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»Unter welcher Fall-Nummer können wir nachfragen?«

Es kam ein Klicken in der Leitung. Gallagher kniff die Brauen zusammen und legte den Hörer auf. Zu Enkidu sagte er: »Hast du irgendwas davon mitgekriegt?«

»Man hat sie gefunden, ja?«

»Ja. Irgendwie ein Knatsch vor der Bibliothek, die Bullen, die Polizei haben sie im Bellevue eingelagert, weil sie keine Personalausweise hatten, und wegen allgemein exzentrischer Verhaltensweise, nehme ich mal an.«

»Was ist denn das, dieser Persönlichkeitsnachweis, von dem ihr alle redet, die wir nicht haben?«

»Es bedeutet den Nachweis, daß du existierst.«

»Ach. Und Bellevue?«

»Das ist die hiesige Klapsmühle.«

»Klapsmühle?«

»Du weißt schon. Wo sie die Spinner einbuchten.«

»Was? Ein Haus voll Spinnen? Aber wieso wollen sie Gilgamesch in ein Haus voll Spinnen bringen?«

»Weil…« Gallagher preßte sich die Hände auf die Augen. »Mich sollten sie ins Spinnerhaus stecken, weißt du? Aber das würdest du nicht kapieren. Natürlich nicht.« Er sah durch die Finger Enkidu an. »Es ist eine Anstalt für Psychos, für Irre, für Geisteskranke. Kannst du irgendwas davon verstehen? Ja? Nein. Macht nichts. Wir gehen da eben einfach hin und holen sie da raus, klar? Vergiß nicht, er ist dein Bruder, und nicht etwa dein Freund. Und dein Name ist Hinkadoo Khalili, und du kommst aus dem Iran, und er ebenfalls, und auch das Mädchen, und falls sie dich danach fragen, seid ihr hierher gekommen, um politisches Asyl zu bekommen, aber hoffen wir, daß sie danach nicht fragen, und deinen Paß hast du in deinem Hotel gelassen, und wenn sie dich fragen, in welchem Hotel, dann überlaß es mir zu antworten, und überhaupt sagst du am besten nicht mehr, als unbedingt nötig, ja?«

»Sie ist Griechin«, sagte Enkidu.

»Also, jetzt hör mir mal zu: Für heute ist sie aus dem Iran, okay? Es vereinfacht die Sache, wenn ihr alle drei aus dem gleichen Land kommen würdet, auch wenn’s nicht stimmt.« Er rieb sich nachdenklich und behutsam den Schädel. »Ich sollte mir wirklich mal meinen Kopf untersuchen lassen. Ich müßte wirklich mal zu ‘nem Psychiater und meinen Kopf durchchecken lassen! Ach, komm, zieh deine Latschen an. Ziehen wir rüber.«

Gilgamesch blickte erstaunt von Enkidu zu Helena und zu dem kleinen Mann mit dem harten Gesicht und den blauen Augen und danach wieder zu Enkidu zurück.

Dieser gab ihm ein rasches, kaum sichtbares Zeichen, das bedeutete: Bleib einfach still und laß den Mann da alles erledigen.

Schön, dachte Gilgamesch. In der Nachwelt war er ja wohl ein Held unter Helden, doch in diesem üblen erbärmlichen Sumpfloch von Welt hier war er ganz verloren und hilflos. Dieser Mann, den Enkidu irgendwo gefunden hatte, schien zu wissen, wie man es hier richtig machte und was man sagen mußte. Schön. Gut so. Nur bringt mich raus von hier, mehr will ich nicht.

Der andere kleine Mann, der in dem schmuddeligen weißen Mantel, der ihm während der letzten zwei Tage so viele absurde Fragen gestellt hatte, sagte gerade zu dem anderen Mann, der mit Enkidu gekommen war: »William Gallagher?«

»Richtig, Doktor.«

»In welcher Beziehung stehst du zu diesen Leuten?«

»Also eigentlich ist es ja meine Schwester Marie. Sie arbeitet für die Iranian-American Friendship League, wissen Sie, die mit dem Büro droben in Morningside Heights, und sie hat mich gebeten, diese drei Leute in Empfang zu nehmen und sie zu einer Adresse irgendwo in der Hundertzwölften West abzuliefern, wo man sich um sie kümmern wird. Es sind politische Flüchtlinge. Unglücklicherweise passierte am Flughafen eine Panne, und sie wurden getrennt, als sie in den Bus stiegen, der sie zum Westside Terminal bringen sollte, wo ich auf sie wartete, um sie aufzunehmen, und dann…«

»Allright«, sagte der Mann in dem weißen Mantel. »Ich nehme an, du bist von deiner Schwester ermächtigt, in ihrem Namen für die Entlassung zu unterschreiben, oder muß sie selber dafür noch vorbeikommen?«

»Ich kann unterschreiben. Mein Gott, sie wird so froh sein, wenn die endlich auftauchen! Sie war praktisch außer sich, seitdem Gil und Helen verschwunden waren. Marie ist eine so wundervoll mitfühlende Frau, wissen Sie.

