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Fidelma spitzte vorwurfsvoll die Lippen. Ihre Augen wanderten zu Bruder Rhodri hinüber. Sie hatten sich in Fidelmas Muttersprache unterhalten, die Eadulf genausogut beherrschte wie seine eigene und vielleicht noch besser als Latein. Wollte sie ihn warnen?

»Wir sind hier nicht fern von allem. Das Königreich von Dyfed unterhält gute Beziehungen zu anderen Ländern und Königreichen. Und im übrigen hat uns der Kapitän einen Teil unseres Reisegeldes zurückgezahlt.«

Eadulf schaute nun auch zu Bruder Rhodri. Offenbar verstand er ihre Sprache ein wenig, denn er schien der Unterhaltung gefolgt zu sein.

»Ich wollte nur sagen, daß wir von Canterbury noch weit weg sind«, stellte Eadulf klar. »Es ist schon ärgerlich, daß der Kapitän nicht warten konnte.«

»Kommt Zeit, kommt Rat. Es wird sich schon ein Weg finden«, tröstete ihn Fidelma.

Unwillig zuckte Eadulf mit den Schultern. »Wir haben nicht so viel Geld, als daß wir es uns leisten könnten, etwas unnütz auszugeben«, mahnte er sie. »Wir müssen ein neues Schiff finden, und die Reise nach Canterbury wird teurer als erwartet für uns werden.«

Fidelma tat seine Worte mit einer Geste ab. »Wichtig ist, daß du dich ausruhst und wieder ganz zu Kräften kommst, Eadulf«, entgegnete sie mit Nachdruck. »Denk dran, die Gezeiten des Meeres kommen und gehen.« Sie wollte aufstehen.

»Bleib noch ein wenig sitzen«, drängte Eadulf sie. »Ich bin nicht müde.«

Fidelma schaute wieder zu Bruder Rhodri, der gerade eine Lampe anzündete, denn während ihrer Unterhaltung war die Dämmerung langsam hereingebrochen.

»Es ist Zeit für die Abendmahlzeit«, sagte er. »Soll ich dir auf einem Tablett etwas bringen, Schwester?«

»Danke, Bruder. Das wäre sehr freundlich.«

Der Mönch wandte sich an Eadulf. »Du siehst aus, als könntest du noch ein wenig Brühe vertragen, Bruder. Ich kümmere mich darum.«

Als er fort war, lächelte Eadulf Fidelma schüchtern an. »Es tut mir leid, daß ich dich in diese Situation gebracht habe.«

»Warum? Es ist immer faszinierend, ein neues Land kennenzulernen, auch wenn man es gar nicht beabsichtigt hat.«

Auf einmal wirkte Eadulfs Gesicht düster. »Das Land der Britannier mag vielleicht für dich faszinierend sein, aber für mich ist es das nicht.«

»Was meinst du damit?«

»Die Sachsen sind bei den Britanniern nicht gerade willkommen, auch wenn Bruder Rhodri sich von christlicher Nächstenliebe leiten läßt.«

»Haben die Britannier einen Grund, die Sachsen nicht zu mögen?« fragte Fidelma.

Eadulf blickte sie scharf an. Machte sie sich über ihn lustig? Sie kannte die jüngste Geschichte dieser beiden Inseln nur zu gut.

»Du weißt, daß das seine Gründe hat, Fidelma. Und du kennst die irische Geschichte besser als jeder andere, dem ich begegnet bin. Du wirst dich auch erinnern, daß die Britannier hier einst alles beherrschten. Dann kamen vor zwei Jahrhunderten die Vorfahren meines Volkes aus Gegenden hinter dem östlichen Meer, um das Land hier zu erobern und sich zu unterwerfen. Das waren die Jüten, die Angeln und Sachsen, die man später gemeinhin Angelsachsen nannte. Sie drängten die Britannier immer weiter nach Westen und Norden ab und eigneten sich ihre Gebiete an. Ich verstehe die Gefühle der Vertriebenen. Mein Volk ist ein Kriegsvolk, das die christlichen Werte nur recht oberflächlich angenommen hat. Ich vermute, daß sich die Angelsachsen, auch wenn sie dem neuen Glauben folgen, noch immer vor Wotan fürchten, dem alten Kriegsgott. Und nach wie vor sind sie davon überzeugt, daß der einzige Weg zur Unsterblichkeit darin besteht, mit dem Schwert in der Hand zu sterben und Wotans Namen dabei auf den Lippen zu haben. Nur dieser Weg führt nach Walhall, wo all die Unsterblichen leben.«

Fidelma war erstaunt über die Leidenschaftlichkeit seiner Rede. »Das hört sich an, als würdest du das auch glauben, Eadulf.«

