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»Sie müssen eine Weile hierbleiben und sich erholen. Vielleicht im Salon.« Seine Stimme klang verlegen. Er reichte der Frau eine Pille. Asiadeh führte sie zum Diwan.

»Es war schauderhaft, Doktor«, flüsterte die Frau, »ist es wenigstens in Ordnung?«

»Ganz in Ordnung«, sagte Hassa und war erbost, daß jemand denken könnte, es wäre nicht in Ordnung.

Dann ging er in das Ordinationszimmer.

»Sie sollten Schwester bei einem Roßarzt werden«, sagte er, »aber dann würde der Tierschutzverein protestieren.«

Die dicke Frau packte beleidigt ihre Sachen.

»Sie haben zu vornehme Kundschaft, Herr Doktor. Das bißchen Schmerz wird man noch ertragen können.«

Sie ging, stolzerhobenen Hauptes.

Draußen im Salon schlief die Schauspielerin. Ihre geschlossenen Augen waren geschwollen.

Asiadeh schleppte Hassa ins Schlafzimmer.

»Herr und Gebieter«, sagte sie, »so geht es nicht weiter.« Ihr Gesicht war feierlich und sehr ernst. »Du wirst alle Kranken verlieren, wenn du keine ordentliche Schwester findest.«

»Ich werde schon eine finden«, brummte Hassa, »Wien ist groß. Es ist nur eine Frage der Zeit. Die guten Gehilfinnen sind alle beschäftigt. Ich werde vorläufig immer in der Klinik operieren.«

»Hassa«, sagte Asiadeh, und ihr Gesicht bekam einen ekstatischen Ausdruck, »du darfst nicht warten, und ich will nicht für die Leiden der Kranken verantwortlich sein. Nein, Hassa. Ich liebe dich zu sehr, und ich bringe dir jedes Opfer. Du mußt an die Kranken denken, die von dir Hilfe erwarten. Unsere persönlichen Gefühle dürfen dabei keine Rolle spielen.«

Sie stand vor ihm mit hochgehobenem Kopf und leidenschaftlichem Gesicht.

»Was meinst du denn, Kind?« Hassa sah sie verständnislos an.

»Hassa«, sagte Asiadeh, »ich rufe gleich Marion an. Du bist an die Arbeit mit ihr gewöhnt. Die arme Marion wird sich freuen, uns zu helfen. Es ist meine Pflicht, es zu tun. Unsere Ehe steht auf so festem Boden, daß wir uns vor Marion nicht zu fürchten brauchen.«

Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern lief zum Telephon, hob den Hörer und wählte Marions Nummer. Minuten später kam sie zurück. Ihr Gesicht war gerötet. Es war ihr etwas schwindelig.

»Sie kommt um vier Uhr, zur Nachmittagsordination. Sie sagt, daß sie gern wieder einen Teil ihrer ehemaligen Pflichten übernimmt.«

Sie verstummte, den Kopf leicht zur Seite geneigt und blickte demütig zu Hassa empor. Uraltes Asien sprach aus ihren Augen.

Hassa merkte es nicht. Er schritt zu ihr hin. Seine Hände umklammerten ihren Kopf. Er blickte in ihr zurückgeworfenes, gerötetes Gesicht und sagte fassungslos:

»Asiadeh, du bist beinahe eine Heilige.«

Asiadeh schwieg. Sie schämte sich sehr.

Marion kam um vier. Sie streifte den weißen Kittel über. Ihr schönes Gesicht war verwirrt.

»Alex«, sagte sie, »ich freue mich, dir behilflich zu sein. Für kurze Zeit natürlich. Bis du die Richtige gefunden hast. Du wirst sehen, ich habe noch nichts vergessen.« Sie ging durch die Wohnung und blieb in der Tür des Ordinationszimmers stehen, sie wunderte sich sehr, daß sie Herzklopfen hatte.

Es dämmerte, als Asiadeh tänzelnden Schrittes und ganz allein im Kaffeehaus erschien. Ihre Lippen war gespitzt, und sie surrte ein türkisches Lied. Dr. Kurz kam ihr entgegen.

»Ich hoffe, daß Ihr Mann mit meiner Empfehlung zufrieden war.«

»Er hat die Person bereits hinausgeschmissen. Ich habe für ihn etwas Besseres gefunden.« Sie schwieg eine Weile und blickte Kurz mit spöttischem Lächeln an: »Marion hilft ihm aus, bis er das Richtige gefunden hat.«

Lächelnd ging sie weiter und nahm allein an einem Fenstersitz Platz. Kurz kehrte zum Ärztetisch zurück. Sie sah, wie die Köpfe der Ärzte, gleich wogenden Ähren, sich zueinanderbeugten. Sie erriet erstauntes Geflüster. Die Köpfe wackelten wie bei chinesischen Götzen. Der Chirurg Matthes erhob sich vom Tisch. Er kam zu Asiadehs Fenstersitz und verbeugte sich. Er hatte graue Haare und ein feingeschnittenes Gesicht. Er setzte sich und blickte Asiadeh aufmerksam an.

