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Am Morgen des dritten Tages kamen sie an einem beachtlichen Bergkegel vorbei, der aus einem prächtigen Wald aufragte. Zu ihrem Erstaunen hielt Bruder Budnouen dort an, stieg ab und kniete sich wie zum Gebet hin. Bei der Weiterfahrt erzählte er ihnen: »Dort oben stand einstmals Bibracte - der Hauptort der Aedui, und eben dort wurde Vercingetorix zum Oberhaupt aller zum Kampf gegen Julius Caesar vereinigten Stämme Galliens ausgerufen.« Er wies hinauf zum Berg. »Eben da hat Caesar ihn besiegt und auch seinen Bericht fertiggeschrieben, wie er mein Volk erobert hat.«

»Wie weit ist es noch bis Autun?«, frage Eadulf ziemlich reisemüde.

»Morgen Vormittag sind wir da. Keine fünfzehn Meilen mehr. Übernachten werden wir heute noch ein paar Meilen vor der Stadt, wir würden sonst spätabends dort eintreffen. Wie ich schon erzählte, haben Leodegar und Graf Guntram, der Gaugraf, die alten römischen Stadtmauern wieder herrichten lassen, und sie haben Wächter bestellt, die sich sehr unfreundlich gebärden, wenn sich Fremde der Stadt zur Nachtzeit nähern.«

»Ist es denn so gefährlich in dieser Gegend?«, wunderte sich Fidelma.

»Gefahren lauern überall, Schwester«, bestätigte ihr der Gallier. »Je wohlhabender eine Stadt ist, um so mehr Diebe und Räuber zieht sie an. Oft genug sind Räuberbanden unterwegs.«

»Hätten wir uns dann nicht besser mit Kriegern umgeben sollen, die uns beschützen?«, fragte Eadulf. Sie fuhren gerade durch dichte Wälder, in denen Vagabunden hinter jeder Baumgruppe lauern konnten. Bruder Budnouen lächelte. »Wozu brauchst du Krieger, die dich beschützen? Hast du etwa Schätze bei dir?«

»Natürlich nicht. Das wertvollste Gut, das wir haben, ist unser Leben.

»Hör zu, lieber Freund«, entgegnete der Gallier, »dein Leben ist sicherer, wenn du dich nicht mit Leibwächtern umgibst. Leibwächter verkünden den Banditen, dass du etwas bei dir hast, das zu bewachen sich lohnt. Wenn du nichts bei dir hast als dein Leben, dann solltest du sie nicht auf andere Gedanken bringen. Oft genug bin ich über diese Landstraßen gezogen, nur ein- oder zweimal hat man mich angehalten. Die Waren, die ich für die Brüder in Autun befördere, interessieren Diebe dieser Tage nicht weiter und auch jene Sachen nicht, die ich zurück nach Nebirnum schaffe. Sie sind auf Gold aus, auf Silber, Juwelen und dergleichen. Auf Dinge, die raschen Gewinn bringen.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Fidelma leichthin. »Aber uns wird wohler sein, wenn wir erst einmal Autun erreicht haben.«

»Morgen bist du dort«, versicherte ihr Bruder Budnouen. »Wir müssen nur noch diese Gegend hinter uns lassen, die hat übrigens immer noch den alten gallischen Namen Morven - das heißt Land der schwarzen Berge, weil die grünen Hügel und Wälder so dunkel scheinen. Sobald wir hier durch sind, liegt die Stadt Autun vor dir.«

Und damit hatte er recht. Sie übernachteten in einem Gasthof und zogen dann von Nordwesten über eine Bergflanke, und gegen Mittag kam die Stadt in Sicht. Obwohl sie Rom kannten, schien ihnen der von grauen Mauern umschlossene Ort recht groß, wohl auch, weil sie ihn mit nichts auf ihrer Heimatinsel hätten vergleichen können. Jedenfalls beeindruckte sie die Stadt beim ersten Anblick. Über die roten Ziegeldächer der Häuser erhob sich am hinteren Ende ein massiver Gebäudekomplex wie eine Burg - das war die Abtei. Einer ihrer Bauten ragte mehrere Stockwerke empor, und daneben stand ein gewaltiger Turm. Beim Näherkommen zeichneten sich die Wälle und Mauern, die die Stadt umgaben, immer deutlicher ab. An manchen Stellen war das alte Mauerwerk bereits ausgebessert. Außerdem war der Ort sehr schön inmitten üppig grünender Weinberge gelegen.

Bruder Budnouen lachte zufrieden, als er ihre bewundernden Blicke bemerkte. Leute von den Inseln im Westen gerieten immer ins Staunen über die großartigen Städte in Gallien. Als sein Wagen über die breite, zum Fluss führende Straße rumpelte, bemerkten seine Mitreisenden am Wegesrand ein größeres quadratisches Steingebäude.

