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Weiter sollte Mike mit seinen Gedanken nicht kommen, denn in diesem Moment entstand irgendwo auf der anderen Seite des Schiffes Aufregung: sie hörten Stimmen, erregte Rufe und einen Augenblick später Schreie, und plötzlich schien die gesamte Menschenmenge nach Steuerbord zu drängen, so daß sie mitgerissen wurden, ob sie wollten oder nicht.

»Was ist da los?« schrie André über den Tumult hinweg. Mike konnte zur Antwort nur mit den Schultern zucken. Er war inmitten dieser Menschen eingepfercht wie die sprichwörtliche Sardine in der Dose. Die Bewegung nach Steuerbord hin war inzwischen so gewaltig geworden, daß sich das Schiff in diese Richtung zu neigen begann.

In die gellenden Schreie mischten sich jetzt immer wieder panische Rufe, die mal von einem Seeungeheuer, dann wieder von einer Geheimwaffe der Deutschen schrien. Eine bange Ahnung begann sich in Mike breitzumachen, worum es sich bei dem »Seeungeheuer« handeln könnte.

Sie erreichten die Reling, und ein einziger Blick aufs Meer hinaus genügte, um Mikes Ahnung Gewißheit werden zu lassen.

Ein gewaltiges stählernes Etwas, über dessen Rücken sich vom Bug bis zum Heck ein Zackenkamm zog, der in einem ehrfurchtgebietenden Rammsporn endete, war nur wenige Dutzend Meter von der Fähre entfernt aufgetaucht. Rings um den stählernen Koloß schäumte das Meer, als koche es. Eine riesige Heckflosse ragte fast zehn Meter weit in die Luft, und um die Ähnlichkeit mit einem Fabelwesen komplett zu machen, erhob sich über der Mitte des Rumpfes ein gewaltiger, buckeliger Turm, aus dem zwei runde Bullaugen wie übergroße Augen hervorstarrten.

»Die NAUTILUS«, stieß André hervor. »Das ist -«

Weiter kam er nicht, denn trotz seiner Überraschung und Freude fuhr Mike blitzschnell herum und versetzte ihm einen heftigen Rippenstoß. »Still!« zischte er und sah sich erschrocken um. Glücklicherweise schien niemand Andrés Worte gehört zu haben - rings um sie herum drohte nämlich Panik auszubrechen.

»Das sind die Deutschen!« kreischte eine dicke Frau. Sie starrte kreidebleich vor Schreck auf das Unterseeboot. Andere Passagiere nahmen ihren Ruf auf. Wieder hallten Schreckensschreie über das Deck. Einige Besatzungsmitglieder versuchten tapfer, aber vergeblich, die aufgebrachte Menge zu beruhigen. Die Fähre begann immer spürbarer zu schaukeln.

Mike sah sich nach Ben und den beiden anderen um. Singh kämpfte sich gerade in ihre Richtung vor, wobei er Chris der Einfachheit halber auf die Arme genommen hatte, damit sie nicht getrennt wurden. Von Ben war keine Spur zu sehen.

»Sie kommt näher!« stieß André atemlos hervor. »Sie kommt zurück, Mike! Trautman geht längsseits!«

Tatsächlich nahm die NAUTILUS wieder Fahrt auf, überholte die Fähre und ging schließlich kaum einen Meter neben der Fähre längsseits, so daß sie scheinbar stillzustehen schien. Hinter dem riesigen Bullauge im Turm bewegte sich ein Schatten, dann wurde die Turmluke geöffnet.

Eine Sekunde lang war es, als hielten alle Leute an Bord den Atem an, aber als nichts geschah, brach die Panik tatsächlich aus. Ein Teil der Menschenmenge versuchte entsetzt, von der Reling und der vermeintlichen Geheimwaffe zurückzuweichen, während von hinten andere herankamen - ein unvorstellbares Gedränge entstand, in dem niemand mehr wirklich von der Stelle kam.

»Trautman will, daß wir wieder an Bord kommen«, rief Mike voll Aufregung. Er wartete nicht ab, ob Juan und André antworteten, sondern schwang sich mit einer entschlossenen Bewegung auf die schmale Metallreling hinauf. Die Fähre war ein ziemlich flaches Schiff, so daß sich der Rücken der NAUTILUS fast auf gleicher Höhe mit ihrem Deck befand. Hinter ihm klangen erschrockene Schreie auf. Jemand versuchte ihn zurückzuhalten, aber Mike streifte die Hand ab und nutzte den Schwung dieser Bewegung zugleich, um sich abzustoßen. Der Sprung war nicht sehr tief, aber er verlor auf dem nassen Metall um ein Haar die Balance und kämpfte mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht, dann hatte er festen Halt gefunden. »Kommt schon!« rief er.

