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Gilgamesch wandte sich zu Helena, die mit bleichem Antlitz, geweiteten Augen und zitternd dastand.

»Bist du verletzt?« fragte er. »Hat er dir etwas getan?«

»Nein, er hat mir nur einen Schrecken eingejagt. Der dreckige anmaßende Tölpel wagte es, mich anzufassen, mich, die einst eine Königin war, deretwegen der größte Krieg aller Zeiten angezettelt wurde…« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, was er mit mir vorhatte. Mich in seine Hütte zerren, nehme ich an. Glaubst du, du hast ihn umgebracht?«

»Ich bezweifle es. Nicht daß es besonders schade wäre um ihn. Ist Enkidu mit dir da?«

»Nein. Ich dachte, vielleicht ist er mit dir zusammen.« Plötzlich schien die ganze königliche Empörung von ihr abzufallen, und sie war nur noch eine zierliche fröstelnde Frau in einem zerknitterten und zerrissenen Kleid. »Wo sind wir hier gelandet, Gilgamesch? Was sollen wir tun?«

»Wir sind im Land der Lebenden. Und Enkidu muß sich hier irgendwo ganz in der Nähe aufhalten. Wenn wir einfach hier stehenbleiben und warten, vielleicht kommt er dann vorbei. Und sobald wir wieder zu dritt sind, können wir…«

»Oh. Schau mal, Gilgamesch! Da unten.«

Am Fuß der Treppe, wo Helenas Angreifer immer noch lag, begann sich eine Gruppe von Menschen zu sammeln. Gilgamesch sah, daß einer von diesen blaugewandeten Straßenwächtern neben dem Mann kniete, und daß ein zweiter mit den dort versammelten Leuten sprach. Sie zeigten zu ihnen herauf. Einer der Wächter winkte Gilgamesch zu.

»Was willst du jetzt machen?« fragte Helena.

»Ich denke, ich gehe hinunter und spreche mit ihm. Ich habe nichts Übles getan. Und diese Staatsbediensteten können uns vielleicht helfen, eine Bleibe und etwas zu essen zu finden.«

»Er hat eine Schußwaffe, Gilgamesch!«

Der Sumererkönig nickte. »Ich sehe es. Aber ich will ihm ja nichts tun. Ich bin unbewaffnet, das kann er kaum übersehen.«

»Sei vorsichtig, sei; vorsichtig!«

Gilgamesch nickte.

Als er ihm nahe gekommen war, deutete der Wächter auf den dort liegenden Mann und sprach: »Hast du ihn die Treppe runtergeschmissen?«

»Der Mann hat mich angegriffen!« sagte Helena wild. »Ich bin fremd in dieser Stadt und bat um Auskunft, da packte mich plötzlich dieser Mann — seht doch, wie er mir das Kleid zerrissen hat! — Und wenn nicht mein Freund im rechten Moment vorbeigekommen wäre…«

»Mal ruhig, Lady, nur Ruhe! Lassen wir erst mal den da sprechen. Du kannst dann gleich hinterher deine Aussage machen.« Und zu Gilgamesch sprach der Wächter: »Also? Hast du den da runtergeworfen?«

Gilgamesch mühte sich um Gelassenheit. Die schneidenden schrillen Stimmen dieser unkultivierten kleinen Spättoten, ihre Überheblichkeit und Unverschämtheit, ja selbst die Art, wie sie Worte aussprachen, reizten ihn arg. Sie hingen um ihn herum, nölend und näselnd, ohne Ehrerbietung, belästigten ihn mit ihrem unverständlichen Brei von Kauderwelsch. »Ich gab ihm eine Ohrfeige, ja, als er anfing, mich anzuschreien, und er stürzte die Stufen hinab. Ich hatte nicht die Absicht — es lag mir völlig fern —, ihr müßt mir das glauben, daß ich nicht wollte — bei Enlil, der Kerl ist doch Abschaum! Einfach ein Dreckskerl! Laßt mich zufrieden. Ich habe nichts Unrechtes getan. Ich habe doch nur…«

»He, Mann! He! Bleib cool, du Brocken!«

»Cool?« sagte Gilgamesch. »Cool?«

Der Wächter nickte. »Genau! Bleib cool, dann geht das alles für dich schon okay. Wir werden dich nicht einbuchten. Wir haben hier ‘ne Menge Augenzeugen für den Vorfall, und die sagen alle aus, daß du der Lady geholfen hast und daß er dich mit dem Messer bedrohte. Trotzdem müssen wir nach Protokoll vorgehen, verstehst du?«

Gilgamesch runzelte die Stirn. »Protokoll?«

»Also, zuerst brauche ich mal deinen Namen, okay?«

»Aber selbstverständlich«, sagte Gilgamesch großmütig. Er richtete sich zu seiner ganzen hohen Heldenhaftigkeit auf. »So wisset also, ich bin Gilgamesch, Sohn des Lugalbanda, König von Uruk. Das Weib mit mir ist Helena, Königin von Sparta, ehemals Gemahlin von Menelaos, die überall in dieser Welt und der anderen unter dem Namen Helena von Troja berühmt ist…«

»Hinky?« rief Gallagher. »He, Hinky! Da ist jemand für dich. Telefon.«

»Ich komme«, sagte Enkidu.