Dermaßen hingebungsvoll in ihrer Hilfe für die Unglücklichen…«

Der Arzt kritzelte etwas in ein Notizbuch. Dann blickte er auf und wies mit dem Kinn zu Gilgamesch. »Da wir von Hilfe sprechen, gibt es bei eurer Iranischen Freundschaftsliga psychotherapeutische Einrichtungen, Programme? Dieser Mann da hat dringend eine Therapie nötig.«

»Im Ernst, Doktor?« sagte der Mann Gallagher mit ernster Stimme. »Meine Schwester wird das genauer wissen wollen. Könnten wir was Genaueres erfahren, Doktor?«

»Ich gebe euch sein Printout mit. Aber es wird euch alles ganz klar, nachdem ihr nur ein paar Minuten lang zugehört habt, wenn er redet, wie tief gestört er ist. Diese Trojanische-Helena-Phantasien, der Gilgamesch-Wahn, ganz massiv und in wahrhaft zwanghaften Einzelheiten ausgearbeitet… Heißt er tatsächlich Gilgamesch, übrigens? Ja? Nun, das spielte offenbar dann eine gewisse Rolle für die Art seiner Störung. Im Grunde handelt es sich um eine Psychose mit Wahnvorstellungen, ein geradezu klassischer Fall, sehr tief verwurzelt. Er scheint ganz in einer fremden Welt zu leben, die er sich — soweit ich das in den zwei Tagen feststellen konnte, die ich ihn hier unter Beobachtung hatte — anscheinend ungewöhnlich tief und überzeugend entwickelt hat. Wenn ich nicht so höllisch überlastet wäre, würde ich gern eine Fallstudie über ihn schreiben. Aber natürlich, der alltägliche Arbeitsdruck hier, die Routine…« Er lutschte kurz an seinem Schreibstift. »Eigentlich frage ich mich schon auch, wie er überhaupt ins Land gekommen ist, so schwer gestört, wie der Mann ist. Flüchtling oder nicht, man müßte doch annehmen, daß er gewisse Schwierigkeiten gehabt haben müßte, überhaupt ein Visum zu bekommen, wenn man an die Vorschriften des Einwanderungsgesetzes von…«

»Man machte aus Mitgefühl eine Ausnahme«, sagte Gallagher rasch. »Soweit ich informiert bin, waren diese Männer bedeutende Helden des Widerstands im Untergrund und in Anerkennung ihrer außergewöhnlichen Verdienste erhielten beide die Einreisebewilligung. Hier in Gil sehen Sie einen Mann, der die schlimmsten Folterungen durchgemacht hat, die die Henkersknechte des Ayatollah sich für ihn ausdenken konnten, und da haben wir das unvermeidliche tragische Ergebnis. Eigentlich soll er ständig in der Obhut seines Bruders Hinkadoo bleiben, verstehen Sie? Aber weil es diese blöde Verzögerung am John-Eff-Ka gab…«

»Ich verstehe, verstehe.« Der Arzt kritzelte wieder in sein Papier.

Gilgamesch schaute mit gerunzelter Stirn zu Helena hinüber, die sich an Enkidu schmiegte. Sie schien Mühe zu haben, ein Lachen zu unterdrücken. Er spürte, wie der Ärger in ihm wuchs. Erst hatte er stundenlang die Befragungen durch diese Zwerge über sich ergehen lassen müssen, diese kleinen ärgerlichen summenden Insekten — und jetzt auch noch dies, alle diese Lügen und Schwindeleien, diese langwierige und langweilige Diskussion über seine Person, als wäre er nichts weiter als ein erbarmenswürdiger Verrückter…

Natürlich, das Ganze war weiter nichts als ein Manöver, um ihn hier herauszuholen, das sah er ganz klar, aber dennoch — dennoch — wie entwürdigend, dabeisitzen zu müssen wie ein geduldiges Schaf, während dieser ganze dünne Quark über ihn verrührt wurde…

Bleib still! befahl er sich. Laß diesen Gallagher sagen, was hier nötig ist.

Doch es war einfach zuviel. Weshalb sollte er gezwungen sein, den Verrückten zu spielen, um seine Freiheit wiederzugewinnen? Er konnte nicht länger schweigen. So sehr er sich bemühte, die Worte brachen einfach aus ihm heraus: »Dieses Geschnatter beginnt mein Ohr zu beleidigen. Ich wünsche, daß das aufhört, und daß man uns sofort und ohne weitere Torheiten entläßt!«