»Das war ursprünglich der römische Tempel des Janus«, erläuterte ihnen ihr Kutscher. »Jetzt wird er natürlich für andere Zwecke genutzt. Es heißt, die Römer hätten ihn auf einem geheiligten Ort der Aeudi errichtet, denn die Macht ihres Gottes sollte die Kraft des alten Gottes der Gallier unschädlich machen. Die waren seltsam und abergläubisch, diese Römer.« Er wies zum Fluss, den sie überqueren mussten, um in die Stadt zu gelangen. »Das ist der Aturavos. Ist irgendwie sonderbar: Die Flüsse, Wälder und Berge haben immer noch ihre alten gallischen Namen, obwohl die Römer und dann die Burgunden sich jahrhundertelang hier festsetzten. Unser Volk haben sie vertrieben, doch unsere Namen haben sich erhalten.« »Bedeutet der Name etwas?«, wollte Eadulf wissen. »Aber sicher«, erwiderte Bruder Budnouen. »Alle Namen bedeuten etwas. Der hier heißt >der kleine Fluss<«.

Ihr Wagen rollte über eine breite Holzbrücke auf einen hohen, aus Steinquadern errichteten Torbogen zu mit himmelwärts weisenden Aufbauten. Bewaffnete Wächter beobachteten aufmerksam die vielen Leute, die darunter hin und her gingen.

»Das ist das Haupttor auf der Nordseite, es gibt noch drei weitere Tore«, belehrte sie Bruder Budnouen. »Die sind noch so, wie die Römer sie gebaut haben. Nur eins davon ist ziemlich verfallen, und gerade das liegt der Abtei am nächsten. Deshalb müssen wir den Weg durch die Stadt nehmen.«

»Die Mauer ist wirklich prächtig, außer in Rom habe ich dergleichen nirgendwo gesehen«, äußerte sich Eadulf anerkennend.

»Und sie geht tatsächlich rund herum. Auf ihr Autun sind die Bewohner mächtig stolz, sie meinen sogar, es kann sich mit Rom messen.«

Sobald sie das Tor passiert hatten, schlugen ihnen die Ausdünstungen der Stadt entgegen. Fidelma und Eadulf stammten aus ländlichen Gebieten, und die Siedlungen, die es dort gab, waren kaum mehr als ausgedehnte Dörfer ohne Schutzwälle. Nun riefen die Gerüche Erinnerungen an Rom wach: stinkende Abwassergräben, verfaulende Gemüsereste, der Kot umherstreunender Tiere und überhaupt der Dreck in den Gassen, dazu der Schweiß der Leute, die in engen Behausungen zusammengepfercht wohnten.

Fidelma überlief ein Schauder, und sie fragte sich, wie man in so einer Umgebung leben konnte. Bruder Budnou-en warf ihr einen Blick zu und grinste. »Du brauchst schon eine Weile, bis du dich daran gewöhnst, wenn du auf dem Lande aufgewachsen bist.«

Sie ging nicht darauf ein, hatte sie doch in der verpesteten Luft mit aufsteigender Übelkeit zu kämpfen. Während sie so auf der Hauptstraße, oder was sie dafür hielten, dahinfuhren, liefen Frauen an ihnen vorbei, die ihrer Kleidung nach wohlhabend und von Rang waren. Sie alle drückten sich kleine Blumensträuße an die Nase, worüber Fidelma verstohlen lächeln musste. Also war sie nicht die Einzige, die den Gestank dessen, was man Zivilisation nannte, kaum ertrug. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es in Rom derart schlimm war, aber das lag vielleicht an den viel breiteren Durchgangsstraßen dort. Die Straße hier war gesäumt von kleinen Läden, sogar Werkstätten von Hufschmieden. Händler priesen ihre Waren lauthals an, um Kunden anzulocken, oder feilschten mit den Käufern um Preise. Das Stimmengewirr drückte ihr wie eine Lärmwoge auf die Ohren.

Als sie über einen Platz rollten, schreckte ein Peitschenknall Fidelma hoch, und sie schaute sich um. Auf einem kleinen Podium stand ein Häufchen winziger Gestalten. Worum es sich handelte, war schwer zu erkennen, weil sich eine Menschenmenge darum drängte. Ein großer Kerl mit einer Peitsche überragte alle und brüllte etwas, das Fidelma nicht verstand. Plötzlich sah sie, dass da Kinder waren und dass jedes von ihnen einen eisernen Reifen um den Hals trug. Entsetzt stöhnte sie auf.