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»Ausgezeichnet.« Bischof Arigius stand auf, und sie taten es ihm gleich. »Mein Verwalter wird euch zu unserem Gästequartier geleiten, dort könnt ihr euch ausruhen und frisch machen. Er holt euch dann wieder ab, und wir treffen uns im Refektorium. Das Geläut der Glocke kündet den Gottesdienst in der Kapelle an. Kurz vor der Morgendämmerung läutet sie zum Aufstehen. Ich werde unseren Bruder, mit dem ihr morgen die Reise unternehmt, anweisen, auf dem Hof auf euch zu warten.«

»Und wie heißt dieser Bruder?«, fragte Fidelma.

»Bruder Budnouen. Er ist Gallier.«

Bruder Budnouen war beleibt, das rundliche rote Gesicht saß nahezu ohne Hals auf dem Rumpf, und von den Hängebacken hatte man den Eindruck, sie reichten bis auf die

Brust. Er war mittleren Alters, klein von Wuchs und sonnengebräunt. Die hellen Augen schimmerten fast meergrün. Fidelma und Eadulf fiel sofort auf, dass sein langes braunes Haar in der Tonsur des heiligen Johannes geschnitten war, nicht in der von Rom vorgeschriebenen Art der corona spinea. Umfang und Gewicht ließen den fülligen Bruder nur angestrengt atmen, die muskulösen Unterarme verrieten, dass er schwere Arbeit gewöhnt war, auch waren die Hände voller Schwielen. Als Kutscher eines Frachtwagens war er oft unterwegs, und die Lederzügel, mit denen er seine Gespanne lenkte, hatten die Haut der Handflächen verhärtet. Es überraschte seine Mitreisenden keineswegs, dass er in jungen Jahren Seemann gewesen und zwischen den Häfen in Armorica, Britannia und Hibernia hin und her gesegelt war. Die Sprachen dieser Länder beherrschte er fließend. In seinen Augen fün-kelte es spöttisch, fast immer schmunzelte er und war ein Mensch, der es verstand, dem Leben die guten Seiten abzugewinnen. Außerdem erwies sich Bruder Budnouen als unterhaltsamer Wegbegleiter, kaum dass sie Nebirnum und die Abtei verlassen hatten. Während er den von vier kräftigen Maultieren gezogenen Wagen auf der geradewegs nach Osten führenden Straße lenkte, unterhielt er seine Gäste mit Geschichten über Land und Leute. »Ich bin vom Stamm der Aeudi«, erzählte er ihnen. »Früher gehörte hier herum alles den Aeudi, vor vielen Jahren aber kamen die Burgunden und haben uns vertrieben. Einige von uns flohen nach Armorica, andere wie ich blieben und versuchten das Beste daraus zu machen. Jetzt sind die Burgunden von den Franken unterworfen und zu Vasallen gemacht worden. Und das Land heißt nun Austrasien.«

»Die Aeudi waren demnach Gallier?«, erkundigte sich Eadulf, der immer darauf erpicht war, sein Wissen zu erweitern. Er und Fidelma saßen auf dem Kutschbock neben Bruder Budnouen, der sein Maultiergespann mit einem gelegentlichen kurzen Ruck der langen Zügel antrieb.

Der beleibte Bruder lachte frohgemut, und Stolz schwang in seiner Stimme. »Ja, mein Freund, die waren wirklich Gallier. Ich stamme von dem großen Vercingetorix - dem König der Welt - ab. Der hätte Caesar und die Römer fast besiegt, musste sich aber unterwerfen, weil er die Frauen und Kinder retten wollte, die Caesar sonst zu Tausenden hätte niedermetzeln lassen, um seinen Triumph zu besiegeln. Caesar fürchtete diesen großen Mann so sehr, dass er ihn in Ketten nach Rom schaffen, ihn jahrelang in ein Verließ sperren und schließlich öffentlich erdrosseln ließ. Auf diese Weise feierte er seinen Endsieg.«

Eadulf schürzte die Lippen. »Jeder Krieg ist etwas Widerwärtiges.«

»Das bekamen die Römer wiederholt zu spüren. Sie hatten gedacht, nach dem Tod des Vercingetorix könnten sie uns in die Knie zwingen, aber da irrten sie. Viele Male haben wir uns gegen sie erhoben, doch kaum hatten wir eine Legion geschlagen, rückten drei neue an. Noch hundert Jahre nach Caesars Abzug haben wir die römischen Legionen bekämpft. Am Ende wurde Gallien eine römische Provinz und befriedet. Ein paar Jahrhunderte gingen ins Land, dann aber strömten die Burgunden und die Franken über den Rhein und unterwarfen uns.«

»Kennst du diese Stadt Autun?«, fragte Fidelma in dem Bestreben, das Gespräch auf den Ort zu lenken, um den ihre Gedanken kreisten.