Den anderen blieb keine Wahl mehr. Nach dem Sprung war für die Besatzungsmitglieder der Fähre klar, daß Mike und seine Begleiter etwas mit dem mysteriösen Ungetüm zu tun hatten, das so jäh aus dem Meer aufgetaucht war. Rücksichtslos drängten sie sich durch die Menschenmenge auf die Jugendlichen zu.

Juan war der nächste, der sprang. Mike packte ihn, bevor er stürzen konnte. Ihm folgte André. Von Ben war noch immer nichts zu entdecken.

Zwei Besatzungsmitglieder hatten inzwischen Singh erreicht, und versuchten ihn zu packen. Singh versetzte dem einen einen Stoß, der ihn in die Menschenmenge zurücktrieb, und rammte dem anderen den Ellbogen in den Magen, daß er sich vor Schmerz krümmte. Noch in der gleichen Bewegung fuhr Singh herum, stieg mit einem Fuß auf die schmale Reling - und warf den völlig perplexen Chris einfach zu ihnen herüber! Noch während Mike und Juan gemeinsam vorsprangen, um Chris aufzufangen, stieß Singh sich ab und landete geschmeidig auf dem Deck der NAUTILUS.

Mike hastete auf den Turm zu, stieg die kleine Leiter hinauf und schwang sich durch die Luke ins Innere des Unterseebootes, wo Trautman ihn erwartete.

»Was ist passiert?« fragte Mike.

Trautmans Aufregung war unverkennbar. »Später«, antwortete er knapp. »Erst einmal müssen wir hier weg. Wo sind die anderen?«

Juan und André polterten bereits die schmale Eisenleiter in den Turm hinunter. Über ihnen erschien Singhs Gestalt, und endlich sahen sie auch Ben. Durch das der Fähre zugewandte Bullauge beobachtete Mike, wie Ben ein ganzes Stück zum Heck hin vergeblich versuchte, sich durch die Menge zu quetschen. Als er einsah, wie wenig Sinn dieses Unterfangen hatte, sprang er kurzerhand über Bord und begann mit kräftigen Bewegungen auf das Boot zuzukraulen.

Ben war ein guter Schwimmer, aber an Bord der Fähre hatte sich die Situation dramatisch verändert: Zwei Männer in dunkelblauen Uniformen bahnten sich ihren Weg zur Reling, und Mike bemerkte voller Schreck, daß einer ein Gewehr trug.

Trautman und Singh verständigten sich mit einem schnellen Blick. Während Trautmans Finger über die Kontrollen huschten, Schalter umlegten, Knöpfe drückten und Hebel betätigten, kletterte Singh die Leiter wieder hinauf und verharrte auf der zweitobersten Sprosse, um Ben beim Einsteigen zu helfen.

»Aber die werden doch nicht etwa auf ihn schießen!« sagte Juan ungläubig.

Wie zur Antwort krachte vom Deck der Fähre ein Schuß. Allerdings galt der Angriff nicht dem Jungen im Wasser, sondern der NAUTILUS selbst. Die Kugel knallte gegen den Turm und heulte als Querschläger davon. Natürlich konnte eine Gewehrkugel dem gewaltigen Schiff keinen Schaden zufügen; selbst die Bullaugen bestanden aus fünf Zentimeter dickem Quarzglas, das ein solches Geschoß nicht einmal anzukratzen vermochte. Trotzdem fuhren alle im Turm so erschrocken zusammen, als wäre das Schiff von einem Kanonenschuß getroffen worden.

»Er ist auf Deck!« rief Singh zu ihnen hinab. »Los!«

Trautman schob einen großen Hebel nach vorne, und die NAUTILUS begann sich schwerfällig in Bewegung zu setzen. Das Schiff war so konstruiert, daß es notfalls auch von einem einzigen Menschen gesteuert werden konnte, allerdings standen zahlreiche Funktionen dann nicht zur Verfügung. Um alle Fähigkeiten des Tauchbootes voll zu nutzen, war eine Besatzung von wenigstens einem Dutzend Mann erforderlich.