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Sarah holte tief Luft und zeigte nach hinten zu dem Hügelkamm, hinter dem die Planwagen standen, während ihr Blick auf Beulah und Berenice ruhte.

»Und jetzt das Unglück, bei dem Abner Zachary, unser Captain, gestorben ist. Und nicht nur ihren Vater haben die beiden armen Mädchen durch dich verloren, sondern auch ihren Bruder Adam. Nur deinetwegen ist er von diesem Sklavenjäger abgestochen worden!«

Die Erwähnung von Adam Zachary schmerzte Urilla. Während der Nächte in den Prärien und in den Bergen hatte sie lange über den großen, breitschultrigen Mann nachgedacht, der ihr versprochen hatte, sie mit nach Oregon zu nehmen. Sie hatte sich gefragt, ob sie sich etwas vorzuwerfen hatte.

Urilla hatte Adam nicht geliebt, aber sie hatte ihn gemocht. Genug, um ihn in Oregon zu heiraten, wie er vorgeschlagen hatte. Sie hatte längst eingesehen, daß Liebe eine Illusion war, die sich die meisten Menschen machten. Vielleicht wurde diese Illusion für manche sogar zur Wirklichkeit, aber Urilla glaubte nicht mehr daran, daß sie zu diesem auserwählten Kreis gehörte.

Sie hatte sich Adam gegenüber nicht als Betrügerin gefühlt. Sie hätte sich Mühe gegeben, ihm eine gute Frau zu sein. Sie wäre gern seine Frau gewesen.

Viel lieber als die von Alan Clayton, der Urilla nur ausnutzte. Wie sie ihn. Clayton hatte ihren Körper gebraucht und Urilla seinen Schutz.

Ja, ohne sie wäre Adam Zachary noch am Leben. Juristisch traf sie keine Verantwortung für seinen Tod. Aber sie selbst konnte sich von Vorwürfen nicht freisprechen. Vielleicht war es die Strafe dafür, daß sie Adam vorgespiegelt hatte, ihn zu lieben.

»Ich gebe zu, daß ich an Adams Tod nicht ganz unschuldig bin«, sagte Urilla darum leise. »Aber für die anderen Vorfälle kann ich nichts. Ob ich bei ihm gewesen wäre oder nicht, Clayton hätte auf jeden Fall versucht, sich dem Treck anzuschließen. Und ich kann doch nichts für das Wetter und für das, was gestern hier passiert ist!«

»Natürlich kannst du was dafür!« keifte Sarah und versetzte Urilla einen heftigen Stoß gegen die Brust. Fast wäre Urilla in den Wildbach gefallen. Im letzten Moment fand sie ihr Gleichgewicht wieder.

»Du bist verflucht!« kreischte Sarah laut. »Du bist eine Hexe oder eine Banshee, eine Todesfee. Seitdem du bei uns bist, reist der Tod mit uns!«

In den wäßrigen Augen der Irin flackerte es. Das war mehr als Abneigung und Haß. Es war fast schon Wahnsinn.

Die erregte Frau holte umständlich zu einem neuen Stoß aus. Urilla sah das kommen und tauchte zur Seite weg. Von ihrem eigenen Schwung mitgerissen, stolperte Sarah und fiel mit einem lauten Platschen in den Creek.

Es sah fast komisch aus, wie sie im Wasser saß. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Urilla laut losgelacht. Das nasse Haar klebte helmartig an Sarahs Kopf, und unablässig fielen Wassertropfen von ihrer großen breiten Nase zurück in den Bach.

Erst sah sie Urilla fassungslos, dann wutentbrannt an. Die Irin raffte sich auf und stapfte an Land.

Urilla sah etwas in ihrer Rechten schimmern. Einen großen hellen Stein, den Sarah aus dem Bett des Creeks gefischt haben mußte.

»Verfluchte Hexe!« schrie die Irin und hob den Stein, um ihn gegen Urillas Kopf zu schmettern.

Urilla brachte sich mit einem Sprung über den Creek in Sicherheit. Am anderen Ufer stolperte sie über ihr langes Kleid und stürzte. Sie konnte den Sturz mit den Händen abfangen und stand gleich wieder auf.

Das war auch gut so. Denn die beiden irischen Frauen setzten ebenfalls über den Creek. Sarah hielt noch immer den dicken Stein in der erhobenen Rechten.

Urilla sah ein, daß sie gegen die aufgebrachten Frauen keine Chance hatte. Sie mußte fliehen, wollte sie sich nicht einen blutigen Kopf oder Schlimmeres holen.

Sie rannte vom Wildbach weg, über die mit Felsen gespickte Wiese auf einen nahen Wald aus Kiefern, Pappeln und Mahagonibäumen zu.

