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Nachdenkliches Schweigen trat ein; dann meldete sich Kumar, der bisher ungewöhnlich schweigsam gewesen war — vielleicht eingeschüchtert durch die hochkarätigen Talente von der Nordinsel — zaghaft zu Wort. „Es sieht von hier viel schlimmer aus. In zehn Meter Tiefe gibt es fast keine Blätter mehr — nur die großen Stämme, und da ist genügend Platz dazwischen. Es ist wie ein Wald.“

Ja, dachte Loren, ein unterseeischer Wald, wo die Fische zwischen den schlanken, gewundenen Stämmen herumschwimmen. Während die anderen Wissenschaftler den Videoschirm und die vielfältigen Instrumentenanzeigen beobachteten, hatte er eine Vollsichtbrille aufgesetzt, die alles bis auf die Szene vor dem langsam sinkenden Roboter aus seinem Blickfeld ausschloß. Psychologisch gesehen befand er sich nicht mehr auf dem Deck der ‚Calypso‘; die Stimmen seiner Gefährten schienen aus einer anderen Welt zu kommen, die nichts mit ihm zu tun hatte.

Er war ein Forscher, der in ein fremdes Universum eindrang, ohne zu wissen, was ihm dort begegnen mochte. Es war ein eingeschränktes, fast einfarbiges Universum; die einzigen Farben waren weiche Blauund Grüntöne, und die Sichtweite betrug weniger als dreißig Meter. Ständig konnte er ein Dutzend schlanker Stämme sehen, in regelmäßigen Abständen von gasgefüllten Blasen gestützt, die ihnen Auftrieb gaben, sie ragten aus den düsteren Tiefen herauf und verschwanden oben im lichterfüllten ‚Himmel‘. Manchmal war ihm, als ginge er an einem trüben, nebligen Tag durch einen kleinen Wald aus Bäumen; dann zerstörte eine vorbeiflitzende Fischschule diese Illusion.

„Zweihundertfünfzig Meter“, hörte er jemanden rufen. „Bald müßten wir den Boden sehen. Sollen wir die Lichter anschalten? Die Bildqualität läßt nach.“

Loren hatte kaum eine Veränderung festgestellt, weil die Automatik die Bildschärfe konstant gehalten hatte. Aber er begriff, daß es in dieser Tiefe fast dunkel sein mußte — ein menschliches Auge wäre praktisch nutzlos gewesen.

„Nein — wir wollen niemanden aufstören, wenn es nicht sein muß. Solange die Kamera noch funktioniert, begnügen wir uns lieber mit dem verfügbaren Licht.“

„Da ist der Boden! Hauptsächlich Felsen — nicht viel Sand.“

„Natürlich. ‚Macrocystis thalassi‘ braucht Felsen, um sich anzuklammern — es ist anders als das frei schwimmende ‚Sargassum‘.“

Loren sah, was der Sprecher meinte. Die schlanken Stämme endeten in einem Netz von Wurzeln, die sich so fest um Felsvorsprünge schlossen, daß weder Stürme noch Oberflächenströmungen sie losreißen konnten. Die Analogie zu einem Wald an Land war noch zutreffender, als er gedacht hätte.

Sehr vorsichtig arbeitete sich der Beobachtungsroboter in den unterseeischen Wald vor und zog sein Kabel hinter sich her. Es schien nicht in Gefahr, sich in den schlangenförmigen Stämmen zu verheddern, die bis zur unsichtbaren Oberfläche hinaufreichten, denn zwischen den Riesenpflanzen war genügend Abstand. Ja, sie hätten auch bewußt…

Die Wissenschaftler, die auf den Monitorschirm schauten, erkannten die unglaubliche Wahrheit nur ein paar Sekunden später als Loren.

„Krakan!“ flüsterte einer von ihnen. „Das ist kein natürlicher Wald — es ist eine Plantage!“

29. Der Sabra

Sie nannten sich Sabras, nach den Pionieren, die sich, anderthalb Jahrtausende früher, eine fast ebenso feindselige Wildnis auf der Erde Untertan gemacht hatten.

Die Sabras vom Mars hatten in einer Hinsicht Glück gehabt; sie hatten keine menschlichen Feinde, die sich ihnen entgegengestellt hätten — nur das unwirtliche Klima, die kaum wahrnehmbare Atmosphäre, die über den ganzen Planeten tobenden Sandstürme. Alle diese Hindernisse hatten sie bewältigt; sie sagten gerne, sie hätten nicht nur überlebt, sie hätten obsiegt. Dieses Zitat war eine der zahllosen Entlehnungen von der Erde, was sie aber in ihrer leidenschaftlichen Unabhängigkeit nur selten einzugestehen vermochten.

