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Es gibt viel, was ich kann, Djun.

Das rote Licht des Notrufs loderte am Armaturenbrett auf.

Klawdi erschauderte. Er bildete sich das nicht ein. Das Licht blinkte und blinkte, bat um seine Antwort, forderte sie …

»Nieder mit dem Abschaum«, sagte er hohnlachend ins Telefon. »Was gibt es?«

Ein kurzes Schweigen.

»Klawdi …«

Er erkannte die Stimme nicht. Zu viele Störungen gab es, zu entstellt klang sie, zu fern und unwahrscheinlich.

»Klawuschka, ich bin’s, Fedora … Wir wissen … der Herzog … hat dir … Klawuschka, gib den Befehl. Schnell. Beeil dich.«

»Wo bist du?«

»In Altyza. Die Hexendichte pro Kopf der Bevölkerung nimmt rasant ab, sie ballen sich zusammen, in der Nähe von Wyshna, die kritische Masse …«

»Sind die Kinder bei dir?«

»Ja. Wo bist du, Klaw? Gib den Befehl, aber lass genügend Zeit, damit dich der Hubschrauber abholen kann. Sag mir nur, wo du bist …«

Ein Hubschrauber.

Er senkte kurz die Lider. Es war ihm nie gelungen, das Gefühl genau zu bestimmen, das diese Frau ihm entgegenbrachte. Ob es das war, was alle Welt Liebe nannte?

»Die Koordinaten, Klaw! Gib mir die Koordinaten durch!«

Er schielte auf die Karte. Genau ließ es sich nicht bestimmen, doch das Dorf Podralzy schien nicht weit entfernt zu sein.

»Beeil dich, Klaw! Sonst ist es zu spät!«

»Schweig!«

Warum war ihm, einem erwachsenen, ernsten Mann, nur eine derart lebhafte Phantasie gegeben? Jetzt sah er den Hubschrauber vor sich, der hinter einem Hügel aufstieg, sah die Flügel, die sich in der Luft drehten, sah die Leiter, die heruntergelassen wurde, spürte den Windzug …

In der Ferne zog Wind auf. Immer stärker und stärker. Er fiel über den Graf her, als wolle er ihn von der Straße drängen. Nach einer Weile gab er ihn wieder frei und legte sich.

»Ich kann deinen Vorschlag nicht annehmen, Fedora. Trotzdem vielen Dank.«

»Klawdi! Wo bist du, Klawdi? Klaw!«

Er öffnete das Handschuhfach und zog das Kabel aus dem Anschluss. Das rote Lämpchen erlosch, die Leitung war tot. Klawdi warf den Apparat auf den Beifahrersitz.

Eine spitzbübische junge Frau, eine Hexe auf dem Besen, schaute ihn von der Postkarte an, die an der Seite der Windschutzscheibe steckte. In ihrem Blick lag ein belustigtes Mitgefühl. Bis zur Explosion blieben noch zwanzig Minuten, als ein jäh aufkommender Wind das Auto quer über die Straße schleuderte und mit einem Schlag sämtliche Seitenfenster eindrückte.

Klawdi schaffte es gerade noch, sich zu ducken. Er krümmte sich am Boden des Wagens zusammen, wobei er mit seinem Körper das Kästchen schützte. Der Druck der Mutterhexe nahm zu, trat immer deutlicher zutage. Die Sterne über ihm verloschen, alles verlosch, selbst der ferne Widerschein des Feuers. Das Auto stellte sich wie ein Zirkuspudel auf die Hinterräder, ragte auf, um dann auf alle viere zu krachen, dabei rieselten Glassplitter. Die spitzbübische Frau von der Karte verschwand, hörte auf zu existieren.

Der Wind legte sich.

Gewittergeruch schwängerte die Nacht. Frisch und intensiv, sogar angenehm — wäre da nicht der Geist der Mutterhexe gewesen, der mit jedem Augenblick erstarkte und alles mit seiner triumphierenden Anwesenheit vergiftete. Zwei Schritte vom Auto entfernt lag, die Gebüsche am Straßenrand erbarmungslos platt walzend, ein riesiger Konzertflügel.

Vorsichtig trat Klawdi auf die Kupplung.

Im Auto steckte noch Leben. Folgsam setzte es sich in Bewegung, umrundete die quadratischen Gehäuse der Fernseher mit den zersprungenen Bildröhren, die hölzernen Vitrinen mit den eingeschlagenen Scheiben und allerlei weiteres, phantastisches Zeug. Die Reifen verloren Luft, das Auto verwandelte sich in ein bockiges Tier, das den Wunsch seines Herrn jedoch uneingeschränkt teilte und sich weiter und weiter vorpirschte.