»Autun?« Bruder Budnouen zuckte die Achseln. »Da standen früher nur ein paar Hütten, bis Kaiser Augustus festlegte, dass dort der neue Hauptort der Aeudi entstehen sollte. Er nannte ihn Augustodunum, die Festung des Au-gustus - und daraus wurde bei den Burgunden der Name Autun. Unsere eigene Hauptstadt mit der Festung Bibracte hatten die Römer verwüstet als Racheakt, weil Vercinge-torix ihnen beinahe eine Niederlage bereitet hatte. Sie bauten Augustodunum zu einer großen römischen Stadt aus, um damit die Gallier zu beeindrucken.«

Eine Weile verstummte er, denn eine ausgefahrene Wegstrecke verlangte seine ganze Aufmerksamkeit.

»Der Neue Glaube erreichte die Stadt sehr früh. Es heißt, schon zur Zeit des heiligen Irenaeus entstand dort ein Bischofssitz, und das bereits hundert Jahre nach der Kreuzigung unseres Herrn. Der Legende nach bekehrte sich der Sohn des Senators Faustus von Autun, ein junger Mann namens Symphorian, zum Glauben und zerstörte zum Zeichen seines Protests ein Standbild der römischen Göttin Cybele. Man nahm ihn gefangen und peitschte ihn aus.

Als er sich dennoch weigerte, dem Neuen Glauben abzuschwören, hat man ihn vor den Augen seiner Mutter Au-gusta geköpft. Über seinem Grab auf der alten Totenstätte wurde die Abtei errichtet.«

Bruder Budnouen lachte in sich hinein und stieß Eadulf mit dem Ellenbogen an. »Es heißt, wenn du an dem Grab betest, wirst du von der Lustseuche geheilt.« Er schwieg, schaute verlegen zu Fidelma und murmelte: »Verzeihung, Schwester.«

Sie ging darüber hinweg. »Ich hätte gern gewusst, welche Bedeutung die Stadt heute hat und weshalb man gemeint hat, sie sei der günstigste Ort, um dort ein Konzil abzuhalten.«

»Wer weiß das schon?«, erwiderte der Gallier. »Ist nicht Vitalianus, der Heilige Vater, ein Römer? Vielleicht hat er sich erinnert, dass Autun einstmals Augustodunum war. Die Römer haben ein langes Gedächtnis. Sie haben unserem Volk nie vergeben, dass wir ihre Legionen besiegt und sogar Rom selbst eingenommen haben, und das war so viele Jahre vor der Geburt Unseres Heilands, dass man sie kaum zählen kann.«

Eadulf wollte sich das näher erklären lassen, aber Fidelma stieß ihn verstohlen an, denn sie befürchtete, die Frage würde zu längeren Erläuterungen führen. Sie erkundigte sich: »Und wer ist heute der Bischof von Autun?«

»Das ist Leodegar. Er ist schon etwas älter, besitzt noch immer einen scharfen Verstand und wird wegen seines Wissens und seiner Rechtschaffenheit gerühmt. Er ist der Sohn fränkischer Edelleute und ist am Hofe von König Chlothar aufgewachsen. Er hat sogar in der Regierung des Königreichs mitgewirkt, bis er zum Bischof ernannt wurde. Man sagt ihm nach, er sei eine starke Persönlichkeit, bei Reformen kenne er kein Wenn und Aber, die triebe er nur allzu gern voran. Auch hat es den Anschein, als seien

ihm die alten römischen Stadtmauern eine Herzenssache, das Gleiche gilt für die öffentlichen Bauten aus der Römerzeit. Ich könnte mir vorstellen, dass das der Grund ist, weshalb Rom ihm die Gelegenheit gibt, den Vorsitz dieses wichtigen Konzils zu führen.«

»Weißt du etwas Genaueres über die Geschehnisse in Au-tun?«

»Du meinst den Mord? Leider nein, da kann ich dir nicht helfen. Ich habe nur gehört, was der Händler davon erzählt hat. Irgendein Abt, der zum Konzil angereist war, wurde erschlagen. Zwischen den Geistlichen soll es zu heftigem Streit, ja sogar zu Tätlichkeiten gekommen sein. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

Wenn er darüber auch nicht mehr wusste, so hatte Bruder Budnouen doch die Gabe, sich über das wenige, das er in Erfahrung gebracht hatte, des Längeren auszulassen. Am Ende ihres ersten Reisetages waren Fidelma und Eadulf sowohl von seinem unaufhörlichen Gerede als auch von den Strapazen der Fahrt erschöpft. Dessen ungeachtet waren sie sich einig, dass mit seiner Hilfe die Zeit rasch dahinging und der Gallier ihnen viel Interessantes über die Landschaft zu erzählen vermochte, durch die sie fuhren. Selbst die Plätze, wo sie abends gutes Essen und gute Betten finden konnten, kannte er und wusste sogar die Stellen an Flüssen oder Quellen, wo man sicher baden konnte. Fidelma sehnte sich nach den Annehmlichkeiten des irischen Bads mit heißem Wasser und Seife, passte sich aber den Gegebenheiten an, so gut es eben ging.