Выбрать главу

Ruth rief an. »Und? Haben die Landstreicher sich schon gemeldet?«

»Nein. Ich weiß immer noch nicht, was passiert ist.«

»Sie haben nichts gesagt?«

»Ich weiß es nicht mehr.«

»Das war erst gestern, und du weißt es nicht mehr?«

»Nein. Wir haben uns gestritten. Vielleicht war das der Anlass.«

»Du brauchst Tapentenwechsel. Komm doch rüber, wir lackieren uns die Nägel, quatschen und trinken ein bisschen.«

»Ich habe Angst, Ruth.«

Und da nahm sie plötzlich eine Bewegung an der Topfpflanze auf dem Fensterbrett wahr. Eine langsame, fließende Bewegung wie von einer Raupe.

»Moment Ruth, bleib mal eben dran.«

Langsam legte sie den Hörer auf den Tisch und ging zum Fenster. Mit der Spitze eines Kugelschreibers hob sie vorsichtig Blatt für Blatt an und schaute darunter. Unter dem dritten Blatt fand sie die dunkel gefleckte Raupe, Parnassius mnemonsyne, der Apollofalter, Itzpapalotl.

Bonnie starrte es regungslos an. Sie hörte die gepresste Stimme von Ruth aus dem Hörer: »Bonnie? Bonnie, was ist los? Bist du noch dran?«

Sie zog den Kugelschreiber vom Blatt weg und ging zum Hörer zurück. »Ruth, ich habe ein ungutes Gefühl.«

»Hör auf, Bonnie. Du kennst doch Duke. Der kommt wieder.«

»Ich muss mit Dan Munoz sprechen, ich glaube, etwas Schreckliches ist passiert.«

Dan kam anderthalb Stunden später. Er trug einen hellen Blazer und dazu ein schwarzes Seidenhemd.

»Hey, Bonnie, wie geht’s?«

Sie führte ihn ins Wohnzimmer. »Möchtest du einen Kaffee oder etwas anderes?«

»Nein, danke. Ich sollte eigentlich seit einer Viertelstunde drüben in La Brea sein. Ein Jugendlicher hat seinen besten Freund mit dem spitzen Ende eines Strandsonnenschirms niedergestochen.«

»Ich hätte dich gar nicht belästigt, aber ich hatte solche Angst.«

»Kein Problem. Dafür hat man doch Freunde.«

Sie reichte ihm ein leeres Marmeladenglas. »Das hab ich in meiner Pflanze gefunden.«

Dan hielt das Glas gegen das Licht und betrachtete die Raupe. »Hübsch hässlich, der Kleine, was?«

»Es ist dieselbe Schmetterlingsart, von der ich dir erzählt habe… ein Apollofalter.«

»Okay. Und?«

»Und Ray und Duke sind spurlos verschwunden und ich glaube, etwas Schreckliches muss geschehen sein.«

Dan schaute sich im Raum um. »Aha, etwas Schreckliches, sagst du. Was denn?«

»Also nehmen wir an, dass dieses Ding eine Art mexikanische Todesgöttin ist, dass sie tagsüber wie ein harmloser Falter aussieht und nachts zum Monster mit Messern an den Flügeln wird.«

Dan hatte den Mund offen und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Naaa gut, nehmen wir das mal an…«

»Sie könnte Duke und Ray getötet… und die Leichen weggebracht haben.«

»Okay, aber ich seh hier kein Blut. Sie hat doch Messer an den Flügeln, stimmt’s? Und auch noch eine Messerzunge. Also da wäre doch alles voller Blut, aber hier sieht’s aus wie in einer Ausgabe von Schöner Wohnen.«

»Dann hat sie sie vielleicht nur verschleppt.«

»Keine Spuren eines Kampfes. Und du hättest nichts davon mitgekriegt? Na hör mal, Bonnie.«

»Ich weiß es doch auch nicht. Es ist, als fehlt ein Stück meiner Erinnerung. Es ist wie ausgelöscht.«

»Du warst einfach übermüdet. Ich vergesse auch Dinge, wenn ich nicht genug Schlaf bekomme. Am besten, du gehst den gestrigen Tag noch mal chronologisch Schritt für Schritt im Kopf durch.«

»Das hab ich doch schon versucht.«

»Also, noch mal. Wo warst du überall? Am Morgen hast du in George Keighleys Haus geputzt… Wann warst du da fertig?«

