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Sie sah mit ihren Augen. Sah, wie sich die Pupillen des Mannes in undenkbarer Weise erweiterten, die Pupillen jenes Mannes, der …

»Klawdi! Klawdi!«

Der Name half ihr. Sie schrie, böse und wütend, und lief weiter, suchte den Ausgang, denn hier musste es einen Ausgang geben, es musste … einen Ausgang …

Sie kam zu einem Zimmer, dessen Boden mit Orangenschalen und Kerzenstummeln bedeckt war.

Dann ein leeres Zimmer mit einer Decke, die mit silbergrauem Menschenhaar zugewachsen war.

Ein Treppenhaus. Hier war sie schon gewesen, nein, doch nicht, das war eine andere Treppe, die ins Nichts führte und an deren Rand jemand mit den Beinen baumelte …

»Klawdi?!«

Der Mann drehte sich um.

Das war nicht Klawdi. Das war jener Mann, der mit ihr, der Zehnjährigen, mitgefahren war, in dem Bus über das Land, sich so nett mit ihr unterhalten und ihr einen Apfel gegeben hatte, während er selbst die ganze Zeit mit der Hand über das brennende Kunstleder des Sitzes strich und seine Hand dann unter sie, unter ihr Kleid und auch unter ihren schmalen Kinderpo schob.

Sie fauchte durch die Zähne, nicht wie eine Katze, sondern wie eine Schlange. Es katapultierte den Mann vom Rand der Treppe, und er fiel in den Abgrund. Sein nicht endender Schrei begleitete Ywha, während sie weitersuchte.

Eine geschlossene Tür. Noch eine. Ein leerer Raum. Das Antiquariat, hinter dessen Tür der bleiche Nasar stand, dann Professor Mytez mit der Mandoline, dann eine Blondine mit großer Nase, ihre Klassenkameradin von der Kunstschule, die immer von der Liebe der Schwäne erzählt hatte …

Und dort, hinter der Eisentür, stand ihr Vater. Sie war sieben Jahre alt. »Geh heute nicht raus, meine Kleine.« »Aber ich möchte so gern, Papa!« »Geh nicht, ich bitte dich!« »Aber ich will!« »Dann geh, meine Kleine, nur zu …«

Feuchter Lehm, der platschend in eine Grube fiel.

Wenn ich damals zu Hause geblieben wäre — mein Vater würde noch leben.

Sie stürzte weiter. Alle Türen hinter sich schließend, zuknallend, möglichst weit weg von jener Eisentür — zu der sie sich doch immer wieder umdrehte. Wenn ich damals nicht gegangen wäre … damals … wenn ich gleich alles gesagt … wenn ich damals alles erklärt hätte … wenn ich es verstanden … wenn ich es nur vorher gewusst hätte!

Diejenige, die da in dem geschnitzten Stuhl sitzt, diese reglose Statue, an der die Zeit genagt hat — bin ich das?

Als sie die nächste Tür aufriss, fand sie sich in der Turnhalle ihrer Schule wieder. Ihre Mitschüler, achtjährige Kinder, drückten sich an der gegenüberliegenden Wand herum. Sie alle trugen Turnhosen, und ihre nackten Knie funkelten. Sie wollte schon zurückweichen, wollte diesen Winkel der eigenen Seele nicht erkunden, doch dort, auf dem Boden, da lag eingeringelt eine Schlange.

»Folgt dem Faden. Hört auf eure Natur.«

Verschreckt starrten die Jungen und Mädchen einander an. Unter ihnen machte sie diejenigen aus, die sie gejagt hatten, und diejenigen, die ihr Pausenbrot mit ihr geteilt hatten. Die erste Gruppe war natürlich größer. »Verhaltet euch so, wie es euch eure Natur vorgibt. Folgt eurem wahren Wesen. Und wenn die Zeit kommt zu sterben, so sterbt. Und wenn die Zeit kommt zu leben, so lebt. Schreitet Fuß für Fuß den Faden entlang, kommt nicht vom Weg ab, denn dies ist euer Weg, geht ihn bis zum Ende!«

Aber du bist deinen Weg bereits gegangen, wunderte sich die Schlange.

Dort, am Ende des Saals, standen inzwischen keine halb nackten Kinder mehr, sondern schweigende Frauen, deren ernster Blick sie nicht eine Sekunde lang freigab.

