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Nur einmal hob der Mönch seinen Stock zur Verteidigung, als er in der Nähe ein unheimliches Rascheln vernahm. Doch er entspannte sich wieder, als er ein bräunliches weiß gesprenkeltes Fell und ein breites Geweih erkannte, das zu einem Damhirsch gehörte, der sofort im sicheren Unterholz verschwand.

Der Waldpfad führte nun auf einen offenen, mit Farnkraut überzogenen Hang. Bruder Cyngar verspürte eine gewisse Erleichterung, weil er jetzt den Wald hinter sich hatte. Er machte sogar eine Pause, legte seinen Stock beiseite und holte, als er etwas kleines Orangefarbenes am Wegrand entdeckte, sein Messer heraus. Er kniete nieder und untersuchte die weiße Unterseite der Pilze. Viele aßen diese roh oder in Ho-nigmet getaucht. Bruder Cyngar legte sie in das kleine marsupium, das er am Gürtel trug.

Er erhob sich, nahm seinen Stock und schritt mit neuer Kraft voran, denn er wußte, daß sein Ziel nun nicht mehr fern war.

Hinter dem nächsten Höhenzug lag die Gemeinschaft von Llanpadern, das heilige Kloster der Gesegneten Brüder, in der etwa dreißig Glaubensbrüder im Dienste Gottes wirkten. Dort wollte Bruder Cyngar um die Gastfreundschaft der Mönche ersuchen und frühstücken, ehe er zur berühmten Abtei Dewi Sant auf der Halbinsel Moniu, die manche auch auf lateinisch Menevia nannten, aufbrach. Die Abtei war allen religiösen Gemeinschaften des Königreiches von Dy-fed übergeordnet. Sein eigener Klostervorsteher hatte Bruder Cyngar Botschaften an den dortigen Abt Tryffin anvertraut. Bruder Cyngar war am Vortag ge-gen Mittag aufgebrochen und hatte nach einer längeren Wegstrecke in der Holzfällerhütte übernachtet, um dann von dort zu recht früher Stunde und ohne etwas im Magen, den berüchtigten Wald von Ffynnon Druidion zu durchqueren. Ihm war wie allen anderen Pilgern, die Richtung Süden nach Moniu unterwegs waren, die sprichwörtliche Gastfreundschaft von Llanpadern bekannt.

Gelassen schritt Bruder Cyngar nun voran. Die Sonne, die noch nicht ganz durch die Wolken gebrochen war, schien bereits so warm, daß sie den Morgenfrost vertrieb.

Nun hatte er den Sattel des nackten felsigen Berges erreicht, den man Carn Gelli nannte. An seinem höchsten Punkt war ein kleiner Steinhügel kunstvoll aufgeschichtet. Darunter befand sich ein altes Grab, das dem Berg seinen Namen verlieh. Bruder Cyngar blieb stehen und schaute ins Tal hinunter. Dort lag das Kloster, ein Komplex aus grauen Steingebäuden. Aus einem großen Schornstein stieg Rauch auf. Bruder Cyngar lief den Pfad weiter, immer schneller, getrieben von dem Wunsch, rasch das Kloster zu erreichen.

Als er sich dem Tor näherte, mußte er zu seiner Verwunderung feststellen, daß es offenstand und weit und breit niemand zu sehen war. Unwillkürlich lief ihm ein Schauer über den Rücken. Das war ungewöhnlich, selbst zu dieser frühen Stunde, denn sonst traf man die Brüder von Llanpadern auf den umliegenden Feldern an, machten sie sich doch schon beim ersten Tageslicht an die Arbeit, auch an einem kalten Herbstmorgen wie diesem. Gewöhnlich herrschte an den Toren und auf den Feldern reges Treiben.

Beklommen blieb Bruder Cyngar am Tor stehen. Heute versah dort niemand seinen Dienst. Nach kurzem Zögern trat er zu dem hölzernen Pfosten, um an der Bronzeglocke zu ziehen, die dort hing. Ein schauriger Klang hallte nach. Nichts rührte sich daraufhin, kein Laut war zu vernehmen. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß sich überhaupt jemand im Kloster aufhielt.

Bruder Cyngar wartete einige Augenblicke und zog dann noch einmal die Glocke mit ihrem fordernden Läuten, diesmal länger und beharrlicher. Doch wieder regte sich nichts.

Langsam schritt er in den ausgestorbenen Innenhof und blickte sich um.

Überall herrschte Totenstille.

Mitten auf dem Hof war eine mindestens vier Meter hohe Pyramide aus Ästen und Holzscheiten aufgeschichtet, die aussah, als sollte sie in nächster Zeit angezündet werden und als ein riesiges Freudenfeuer in Flammen aufgehen. Der junge Mann betrachtete sie genauer und rieb sich dabei nachdenklich die Wange.

Er unterdrückte den Schauer, der ihm erneut über den Rücken fahren wollte, und lief über den viereckigen Hof auf die Tür der Kapelle zu und stieß sie auf. Die Kapelle wirkte düster, obwohl es heller Vormittag war. Nicht einmal die Altarkerzen waren angezündet. In dem Dunkel konnte er kaum etwas erkennen.