Bis zur Explosion blieben noch sieben Minuten. Der Befehl musste unverzüglich bestätigt werden. Klawdi wusste nur zu gut, dass die Raketen drei Minuten brauchten, um ihr Ziel anzufliegen.

Noch sieben Minuten Leben. Eine unendlich lange Zeit. Er würde es noch schaffen, eine Zigarette zu rauchen. Er würde es noch schaffen, im Gras zu sitzen, die Sterne anzuschauen und sich an Ywha zu erinnern — so, wie sie war, als sie nackt am Ufer des Sees stand, überzogen von einer Gänsehaut, schmal, fast durchscheinend, eine Frau, die man sich anzufassen fürchtete, die man nur anschauen konnte — indem man sich die Hände vor die Augen hielt und durch die nicht ganz zusammengepressten Finger sah.

Du wirst sie umbringen, sagte Djunka traurig. Mich hast du ja auch umgebracht, nicht wahr?

»Hör auf!«, schrie er laut, wobei er vergaß, dass er mit sich selbst sprach. »Was redest du da! Niemals hätte ich …«

Er würde nie erfahren, ob es seine Djunka war, die er in jener schrecklichen Nacht getötet hatte, oder nur ein Monster, ein Gespenst, das ihre Züge angenommen hatte.

Oder er würde es erfahren. In sieben … nein, in sechs Minuten. Und die Rakete brauchte Zeit, um ihr Ziel zu erreichen.

»Du bist viel früher gestorben«, sagte er Djunka, wobei sich seine Lippen kaum bewegten. »Du bist an jenem Tag gestorben, als wir beide baden waren. Im Schilf …«

Auch Ywha ist schon längst gestorben, versicherte ihm Djunka gern. Nämlich als sie initiiert wurde.

»Ich habe sie nach der Initiation gesehen«, sagte Klawdi, der unverwandt vor sich hin starrte. »Da war sie noch wie zuvor. Sie war eine Hexe, aber sie war auch noch Ywha.«

Als ihr im Keller miteinander geredet habt, war ihre Initiation noch nicht abgeschlossen, präzisierte Djunka unbarmherzig. Du erinnerst dich doch noch, was sie am Ende dieses Gesprächs getan hat?

»Aber umgebracht hat sie mich nicht!«

Ja, und?, wunderte sich Djunka.

»Als Mutterhexe wäre sie verpflichtet gewesen, mich umzubringen!«

Das habe ich nicht gewusst, meinte Djunka verlegen, und Klawdi konnte förmlich sehen, wie sie mit den eisverklebten Augen klapperte. Das habe ich nicht gewusst. Meinst du, sie hatte Mitleid mit dir? Oder hat sie dich einfach bloß beiseite gefegt, wie langweiligen, harmlosen Müll?

»Mir bleiben in meinem Leben noch vier Minuten«, sagte er tonlos. »Und du sagst mir … so etwas.«

Ihr bleiben in ihrem Leben ebenfalls nur noch vier Minuten, sagte Djunka bitter. Willst du ihr nicht verzeihen? Bevor ihr beide sterbt?

Klawdi holte das Kästchen aus der Innentasche, das blinkend eine Bestätigung des Befehls verlangte. Er verzog das Gesicht, als leide er Schmerzen. Insgeheim hoffte er, wie er sich nun selbst eingestand, die Verbindung zur Zentrale und zu den Raketen zu verlieren. Sollte der rote Knopf versagen, so hätte er vermutlich Erleichterung empfunden und den nutzlosen Kasten einfach zum Fenster hinausgeworfen. Dann hätte er nichts mehr entscheiden müssen.

Vielleicht solltest du es noch hinauszögern, schlug Djunka sachlich vor. Gib ihr und damit auch dir noch eine halbe Stunde. Wenn du bis zum Zeitpunkt X den Befehl nicht bestätigst, wird er automatisch gelöscht. Gib einfach noch mal alles neu ein.

»Wozu soll das gut sein?«

Damit ihr euch noch treffen könnt.

»Wozu?!«

Deshalb bist du ja wohl hergekommen, bemerkte sie. Wenn es dir nur darum ginge, dich umzubringen, gäbe es doch auch noch andere Möglichkeiten.

Klawdi sagte kein Wort. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht, Tränen traten ihm in die Augen.

Andernfalls zögere es nicht hinaus, riet Djunka leise. Es ist so schmerzlich, auf den Tod zu warten. Bestätige den Befehl, schließlich warst du bereits als junger Mann tapfer. Bestätige den Befehl!