Du bist deinen Weg schon gegangen! Du hast deine Wahl bereits getroffen, Ywha! Deine Kinder …

Die Windhose packte sie. Die Windhose trug sie in Kreisen, in einer Spirale, nach oben und hinauf zum Sternenstaub, hob sie über die reglose Statue auf dem geschnitzten Stuhl hinaus, der sie, an ihr vorbeifliegend, in die riesigen, gleichgültigen Augen blickte — die ihre eigenen Augen waren.

Ich werde es tun. Ich werde die Initiation durchlaufen.

Aber du hast die Initiation bereits hinter dir!

»Und wenn die Zeit kommt zu sterben, so sterbt. Und wenn die Zeit kommt zu leben, so lebt.«

Sie machte einen Schritt.

Ihr Weg würde sich als unsagbar schwer erweisen.

Sie lief nicht über den Schlangenkörper — sie bohrte sich durch das metallene Labyrinth im Innern der Eisenschlange. Und der Ringelkörper wand sich, wollte sie zermalmen. Sie nicht durchlassen.

Der Gang wurde enger und enger. Sie kroch vorwärts, schürfte sich die Haut an den Ellbogen und Knien auf, an den Schultern und Rippen. Die Liebe ihrer Kinder wehte ihr ins Gesicht, eine Liebe, so natürlich wie der morgendliche Dunst über einem warmen See. Und diese Liebe stieß sie wie ein Kolben zurück. Sie robbte weiter. Die Hälfte des bereits gegangenen Weges war verloren, und verloren war auch die Gewissheit, denn schließlich verlangte es sie selbst nach diesem über alles triumphierenden Festtag, nach den Feuernadeln, nach dem Himmel voller Augen, nach der Freiheit, die so gierig war wie eine gespannte Sehne …

Doch eine andere Kraft, deren Namen sie nicht wusste, trieb sie mit einem unbarmherzigen Ruf an. Sie musste weitergehen. Denn dort, am Ende des Schlangentunnels, streckte sich ihr eine Hand entgegen …

Und sie ging weiter. Sie kroch, zwängte sich durch die Eisenringe, schloss die Augen, folgte dem Magnetismus dieses zarten Rufs, der Saite, die jeden Augenblick reißen konnte, der Kraft, deren Bezeichnung sie nicht kannte.

Weißer Stoff zerriss. Zärtlichkeit durchflutete sie. Kinderhände reckten sich ihr durch die schwarzen Fetzen der Nacht entgegen. Die Zärtlichkeit schmerzte nicht, denn die Kinder besaßen sie für immer. Die Erde bebte, ein langsamer Tanz zog sich dahin, ein schmerzlicher Tanz auf der Trommel, in die sich der Himmel verwandelt hatte, ein Triumphmarsch. Und alle ihre Kinder kamen hierher …

Ihr neues Wesen erwies sich als allzu mächtig, allzu groß und schön, als dass es sich losreißen wollte, als dass es aus ihr wie aus einem Nylonstrumpf herausschlüpfen würde. Erneut presste es Ywha zurück, ganz zum Anfang ihres Weges, und die Eisenschlange rasselte mit den Gliedern, sagte jedoch kein einziges Wort. Vorhin, als sie noch lebendig und gestreift gewesen war, hatte sie schon alles gesagt: »Du bist deinen Weg bereits gegangen.«

Nun lag sie da, zerschlagen und gebrochen. Und sah die ausgestreckte Hand nicht mehr.

Sie dagegen sah, wie die Flamme des hohen Lagerfeuers züngelte. Immer höher und höher, dorthin, wo zwischen dem kreisenden Himmel und der kreisenden Erde das reglose Opfer hing.

»Ich bin nie ein Opfer gewesen. Ich bin niemals ein Opfer gewesen, und ich werde mich nicht opfern, Ywha. Ich führe lediglich das aus, was ich für notwendig erachte.«

Woher kam diese Stimme? Woher?! Oder sprach sie mit sich selbst, wollte sie sich täuschen, es sich leichter machen, sich rechtfertigen?

»Sieh mich an. Das macht niemand mit mir, das mache ich selbst, weil ich es so entschieden habe … Djunka … Ywha. Weil ich es so will.«

Sag mir den Namen, bat sie schweigend. Verrat mir, wie die Menschen das nennen, wie dieser Ruf heißt, der mir im Hals steckt, aber trotzdem nicht herauskann. Wie heißt er? Den Namen, Klawdi, nenn ihn mir!

Er schwieg. Das Feuer erhob sich und blühte auf, der Wind zauste zärtlich die orangefarbenen Flammenzungen.