»Um zwölf, vielleicht kurz nach zwölf.«

»Und dann? Hast du die Matratzen zur Riverside-Deponie gebracht?«

»Genau. Dann bin ich nach Hause gefahren und da waren Ray und Duke. Ich dachte nämlich, Duke hätte seinen ersten Arbeitstag im Century Plaza Hotel, aber das war eine Lüge, und darum haben wir uns gestritten.«

»Und ist er da schon weggegangen?«

»Nein… Ich habe Esmeralda so ungefähr um drei angerufen. Ich weiß noch, dass ich während des Telefonats aus dem Fenster gesehen habe, und da waren beide noch im Garten. Dann hab ich geduscht, was anderes angezogen und kurz nach sieben bin ich dann zu Esmeralda gefahren, um bei ihr diesen Juan Maderas zu treffen, der alles über mexikanische Mythologie und Volksglaube und so was weiß. Esmeraldas Vater war auch da.«

»Danach bist du gleich nach Hause gefahren?«

»Ja.«

»Um wie viel Uhr warst du zu Hause?«

»Keine Ahnung. Es war noch nicht sehr spät. Gegen halb zehn, würde ich sagen.«

»Und Ray und Duke waren da?«

Bonnie zog die Stirn kraus. Sie erinnerte sich daran, den Buick geparkt zu haben und ausgestiegen zu sein. Sie sah sich die Haustür öffnen, hörte sich »Gute Nacht, Duke, träum was Schönes«, sagen. Wenn sie zu ihm gesprochen hatte, musste er da gewesen sein.

»Duke war da«, sagte sie und nickte erst langsam, dann entschlossen. »Er war bestimmt da. Bestimmt hatte er ein paar Bier zu viel und ist früh ins Bett gegangen.«

»Und Ray?«

Sie hatte an seine Tür geklopft und »Gute Nacht, hör nicht mehr so lang Musik« gerufen. Also musste auch Ray da gewesen sein.

»Ja… Ray war auch da.«

Dan verzog das Gesicht. »Du weißt, was das bedeutet? Irgendwann in der Nacht sind Ray und Duke aufgestanden, haben sich angezogen und sind aus dem Haus, nicht ohne zuvor auf wundersame Weise die Tür von innen wieder zu verschließen.«

»Genau darum glaube ich ja, dass etwas Schreckliches passiert sein muss!«

»Also sind wir jetzt im Bereich des Übernatürlichen? Akte X, oder was? Das glaubst du doch selber nicht, oder?«

»Dann frag doch Howard Jacobson. Oder diesen Juan Maderas. Oder Esmeraldas Vater. Die scheinen alle zu glauben, dass dieses Insektenmonster wirklich existiert.«

Dan schlug sein Notizbuch auf. »Pass auf. Wenn ich in La Brea fertig bin, werde ich dir ein paar Jungs von der Spurensicherung schicken, damit die sich mal schnell hier umsehen, wenn du nichts dagegen hast.«

»Natürlich nicht. Wenn wir so herausfinden, was passiert ist.«

»Ich kann nichts versprechen, aber man weiß ja nie. In der Zwischenzeit telefonierst du weiter herum. Klapper Dukes Stammkneipen ab, sprich mit seinen Freunden.«

»Er hat keine Freunde.«

Leben ohne Duke

Die nächsten vier Tage verliefen wie in einem Stummfilm.

Am Morgen erwachte sie in einem stummen Haus. Zum Frühstück aß sie einen Joghurt und starrte auf den laufenden, tonlosen Fernseher. Danach stellte sie sich an das Wohnzimmerfenster und sah hinaus, hoffte, jeden Moment Duke und Ray zu sehen, die lachend und winkend über die Straße auf sie zukamen. Aber sie kamen nicht.

Wenn am Nachmittag die Sonne um das Haus gewandert war, setzte sie sich mit ein paar Zeitschriften in den Garten, aber mit einem Ohr lauschte sie immer nach dem Telefon. Wenn es klingelte, sprang sie auf und spürte unweigerlich einen brennend salzigen Geschmack im Mund.

Am fünften Tag rief Lieutenant Munoz an, gerade als Bonnie ihren Joghurt gegessen hatte. »Also wir haben da einen Auftrag im Benedict Canyon für dich. Wir könnten uns da so gegen zehn treffen, wenn du interessiert bist.«

»Ich weiß nicht, Dan.«

»Das ist eine knifflige Angelegenheit, Bonnie, die möchte ich niemand anderem anvertrauen. Technisch gesehen macht Ken Kessler wahrscheinlich auch gute Arbeit und er würde es machen, aber für diese Sache muss man schon das richtige Händchen haben. Wenn du herkommst, siehst du schon, was ich meine.«