Da Bruder Cyngar das Kloster schon mehrere Male besucht hatte, kannte er sich hier gut aus und trat nun durch eine kleine Tür, die zum Wohntrakt führte, wie er wußte. Die Mönche verbrachten die Nacht in einem großen Schlafsaal, der jetzt vor ihm lag. Die Betten wirkten unberührt. Sie schienen entweder sehr früh aufgestanden zu sein und hatten sie gerichtet, oder sie waren in der letzten Nacht überhaupt nicht schlafen gegangen.

Während Bruder Cyngar zwischen den leeren Bettreihen umherwandelte, wurden seine Lippen immer trockener, und seine Unruhe nahm zu. Irgend etwas riet ihm, sich ganz leise über den Steinfußboden zu bewegen.

Hinter dem Schlafsaal befand sich das Refektorium, der Speisesaal des Klosters.

Auch der wirkte wie ausgestorben, das hatte er schon vermutet. Doch auf welche Weise leer und verlassen er ihn vorfinden würde, das hatte er nicht geahnt. Ein paar rußig flackernde Kerzen erleuchteten den Saal, und zu seiner Überraschung sah Bruder Cyngar, daß die Tische alle gedeckt waren und sich auf jedem Holzteller noch die halb verzehrten Speisen befanden. Messer und Löffel lagen so herum, als wären die Mönche bei ihrer Mahlzeit gestört worden. Neben den Gedecken standen Becher mit Wasser oder Wein.

Plötzlich schreckte Cyngar nervös auf und ließ seinen Schlehdornstock mit lautem Gepolter zu Boden fallen. Auf einem Tisch unweit von ihm zog eine schwarze Ratte etwas von einem Teller herunter und huschte mit ihrer Beute davon. Bruder Cyngar preßte die Lippen fest aufeinander, dann beugte er sich nach unten, um seinen Stock aufzuheben.

Nirgendwo sah er ein Anzeichen, das erklärt hätte, warum die Mönche die Tafel so überstürzt verlassen hatten. Es gab keine Unordnung, Stühle und Bänke waren zurückgeschoben, als hätten sich alle ganz normal erhoben, nichts deutete darauf hin, daß sie das Refektorium hektisch oder in Panik verlassen hätten. Bruder Cyngar ging zwischen den Tischen auf und ab und suchte nach Hinweisen, die den Anblick, der sich seinen ungläubigen Augen bot, hätten erhellen können.

Ihm fiel auf, daß die Kerzen fast heruntergebrannt waren, also hatte man sie lange vor seinem Eintreffen angezündet, an ein oder zwei Stellen war das Kerzenwachs auf den Tisch gelaufen. Es muß sich um das Abendessen handeln, dachte Bruder Cyngar, also müssen die Mönche vor Beendigung ihrer Mahlzeit einfach aufgestanden sein, alles ordentlich hinterlassen haben und ... und einfach verschwunden sein! Bruder Cyngar begann vor Angst zu zittern.

Dann nahm er all seinen Mut zusammen und machte sich daran, die restlichen Gebäude des Klosters abzusuchen, eines nach dem anderen. Die Räume des Klostervorstehers waren ordentlich und sauber, sein Bett war unberührt, und auch hier gab es keine Anzeichen für einen Tumult oder einen plötzlichen Aufbruch. Das kleine Skriptorium wirkte ebenfalls aufgeräumt, die Bücher standen in Reih und Glied in den Regalen. Draußen, auf der anderen Seite des Innenhofs, in den Lagerräumen, befand sich ebenfalls alles an seinem Platz, und als der junge Mönch die Stallungen betrat, hatte auch dort alles seine Ordnung.

Erst als er wieder über den Hof zur Kapelle zurückeilte, wurde ihm bewußt, was das zu bedeuten hatte. In den Ställen fehlten die Tiere, weder Hühner, Schweine noch Kühe oder Schafe, selbst die beiden Maulesel, die im Kloster gehalten wurden, waren da. Sie waren wie die Mönche allesamt wie vom Erdboden verschluckt.

Bruder Cyngar hielt sich für einen logisch denkenden jungen Mann. Er war der Sohn eines Bauern, so schnell ließ er sich nicht in Angst und Schrecken versetzen. Ehe die Furcht die Oberhand gewann, müßten erst einmal alle Fakten und möglichen Deutungen untersucht und genauer in Augenschein genommen werden. Vorsichtig näherte er sich dem Haupttor und suchte dabei mit den Augen den Boden ab, als würde er dort auf Hinweise stoßen, die die Flucht der Mönche und der Tiere erklärten. Die Kühe und Maulesel würden vor dem Tor sicher Spuren hinterlassen haben. Doch im weichen Boden war nichts zu sehen. Er entdeckte ein paar tiefe Wagenspuren, aber das war nicht ungewöhnlich. Viele Bauern der Umgebung trieben regelmäßig mit dem Kloster Handel. Die Wege nach Norden und Westen waren steinig, also würden dort die Fährten rasch verschwinden. Er konnte ein paar Abdrücke von flachen Sandalen, wie sie die Mönche trugen, erkennen, aber sonst so gut wie nichts. So blieb ihm nur der Schluß, daß die Gemeinde wie Rauch im Wind zerstoben sein mußte.