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„Hu-huiiiiii!" schrie das kleine Gespenst, immer wieder:

„Hu-huiiiiiiiii!"

Kein Wunder, daß auch die übrigen Pferde scheu wurden. Die Rösser der schwedischen Reiterei gingen durch, die Biergäule mit den Kanonen ebenfalls. Sie jagten in wilder Flucht dem Apfelschimmel des Generals nach - quer über den Rathausplatz nach dem Grünen Markt und mit Holterdiepolter zum Städtchen hinaus.

Auch das schwedische Fußvolk geriet in Verwirrung. Soldaten und Offiziere ließen die Waffen fallen und wichen entsetzt zurück vor der zornigen schwarzen Gestalt mit den weißen Augen. Und die Zuschauer erst!

Frauen begannen zu kreischen, Kinder weinten. Ein Riesengeschrei erhob sich: „Weg hier! Bloß weg hier!"

Das Gedränge war fürchterlich. Man flüchtete in die Häuser, man zwängte sich in die Nebenstraßen, alles war kopflos vor Angst.

Dabei dachte das kleine Gespenst überhaupt nicht daran, den Zuschauern auch nur ein Haar zu krümmen: Ihm ging es bloß um die Schweden.

„Hu-huiiiiii, ihr vermaledeiten Halunken! Schert euch zum Satan mitsamt euren Säbeln und Spießen und Schießgewehren! Hu-huiiiiiiiii!"

Es leistete ganze Arbeit, das kleine Gespenst. Heulend und fauchend stob es von einer Ecke des Rathausplatzes zur anderen. Wehe dem armen Schweden, der sich nicht schnell genug aus dem Staub machte! Gleich packte es ihn beim Kragen und beutelte ihn, daß ihm alle Knochen knackten. Es gönnte sich keine Ruhe, bis nicht das ganze schwedische Heer über alle Berge war, einschließlich Fahnenschwinger und Feldmusik.

„Viktoria!" krähte es dann, „Viktoria! Torstenson ist geschlagen, die Schweden sind ausgerissen, Eulenberg ist gerettet! Viktoria!"

Bis zum Ende der Mittagsstunde blieb ihm noch etwas Zeit. Aber bei aller Siegesfreude fühlte es sich zum Umfallen müde. Es ist eben keine Kleinigkeit, ganz allein einen so berühmten Feldherrn mit seiner Armee in die Flucht zu schlagen.

„Ich muß sagen, für heute reicht es mir!" dachte das kleine Gespenst und beschloß, sich aufs Ohr zu legen, obwohl es noch gar nicht eins war.

Da es sich zufällig in der Nähe der Ratsapotheke befand, und da ebenso zufällig eines der Kellerfenster offen stand, schlüpfte es kurzerhand dort hinein. Es verkroch sich im untersten Schubfach einer ausgedienten Kommode. Dort gedachte es stolz seines Sieges, murmelte halblaut „Viktoria!" und schlief ein.

Katzenjammer

Am Montagmittag erwachte das kleine Gespenst mit Kopfschmerzen. Es fühlte sich matt und elend.

„Die gestrige Anstrengung hat mir gewaltig zugesetzt", dachte es. „Aber vielleicht fehlt mir weiter nichts als ein bißchen frische Luft um die Nase, ich finde es ziemlich stickig hier ..."

Es verließ die Kommode und sah sich im Keller der Ratsapotheke um. Nacheinander besichtigte es den Vorratskeller, die Waschküche und den Kohlenkeller, den Obstkeller und die Holzlege. Schließlich geriet es auf seinem Rundgang auch in den Weinkeller. „Donnerwetter, die vielen Flaschen!" staunte es. „In dem Haus scheinen Leute mit einem gesunden Durst zu wohnen."

Der Weinkeller hatte ein schmales, vergittertes Fenster zum Garten hinauf. Das Fenster stand offen. Eben wollte das kleine Gespenst den Kopf durch das Gitter stecken und einen Blick nach draußen werfen, da hörte es in der Nähe des Fensters Kinder sprechen, und schleunigst zog es den Kopf zurück.

Die drei Kinder des Apothekers lagen im Schatten des Hauses auf einer Decke und unterhielten sich. Das kleine Gespenst konnte jedes Wort verstehen. Weil es gerade nichts Besseres vorhatte, hörte es ihnen zu.

Der eine der beiden Jungen hieß Herbert und war elf Jahre alt. Seine Geschwister, die Zwillinge Günther und Jutta, waren knapp neun.

Herbert führte wie immer das große Wort.

„Ihr müßt zugeben, daß es ein tolles Stück war!" rief er. „Der Schwarze Unbekannte ist großartig. Wie die Hasen sind sie vor ihm davongelaufen! Ich finde, es war zum Totlachen!"