Eadulf warf ihr einen finsteren Blick zu. »Ich war ein junger Mann, als mich Missionare aus Eireann zum Christentum hinführten, Fidelma. Ich studierte erst in deinem Land, dann in Rom. Du weißt, daß ich, bevor ich Christ wurde, nach dem Erbrecht Friedensrichter von Seaxmund’s Ham war. Man kann nicht so leicht die Traditionen vergessen, in denen man aufgewachsen ist. Wir alle erinnern uns noch daran, wie König Eadbald von Kent wieder zum Wotan-Kult zurückkehrte. Es leben heute noch Leute, die persönlich Zeuge wurden, wie die Ost-Sachsen alle christlichen Missionare umbrachten oder ins Exil jagten.«

»Das ist wahr«, stimmte ihm Fidelma zu. »Doch die meisten Königreiche der Sachsen sind inzwischen zum christlichen Glauben übergetreten.«

Eadulf schüttelte den Kopf.

»Es gibt immer noch eine Reihe von Königreichen, in denen der christliche Glaube nur toleriert wird. Zum Beispiel Mercia, das ist nach wie vor nicht völlig christianisiert. Und obwohl mein Volk den neuen Glauben angenommen hat, kommt es immer wieder zu Kriegen mit den Britanniern. Solche Fehden hat es ständig gegeben, seit wir mit dem Schwert unsere Königreiche aufbauten. Christliche Britannier gegen christliche Sachsen. Es ist uns auch noch frisch im Gedächtnis, wie Athelfrith von den Sachsen den Bri-tannierkönig Selyf, Sohn von Cynan, besiegte. Nach jener Schlacht ging Athelfrith nach Bangor in die große Abtei der Britannier, ließ dort Tausende christlicher Mönche abschlachten und feierte so seinen Sieg. Können uns die Britannier dieses Blutbad verzeihen, Fidelma? Ich glaube nicht. Solange ich mich im Königreich der Britannier befinde, werde ich mich unbehaglich fühlen.«

Sie dachte über seine Ängste nach. »Für die bösen Taten deines Volkes kann man dich nicht verantwortlich machen, Eadulf. Ich glaube, die Britannier sind nicht so engstirnig, daß sie allen Sachsen Schuld an Ereignissen geben, die frühere Generationen zu verantworten haben. Die Britannier haben über Jahrhunderte hinweg am christlichen Glauben festgehalten, auch zur Zeit der römischen Besetzung. Ohne einen gerechtfertigten Grund würden sie niemandem Schaden zufügen. Das Massaker an den Mönchen von Bangor fand im Königreich von Gwynedd im Norden statt. Und wir halten uns im Königreich von Dyfed auf, das im Süden liegt. Dyfed unterhält enge Beziehungen zu fiireann. Und nun hat uns Abt Tryffin von Dewi Sant gebeten, morgen gemeinsam mit ihm zu speisen.«

Eadulf blickte sie überrascht an. »Er hat uns beide zu sich gebeten?«

Fidelma lächelte. »Nun, die Einladung galt vor allem mir, doch man versicherte mir nachdrücklich, daß du mich begleiten sollst, wenn es dein Gesundheitszustand erlaubt. Ich habe das Gefühl, daß irgend etwas den Abt beunruhigt. Er scheint eine gute Seele zu sein. Ich glaube, er möchte mich um Hilfe bitten, hat aber bei unserer Begegnung heute nachmittag nicht die rechte Gelegenheit dazu gefunden.«

Eadulf wirkte konsterniert. »Warum sollten dich die Britannier um Hilfe bitten?«

»Wie ich schon sagte, es gibt enge Beziehungen zwischen Dyfed und Eireann.«

»Als da wären?« bohrte Eadulf weiter.

Da kehrte Bruder Rhodri mit einem Tablett zurück, auf dem sich zwei Schalen heiße Brühe und Brot befanden, und stellte es auf den Tisch neben dem Bett.

Eadulf warf einen schiefen Blick auf die Brühe. »Ich könnte einen halben Braten verschlingen«, sagte er seufzend in ihrer gemeinsamen Sprache und schaute zu Fidelma.

Bruder Rhodri sah ihn vorwurfsvoll an. »Morgen kannst du vielleicht ein paar Scheiben kalten Braten und etwas Käse zu dir nehmen, angelsächsischer Bruder. Doch heute würde ich dir empfehlen, deinen Gelüsten noch nicht nachzugeben.«

Ein wenig beschämt verzog Eadulf das Gesicht, denn erst jetzt wurde ihm bewußt, wie gut der Bri-tannier die Sprache von Eireann beherrschte. Vielleicht hätte er in seinen Äußerungen vorsichtiger sein sollen.

»Ich bin dir dankbar, sowohl für die Pflege als auch für deinen Rat, Bruder Rhodri.«