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Vor seinen Augen sah er nun, wie er über das schwankende, überspülte Deck zurückgegangen war, gekränkt und verärgert, bis zu den Stufen, die zu den Kajüten hinunterführten. Gerade als er sich hinunterbegeben wollte, schien die mächtige See das Schiff hochzuwerfen und es nach vorn zu schleudern. Er verlor den Halt, und seine letzte Erinnerung war die, daß er nach vorn gerissen wurde und dann . dann nichts, bis zu seinem Erwachen vor ein paar Augenblicken.

Der stämmige Mönch lächelte.

»Und wie ist dein Name?« fragte er.

»Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham, Abgesandter des Erzbischofs Theodor von Canterbury«, erwiderte Eadulf auf der Stelle und fragte dann verwirrt: »Doch wo ist Schwester Fidelma, meine Begleiterin? Was geschah mit dem Schiff? Wie bin ich hierhergekommen? Wo, sagst du, befinde ich mich?«

Der rundgesichtige Mönch grinste und hob die Hand, um der Flut von Fragen Einhalt zu gebieten. »Es scheint, daß der Stoß gegen den Kopf weder deinen geistigen Fähigkeiten noch deiner Ungeduld geschadet hat, angelsächsischer Bruder.«

»Meine Geduld hängt am seidenen Faden«, entgeg-nete Eadulf heftig und versuchte wieder, sich im Bett aufzurichten und seine pochende Schläfe zu vergessen. »Antworte mir, denn ich weiß nicht, wie ich meine Ungeduld im Zaum halten soll.«

Der stämmige Mann schüttelte den Kopf mit spöttischem Bedauern, wobei er mit der Zunge ein abschätziges Geräusch von sich gab. »Hast du nie das Sprichwort Vincit qui patitur gehört, angelsächsischer Bruder?«

»Das ist keine meiner Maximen, Bruder. Häufig zeigt die Geduld allein keine Resultate. Manchmal ist sie nur ein Vorwand, nichts zu tun. Erkläre mir, was geschehen ist.«

Der Mönch richtete die Augen zur Decke und hob resignierend die Arme. »Nun gut. Ich bin Bruder Rhodri, und das hier ist, wie ich schon gesagt habe, Porth Clais im Königreich von Dyfed.«

»An der Westküste Britanniens?«

Bruder Rhodri machte eine bestätigende Handbewegung. »Du befindest dich im Land der Kymren, den wahren Britanniern. Dein Schiff ist gestern am späten Nachmittag hier an der Küste vor Anker gegangen, um Schutz zu suchen. Unser Hafen ist nur klein, aber viele Schiffe aus Eireann laufen ihn an, um ihren ersten Halt zu machen. Du warst bewußtlos durch deinen Sturz an Bord. Also trug man dich vom Schiff herunter und brachte dich in das kleine Hospiz, das ich leite. Fast einen Tag hast du gebraucht, um wieder zu dir zu kommen.«

Eadulf lehnte sich auf das Kissen zurück und schluckte. »Einen ganzen Tag?« fragte er erschrocken.

»Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Doch, iuvenante deo, du bist gesundet«, sagte Bruder Rhodri ernst.

Eadulf richtete sich plötzlich auf, woraufhin ihm schwindlig wurde. Eine seiner Fragen hatte Rhodri noch nicht beantwortet.

»Meine Gefährtin, Schwester Fidelma . Was ist mit ihr?«

»Sie hat sich sehr große Sorgen um dich gemacht, angelsächsischer Bruder. Wir haben dich abwechselnd gepflegt. Heute vormittag allerdings wurde sie in unser Mutterhaus gerufen, um mit Abt Tryffin etwas zu besprechen.«

»Abt Tryffin? Mutterhaus?«

»Auf der Halbinsel, die auf Latein als Menevia bekannt ist, befindet sich die Abtei Dewi Sant.«

Eadulf hatte schon von der großen Abtei Dewi Sant gehört. Er wußte, daß die Britannier, die im Westen dieser Insel lebten, die sie nun mit den Angeln und den Sachsen teilten, die Abtei für beinahe so bedeutend hielten wie die Iren Iona, die Heilige Insel im nördlichen Königreich von Dal Riada. Zwei Pilgerreisen nach Dewi Sant kamen einer Pilgerfahrt nach Rom gleich, und ein Pilger konnte soviel Vergebung seiner Sünden dabei erlangen - das heißt die Vergebung seiner zeitlichen Strafen im Diesseits für von ihm begangene Sünden -, daß es für viele Jahre reichte. Eadulf bemerkte, daß er ganz im Sinne der Lehren Roms dachte, wo der Heilige Vater Vergebung aus dem Thésaurus ecclesiae, dem »Schatz der Kirche« gewährte, daß heißt aus dem Schatz von Verdiensten, die von Christus, der Jungfrau Maria und den Heiligen für die Kirche erworben worden waren. Eadulf wußte nur zu gut, daß die Kirchen der Iren und Britannier nicht an diese Art der Sündenvergebung glaubten oder gar daran, daß man sich von der eigenen Verantwortung entbinden lassen konnte, wenn man sie erwarb.