Mehr als tausend Jahre lang hatten sie im Schatten einer Illusion — fast einer Religion — gelebt. Und diese hatte, wie jede Religion, eine wesentliche Rolle in ihrer Gesellschaft gespielt; sie hatte ihnen Ziele gegeben, die außerhalb der eigenen Person lagen, und ihr Leben mit Sinn erfüllt.

Bis die Berechnungen das Gegenteil bewiesen, hatten sie geglaubt — oder wenigstens gehofft —, der Mars könne vielleicht dem tödlichen Schicksal der Erde entgehen. Natürlich nur ganz knapp; der zusätzliche Abstand würde die Strahlung bloß um fünfzig Prozent verringern — aber das könnte ausreichen. Geschützt durch das kilometerdicke, uralte Eis an den Polen konnten die Marsianer vielleicht überleben, wo die Menschen es nicht konnten. Es kam sogar die Wahnvorstellung auf — an die jedoch nur ein paar Romantiker wirklich geglaubt hatten —, das Abschmelzen der Polkappen würde dem Planeten seine verlorenen Ozeane wiedergeben. Und dann würde die Atmosphäre vielleicht so dicht werden, daß die Menschen sich frei draußen bewegen konnten — mit einfachen Atemgeräten und Wärmeisolierung.

Diese Hoffnungen waren schwer auszurotten gewesen, unerbittliche Gleichungen hatten ihnen schließlich den Garaus gemacht. Keine Geschicklichkeit, keine Anstrengung, ganz gleich, wie groß, würde den Sabras die Rettung ermöglichen. Auch sie würden mit der Mutterwelt untergehen, deren Weichlichkeit sie so oft mit Verachtung straften.

Jetzt aber breitete sich unter der ‚Magellan‘ ein Planet aus, der alle Hoffnungen und Träume der letzten Generation von Marskolonisten in sich verkörperte. Wenn Owen Fletcher auf die endlosen Meere von Thalassa hinunterblickte, hämmerte ein Gedanke in seinem Kopf.

Den Sternensonden nach war Sagan Zwei dem Mars sehr ähnlich — was ja genau der Grund war, warum man ihn und seine Landsleute für diese Reise ausgewählt hatte. Aber warum sollte man in dreihundert Jahren, und fünfundsiebzig Lichtjahre entfernt, wieder zu kämpfen anfangen, wenn der Sieg schon hier und jetzt errungen war.

Fletcher dachte nicht länger nur an Desertion; das würde bedeuten, daß er viel zu viel zurücklassen mußte. Es wäre nicht weiter schwierig, sich auf Thalassa zu verstecken; aber wie würde ihm zumute sein, wenn die ‚Magellan‘ abflog, mit den letzten Freunden und Gefährten seiner Jugend?

Zwölf Sabras lagen noch im Tiefschlaf. Von den fünfen, die wach waren, hatte er zwei schon vorsichtig ausgehorcht und eine positive Antwort erhalten. Und wenn die beiden anderen ebenfalls einverstanden waren, dann wußte er, daß sie auch für die schlafenden Zwölf sprechen konnten.

Die ‚Magellan‘ mußte ihre Sternenreise beenden, hier auf Thalassa!

30. Krakans Kind

An Bord wurde nicht viel gesprochen, als die ‚Calypso‘ mit bescheidenen zwanzig Stundenkilometern in Richtung Tarna zurückfuhr; die Passagiere hingen ihren Gedanken nach und grübelten, welche Folgen diese Bilder vom Meeresgrund wohl haben würden. Und Loren war immer noch von der Außenwelt abgeschnitten; er hatte die Vollsichtbrille aufbehalten und ließ noch einmal die Erforschung des unterseeischen Waldes durch den Unterwasserschlitten ablaufen.

Der Roboter hatte sein Kabel ausgezogen wie eine mechanische Spinne ihren Faden und war langsam zwischen den großen Stämmen hindurchgefahren, die wegen ihrer gewaltigen Länge dünn wirkten, aber in Wirklichkeit dicker waren als der Körper eines Menschen. Es war jetzt offensichtlich, daß sie in gleichmäßigen, senkrechten und waagerechten Reihen angelegt waren, so daß es niemanden wirklich überraschte, als sie genau abgegrenzt aufhörten. Und hier gingen die Skorps in ihrem Dschungelcamp ihren Geschäften nach.

Es war klug gewesen, die Scheinwerfer nicht anzuschalten; die Geschöpfe nahmen den stummen Beobachter, der nur ein paar Meter über ihnen im fast dunklen Wasser schwamm, überhaupt nicht wahr. Loren hatte Videofilme von Ameisen, Bienen und Termiten gesehen, und die Art, wie die Skorps arbeiteten, erinnerte ihn an diese. Auf den ersten Blick konnte man unmöglich glauben, daß eine so komplizierte Organisation ohne eine intelligente Kontrollinstanz existieren konnte — aber das Verhalten konnte auch völlig automatisch sein, wie im Fall der staatenbildenden Insekten auf der Erde.