteil einer Sekunde nur, weniger Zeit, als ein Gedanke brauchte, um gedacht zu werden, und trotzdem sah Animah, wie sich seine Züge änderten, etwas Dunkles, Gestaltloses durch das vertraute Antlitz ihres Vaters zu schimmern schien, etwas ungeheuer Düsteres und Böses …

»Warte«, sagte sie.

Karelian (Karelian?!) blieb stehen, runzelte die Stirn und blickte lächelnd auf sie hinab. Aber es war nicht Karelian. Es war Lassar. Ganz plötzlich begriff Animah alles. Ihre Flucht, ihre ans Wunderbare grenzende Rettung, ihr Erwachen an einem Ort, den Menschen nicht zu betreten gestattet war, das Wiedersehen mit ihrem Vater – das alles war nicht wahr. Es war nur ein weiterer Schachzug Lassars, eine weitere Lüge in dem Gespinst von Betrug und Verrat, das er über den Wald und seine Bewohner geworfen hatte.