»Sie wurde dorthin gerufen? Schwester Fidelma? Ist die Abtei hier in der Nähe?« erkundigte er sich.

»In der Nähe? Ja, sie ist gut zu Fuß zu erreichen, liegt weniger als zwei Meilen von hier entfernt. Schwester Fidelma wird am Abend wieder zurück sein.«

»Und du sagst, daß wir uns auf der Halbinsel von Dyfed befinden, die als Menevia bekannt ist?«

»In unserer Sprache wird sie Moniu genannt«, bestätigte ihm Bruder Rhodri.

»Warum ist Fidelma ... Schwester Fidelma dort hinbestellt worden?«

Bruder Rhodri hob die Schultern. »Keine Ahnung, angelsächsischer Bruder. Wo du jetzt in besserer Verfassung bist, möchtest du vielleicht einen Kräutertee oder Brühe?«

Eadulf bemerkte auf einmal, wie ausgehungert er war. »Ich würde gern etwas essen, Bruder«, sagte er vorsichtig.

Wohlwollend lächelte Bruder Rhodri. »Ah, ein gutes Zeichen für deine Genesung, mein Freund. Dennoch ist es ratsam, daß du dich mit etwas Brühe begnügst. Du solltest dich auch nicht groß bewegen. Bleib hier liegen und erhole dich noch eine Weile.«

Ein paar Stunden später ging es Eadulf deutlich besser. Er hatte eine Fleischbrühe zu sich genommen, und seine Kopfschmerzen waren dank einer Kompresse, die ihm Bruder Rhodri auf die Stirn gelegt hatte, wie weggeblasen. Offenbar war Bruder Rhodri ausgebildeter Apotheker. Eadulf, der selbst an der großen medizinischen Schule von Tuam Brecain studiert hatte, war aufgefallen, daß der Umschlag aus Blättern des Fingerhuts bestand, der bei Kopfschmerzen ganz ausgezeichnete Linderung brachte. Langsam war er in einen Dämmerzustand hinübergeglitten und schließlich eingeschlafen.

Der Klang von Fidelmas Stimme weckte ihn. Als sie den Raum betrat, war er schon vollkommen wach. Eadulf richtete sich in seinem Bett auf, und die sorgenvolle Miene wich von ihrem Gesicht. Mit ausgestreckten Armen eilte sie auf ihn zu und setzte sich an den Rand seines Bettes.

»Wie geht es dir? Bist du wohlauf?« fragte sie besorgt. »Die Schwellung an deiner Schläfe scheint zurückzugehen.«

Eadulf antwortete ihr mit einem mühsamen Lächeln. »Ich fühle mich so, wie jemand sich eben fühlt, der durch einen Sturz einen Tag lang bewußtlos war.«

Sie seufzte erleichtert, hielt aber seine Hände nach wie vor in den ihren. Dann besah sie sich seinen Kopf. Sie war zufrieden und entspannte sich sichtlich.

»Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, sagte sie lächelnd. Als sie Bruder Rhodri bemerkte, der nun in der Tür stand, ließ sie schnell Eadulfs Hände los und rückte von ihm ab. »Hat dir Bruder Rhodri erklärt, wo du dich befindest und was geschehen ist?«

»Wie ich verstanden habe, hat unser Schiff Porth Clais angelaufen, um Schutz vor dem Sturm zu suchen.«

»An der Küste von Dyfed«, fügte Fidelma hinzu. »Es war wirklich ein fürchterliches Unwetter. Sobald wir den Hafen erreicht hatten, bestand ich darauf, dich in dieses Hospiz zu bringen, denn es war nicht sicher, ob du durch den Sturz nicht noch weitere Verletzungen davongetragen hattest.«

»Man hat sich anscheinend bestens um mich gekümmert.« Eadulf lächelte. »Wir können sofort an Bord des Schiffes zurückkehren und unsere Reise fortsetzen, wenn du es möchtest.«

Zu seiner Überraschung schüttelte Fidelma den Kopf. »Unser Schiff ist heute morgen mit der Flut ausgelaufen. Der Kapitän wollte nach dem Sturm so schnell wie möglich weitersegeln. Die zerfetzten Segel hat er rasch austauschen lassen.«

»Was?« Eadulf hievte sich mühsam hoch und saß nun steif im Bett. »Er hat uns hier im Stich gelassen? Wir haben ihn dafür bezahlt, daß er uns ins Königreich Kent bringt. Willst du etwa sagen, daß er auf und davon ist und uns hier, fern von allem, zurückgelassen hat?«