Er entrollte sich auf dem schmalen Sofa, auf dem er erfolglos ein Nickerchen zu machen versucht hatte, und ging zur Tür des Umkleideraums auf der Hinterseite des Clubs, wo Gallagher ihn untergebracht hatte. Draußen im Gang lehnte Gallagher, mit einem Drink in der Hand, direkt gegenüber der Tür.

»Der Apparat ist gleich da unten«, sagte er.

»Ist es die Polizei?«

»Wer weiß sonst noch, daß du hier bist?«

»Niemand«, antwortete Enkidu.

»Dann muß es die Polizei sein.«

»Haben sie meine Freunde gefunden?«

»Hör mal«, sagte Gallagher, »ich weiß das nicht. Der Anruf ist für dich. Also geh und rede mit den Leuten, dann erfährste schon, was los ist.«

»Genau«, sagte Enkidu. »Genau.« Und er begann den Flur hinunter zu gehen. Doch nach ein paar Schritten zögerte er und sagte: »Willst du vielleicht an den anderen Apparat gehen, so wie vorher, Bill? Wenn mir nicht die richtigen Wörter einfallen, die ich sagen muß. Du könntest dich einschalten, du könntest verhindern, daß ich blöd wirke.«

»Ja«, sagte Gallagher. »Ja, das mach ich dann wohl besser.«

Zusammen gingen sie den Gang hinunter ans Telefon.

Es war der dritte Tag, den Enkidu hier verbracht hatte; in der kleinen Kammer hinten im Club Ultra Ultra in der West 54th Street. Gallagher hatte ihn auf einem Platz entdeckt, wo er umherirrte, den sie Times Square nannten, wo er nach Helena und Gilgamesch suchte. Gallagher war ein kleiner betriebsam wirkender Mensch mit dichtem, krausem sandfarbenen Haar, das dicht an seiner Schädeldecke klebte, und er besaß die härtesten und kältesten blauen Augen, die Enkidu je gesehen hatte. Er hatte nicht lange gebraucht, Enkidu in ein Gespräch zu ziehen.

»Fremd in der Stadt, was?«

Enkidu hatte ihn angelächelt. »Wie kannst du das wissen?«

»Ach, gar nicht so schwer, das zu sehen. Bist du ‘n Ringer? Vielleicht ein Ex-Footballspieler? Du suchst nicht zufällig ‘nen Job?« Die eisigen Augen glitzerten wie geschliffene Marmorkugeln. »Ein toller Brocken wie du. Ich hätte da vielleicht Arbeit für dich, wenn’s dich interessiert.«

Etwas in der direkten Art von Gallagher sprach Enkidu an. Außerdem, er war allein und viel stärker durcheinander, als er sogar sich selber gern eingestanden hätte, in dieser unvertrauten wirbelnden großen Stadt.

Vorsichtig fragte er: »Was wäre das für Arbeit?«

»Portier. Nachtclub. Rausschmeißer, meine ich.«

»Rausschmeißer«, wiederholte Enkidu, der nichts verstand. »Nachtclub. Aha.«

»Sechsfuffzig die Woche. Bar, wenn du das vorziehst. Sonntag- und Montagnacht frei. Getränke kostenlos, in gewissen Grenzen. Bei deinem Schwengel kannste dir wahrscheinlich soviel Weiberärsche schnappen, wie du magst, wenn du darauf stehst.« Gallagher grinste. »Das interessiert dich, was? Ja, ich seh’ schon, da biste echt interessiert. Wie heißt’n du?«

»Enkidu.«

»Hinkadoo? Was issen das für ‘n Name? Pakistanisch? Israel? Nee, wart mal, ich hab’s; du bist aussem Iran. Stimmt’s? Die dichten schwarzen Haare, der dichte schwarze Bart. Jesus! Ich hab’ gar nicht gewußt, daß sie bei euch im Iran Leute von deinem Kaliber produzieren. Wie groß bist’n du? Sechs Fuß sieben, sechs-acht? Sowas in der Preislage bestimmt. Also, jetzt komm, gehen wir rüber zum Club, okay? Zehn Blocks weit, aber verdammt, wer kriegt schon in der Gegend hier um diese Zeit ‘n Taxi? Aber du kannst ja laufen. Ich weiß, du kannst laufen. Also komm! Ich heiße Gallagher, Bill Gallagher. Bloß halb irisch, aber es ist die Hälfte, die was man sieht. Der Rest ist polnisch, ob du’s glaubst oder nicht, ‘ne tolle Mischung, was? Ein Mick und ein Polacke. Ich hab’ mal einen Iranier gekannt, Khalili hieß der, Aziz Khalili. Vielleicht kennst du den ja auch, ‘n kleiner Kerl, halb so groß wie du, dichter Bart, ganz traurige Augen, handelte mit gefälschten Antiquitäten, hatte ‘nen Laden drüben in der Siebenundfünfzigsten, und der sagte immer ›Ich bin kein Iraner, ich bin Perser‹ — ich glaub’, den haben sie dann zurückgeschickt, irgend so ein Trabbel mit seinem Visum…«