Sarah und Margareteen liefen ihr ein Stück hinterher, gaben die Verfolgung aber bald auf.

»Ja, lauf nur, du Hexe!« schrie Sarah der Flüchtenden nach. »Lauf, soweit du kannst! Verschwinde von hier! Laß dich nie wieder bei uns blicken!«

Sie bedeckte Urilla mit einem Wust von Flüchen und Beschimpfungen, die Urilla aus dem Mund einer Frau nur selten vernommen hatte, und dann nur in den übelsten Spelunken.

Urilla lief in den Wald hinein, immer weiter, stürzte mehrmals und riß sich dabei ihr Kleid ein. Sie rappelte sich auf und rannte weiter, obwohl von den anderen Frauen längst nichts mehr zu hören und zu sehen war.

Tränen verschleierten ihren Blick. Sie war traurig, daß die anderen sie hatten fortjagen können.

Aber was hatte Urilla ihnen schon entgegenzusetzen? Sie hatte keine Familie, die ihr Rückhalt gab. Keinen Mann. In den Augen der anderen Frauen besaß sie noch nicht einmal Ehre.

Sie fragte sich auf einmal selbst, ob sie noch Ehre im Leib hatte. Bisher hatte sie diese Frage immer verdrängt. Sie hatte sich eingeredet, daß sie sich Clayton hatte hingeben müssen, um sich selbst durchzubringen.

Und um eine Chance zu haben, ihren Vater wiederzufinden.

Aber war das wirklich so? Hatte sie ihr Ziel nicht manchmal aus den Augen verloren in der langen Zeit, in der Clayton sie behandelt hatte wie seinen privaten Besitz?

Urilla hatte sich auf einen kleinen Felsen im Schatten einer Gelbkiefer gesetzt und über diese Frage nachgedacht. Bis ihr plötzlich bewußt wurde, daß sie Zeit und Ort vergessen hatte.

Sie sah sich nach allen Seiten um, konnte aber beim besten Willen nicht mehr sagen, aus welcher Richtung sie gekommen war. Wo lagerte der Treck?

Richte dich nach dem Stand der Sonne, machte sie sich deutlich, oder nach den Berggipfeln!

Aber die Bäume standen hier so dicht, daß sie ihr den freien Blick in den Himmel verwehrten. Urilla mußte erst aus diesem Wald herausfinden, bevor sie den Treck suchen konnte.

Als sie von dem Felsen aufstand, lief ein kalter Schauer über ihren Rücken. Nicht, weil sie sich verirrt hatte. Auch nicht, weil sie von den Frauen am Creek angegriffen worden war. Nein, da war noch etwas anderes.

Sie wurde beobachtet!

Urilla wußte das plötzlich und konnte doch nicht sagen, woher dieses Wissen rührte. Sie sah niemanden, hörte keinen Laut. Es war wie ein uralter Instinkt, der sie warnte. Sie spürte geradezu die Augen, die auf ihren Körper gerichtet waren.

Billy Calhouns Erzählung kam ihr in den Sinn. Sein Bericht von den Bärenmenschen und von dem geheimnisvollen Phantom.

Mach dich nicht lächerlich! sagte sie sich in Gedanken. Das sind doch nur Hirngespinste, Spinnereien. Es gibt keine Bärenmenschen, und es gibt kein Phantom. Und niemand beobachtet dich. Du bist ganz allein hier.

Aber so sehr sie sich das auch einzureden versuchte, das unheimliche Gefühl, das so plötzlich von ihr Besitz ergriffen hatte, blieb. Wie ihre Angst vor dem unsichtbaren Beobachter.

Mit langen Schritten, aber äußerlich ruhig, ging sie zwischen den hohen Bäumen hindurch. Sie versuchte, eine gerade Linie einzuhalten, um nicht im Kreis zu laufen. Sie wollte rasch einen Weg aus dem Wald heraus finden.

Sie hoffte, das unheimliche Gefühl würde verschwinden. Aber ihre Hoffnung wurde nicht erfüllt.

Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und begann zu laufen. Immer schneller, ohne zu wissen, welche Richtung sie einschlug.

Vielleicht wäre sie bis ans Ende der Rockies gelaufen, wäre nicht plötzlich eine große Gestalt vor ihr zwischen den Bäumen hervorgetreten.

*

Sam Kelley und seine Gehilfen wurden mit ihrer Arbeit früher fertig als erwartet. Deichsel und Räder des auf große Steinblöcke aufgebockten Wagens waren ausgetauscht und die beim Zusammenprall mit Noah Koontz' Prärieschoner entstandenen Schäden ausgebessert worden. Die Maultiere wurden vor den reparierten Conestoga gespannt und zogen ihn gänzlich aus dem Weg.