»Verzeihen Sie«, sagte er, »es ist ja nicht meine Sache. Aber ich muß Sie warnen. Sie spielen mit dem Feuer, Asiadeh. Sie sind mir ein Rätsel. Man soll den Menschen die Sünde nicht allzu leicht machen, und hier wäre sie überhaupt zu vermeiden. Sie haben zuviel Vertrauen zu Marion oder zuviel Zuversicht. Man darf nicht derart mit eigenem Glück spielen. Sie nähren eine Schlange an Ihrer Brust.«

Asiadeh lehnte sich an die Wand, hob ihren Kopf empor und schloß ihre Augen halb. Ihr Gesicht war weich und entspannt. Sie lachte kaum hörbar. Nur ihre Kehle zitterte.

»Sie sind ein guter Mensch, Dr. Matthes. Das kommt daher, daß Sie chinesische Bücher sammeln und als Li Tai-pe zum Gschnas gehen. Ich danke Ihnen sehr. Marion ist eine arme Frau, der ich helfen will. Sie ist meine Freundin. Freundschaft ist doch etwas Heiliges, nicht wahr, Dr. Matthes? Nein, mein Mann wird mich nicht betrügen. Mich nicht. Ich bin sehr ruhig, Dr. Matthes.«

Sie verstummte. Ihr Gesicht wurde plötzlich ernst. Sie blickte in die Spiegelscheibe des Kaffeehauses. Weiße Schneeflocken fielen vom Himmel. Die Baumäste grüßten die Fenster, unter der Last des Schnees gebückt. Sie rieb mit dem Handschuh das Glas. Die weiße Straße wurde immer breiter. Unmerklich ging der Schnee in Sand über. Grau und eintönig lag die Wüste vor ihren Augen. Brandgeruch stieg von der Erde auf, und Kamele kamen aus der Ferne und hatten wiegende Köpfe, wie Ähren im Wind.

Sie blickte auf die Uhr. Hassas Ordination dauerte diesmal sehr lange.

27

Am frühen Morgen läutete das Telephon.

»Merhabar, Hanum-Efendi«, »Guten Tag, gnädige Frau.«

Asiadeh wurde sofort ganz wach.

»Merhabar Hasretinis«, »Guten Tag, Hoheit.«

Sie setzte sich im Bett auf Hassa wandte sich ihr zu und hörte verwundert die zwitschernden Laute.

»Ist mein Haus schon errichtet, Hanum?«

»Beinahe. Es fehlen nur noch einige Steine. Waren Sie am Grabe des heiligen Abdessalam?«

»Natürlich, ich habe für Sie einen geweihten Rosenkranz mitgebracht. Ich nahm Abschied von der Wüste. Es war ein freudiger Abschied. Wann sehe ich Sie, Hanum?«

Asiadeh verdeckte mit der Hand die Muschel.

»Hassa«, sagte sie, »es sind die beiden Landsleute, die ich im Sommer angefahren habe. Einen davon kennst du. Sie sind wieder da und wollen mich sehen.«

»Lade sie zum Nachtmahl ein«, sagte Hassa gleichgültig, »oder triff sie heute abend, beim Ball in der Burg.«

Asiadeh nickte und hob die Hand von der Muschel.

»Hoheit«, zwitscherte sie, »im Palast der Monarchen dieses Landes findet heute abend eine Versammlung der Weisen statt. Kommen Sie hin. Ich will Sie in den Palastsälen begrüßen.«

Sie hängte auf. Hassa sprang aus dem Bett und zog sich rasch an.

»Ich will noch schlafen, Hassa«, sagte Asiadeh, »ich… ich bin so müde.«

Sie schloß die Augen. Hassas Schritte verklangen in der Ferne. Sie lag regungslos im Bett, und ihre Hände waren über der Decke gefaltet. Der schwache Strahl der winterlichen Sonne fiel auf ihr Gesicht. Ihre Wimpern zitterten. Es war also so weit.

John war aus der Wüste zurückgekommen, und sie wußte selbst nicht, ob das Haus schon fertig war.

Sie öffnete die Augen. Das Zimmer war leer. Ein seltsames, dehnendes Gefühl erfüllte sie. Es war ihr, als wenn die Gegenstände im Zimmer langsam in ihr aufgingen und verschwänden. Sie blickte vor sich hin. Der Sonnenstrahl brach sich im Spiegel. Die Luft war plötzlich sichtbar geworden, beinahe greifbar und bunt.

Asiadeh erhob sich und schlüpfte in die Morgenschuhe. So saß sie am Rande des Bettes und fühlte ein Zittern in ihren Armen. Sie hatte plötzlich Angst, den Kopf zu heben und sich umzuschauen. Das Zimmer, die Schränke, die Tische, die Stühle drückten auf ihre Schultern. Das lackierte Holz blinzelte sie an, mißtrauisch und fremd. Sie ging zum Schrank. Die polierte Holzplatte erfüllte sie mit unverständlichem Schrecken.