Jutta war anderer Meinung.

„Was du an der Geschichte bloß spaßig findest! Tut es dir denn nicht leid um das schöne Festspiel?"

„Mir schon!" brummte Günther. „Es wäre bestimmt eine feine Sache geworden, wenn dieser Kerl nicht dazwischengefahren wäre . . . Der Anfang war jedenfalls gar nicht schlecht."

„Weißt du, was mir am besten daran gefallen hat?"

fragte Jutta. „Am besten hat mir gefallen, daß alles so echt gewirkt hat. Zum Beispiel der Torstenson! Hat er nicht haargenau ausgesehen wie auf dem Bild im Burgmuseum? Sogar den Provisor Deuerlein mußte jeder für einen schwedischen Offizier halten, wenn er nicht wußte, daß er in Wirklichkeit ein verkleideter Apotheker war!"

„Ich stelle mir vor", meinte Günther nachdenklich, „wieviel Mühe und Geld es gekostet hat, vierhundertsechsundsiebzig schwedische Uniformen zu schneidern. Und woher sie wohl ihre Federhüte und Waffen hatten? Es muß für die Festspielleitung nicht einfach gewesen sein, alle Mitspieler "damit auszustatten!"

Das kleine Gespenst hing mit beiden Händen am Gitter des Kellerfensters und traute seinen Ohren nicht. Wenn es die Kinder im Garten recht verstand (und daran gab es überhaupt nichts zu zweifeln), dann waren es also gestern gar keine echten Schweden gewesen, die es verjagt hatte -und schon gar nicht der echte Torstenson!

Nein, zum Kuckuck, der echte Torstenson konnte es ganz unmöglich gewesen sein! Seit er die Burg und das Städtchen belagert hatte, waren ja volle dreihundertfünfundzwanzig Jahre vergangen! So alt wird kein Mensch, so alt werden nicht einmal Generäle.

„Was habe ich da bloß angestellt!" dachte das kleine Gespenst entsetzt. ,Ach du liebe Güte! Wie konnte ich nur so dumm sein! Und dabei kam ich mir noch wie ein großer Held vor . . . Ein feiner Held bin ich! Einer der feinsten Helden, die man sich vorstellen kann!"

Das kleine Gespenst hätte sich ohrfeigen können, so zornig war es. Je länger es über die Angelegenheit nachdachte, desto größer wurde sein Katzenjammer.

„Mir scheint, es wird höchste Zeit, daß ich wieder nach Hause zurückkehre auf den Eulenstein", sagte es sich. „Hier unten erlebt man ja nichts wie Ärger und Aufregung jeden Tag, und das reicht mir nun, davon habe ich für den Rest meines Lebens die Nase voll. - Doch bevor ich mich aus dem Städtchen empfehle, werde ich den drei Kindern im Garten erzählen, wie alles gekommen ist. Das mit den Schweden gestern und überhaupt. Dann können sie allen Leuten davon berichten. Wenn ich schon daran schuld war, daß das Festspiel ein solches Ende genommen hat, sollen die Eulenberger auch wissen, was ich mir bei der ganzen Sache gedacht habe. Es geht dabei schließlich um meinen guten Ruf!"

Ein Brief wird geschrieben

Flink und geräuschlos schlüpfte das kleine Gespenst in den Garten hinaus und versteckte sich hinter dem nächsten Fliederstrauch. Von dorther rief es die Apothekerskinder leise und freundlich an:

„Pst - Kinder! Erschreckt nicht vor mir! Ich habe euch etwas zu sagen, etwas sehr Wichtiges. Aber ihr dürft nicht davonlaufen und nicht schreien, ich werde euch nichts zuleide tun."

Herbert, Günther und Jutta blickten verwundert im Garten umher. Sie konnten sich nicht erklären, wer da zu ihnen gesprochen hatte. Jutta stieß einen kleinen Schrei aus, als sie die schwarze Gestalt mit den weißen Augen entdeckte, die langsam hinter der Fliederhecke hervorgeschwebt kam und ihnen zuwinkte.

„Ui, seht doch - der Schwarze Unbekannte!"

„So nennt man mich leider in Eulenberg", sagte das kleine Gespenst. „Und ich weiß leider auch, daß mich alle Leute im Städtchen fürchten. Dabei bin ich weiter nichts als ein unglückseliges kleines Gespenst, und es tut mir entsetzlich leid, daß ich gestern beim Festspiel dazwischengefahren bin. Aber ich habe es nicht aus Bosheit getan, sondern weil ich gedacht habe, daß der Torstenson und die Schweden echt seien ..."