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Das Einhorn versuchte den blutüberströmten Kopf zu heben und sank hilflos zurück.

»Schrei mich nicht so an! Mein Kopf schmerzt.«

Tiefe Risse zerfurchten seine Flanken, der Brustkorb war eingedrückt, und das Horn war dicht über dem Stirnansatz abgebrochen, sodass nur noch ein scharfkantiger Stummel zu sehen war.

»Es tut mir Leid«, murmelte Rupert. »Es tut mir so Leid.«

»Es war nicht deine Schuld«, sagte das Einhorn. Seine Stimme versagte, und es hustete blutigen Schaum.

Rupert liefen Tränen über die Wangen.

»Lass das!«, meinte das Einhorn unwirsch. »Du hättest mal sehen sollen, wie ich meine Gegner zugerichtet habe. Hast du das Ende des Regenbogens gefunden?«

Rupert nickte wortlos.

»Na, das ist doch schon mal was! Sie werden uns zu Ehren Balladen singen, mein Junge!«

»Und wieder alles in die falsche Kehle kriegen!«

»Kann gut sein«, pflichtete ihm das Einhorn bei. »Ich glaube, ich muss jetzt ein wenig schlafen, mein Junge. Ich bin müde.«

»Einhorn?«

»Ich bin so müde.«

»Einhorn!«

Nach einer Weile kam Julia und kauerte sich neben ihn.

»Es hat für mich sein Horn geopfert«, sagte Rupert bitter.

»Und ich? Ich habe es ohne die geringste Rücksicht von einer Gefahr in die nächste geführt.«

»Es war dein Freund«, sagte Julia sanft.

Sie hätte ihn nicht schlimmer treffen können.

»Rupert!«, warnte der Drache. »Dämonen!«

»Ich habe dir dein Schwert mitgebracht«, sagte Julia, während sie sich mühsam erhoben, und reichte Rupert die Klinge, die er am Ende des Regenbogens gefunden hatte. Rupert starrte die Waffe an und spürte einen heißen Zorn. Von allen Seiten stürmten Dämonen auf die Lichtung und schleppten die Schwärze hinter sich her. Im Feuerschein blitzten Fänge und Klauen auf. Der Drache richtete sich hoch auf, eine Schwinge hing ihm schlaff herab, aber er war unbesiegt. Julia stand vor Rupert, blutverschmiert, doch auch sie ungebeugt, und wartete darauf, dass er sein Schwert nahm und an ihrer Seite kämpfte. Und das Einhorn lag sterbend zu seinen Fü­ßen.

Es war dein Freund.

Rupert griff nach dem Schwert. Wut und Trauer wallten in ihm auf, als ihm bewusst wurde, dass er keine andere Wahl hatte, als tapfer zu sterben und möglichst viele Gegner mit in den Tod zu reißen. Er schwang die Waffe hoch über den Kopf, und plötzlich schienen sein ganzer Zorn, sein ganzer Schmerz, seine ganze Entschlossenheit in die Klinge zu strömen und hinaus in die lange Nacht, immer weiter, wie ein mächtiger Schrei, der die Dunkelheit zum Kampf herausforderte. Licht schoss aus dem Schwert, und die Dämonen duckten sich und wichen zurück, flohen Hals über Kopf, als der Regenbogen sich wölbte und mit dem Donner gigantischer Wasserfälle auf den Dunkelwald herabstürzte.

Die Zeit schien zu stocken und stillzustehen. Leuchtende Farben vertrieben die Nacht, mähten die Dämonen nieder, die in Scharen auf den blutgetränkten Boden stürzten und reglos liegen blieben. Und immer noch ergoss sich das schimmernde Licht über die grotesken Gestalten, bis sie schmolzen und in das aufgerissene Erdreich sickerten. Erst als sie alle verschwunden waren, verblasste der Regenbogen, und die Nacht nahm wieder Besitz vom Dunkelwald.

In der plötzlichen Stille wirkte das Knistern des Lagerfeuers unnatürlich laut. Mondlicht fiel durch eine breite Öffnung des verfilzten Astwerks, und wo der Regenbogen die Bäume berührt hatte, standen sie aufrecht und in voller Laubpracht da. Rupert senkte langsam das Schwert und musterte es lange, aber es unterschied sich in nichts von einem ganz gewöhnlichen Schwert. Hmm, dachte er schließlich, of f enbar enthalten manche Legenden doch einen wahren Kern…

»Kann mir jemand erklären, warum ich nicht tot bin?«, fragte das Einhorn.

»Einhorn!« Rupert fuhr herum und sah gerade noch, wie sein Reittier zitternd auf die Beine kam. Seine Wunden waren verheilt und hatten nur schwache Narben hinterlassen, und aus Mund und Nüstern floss kein Blut mehr. Der Prinz starrte das Einhorn mit offenem Mund an und untersuchte dann seine eigenen Wunden. Er hatte eine ganze Kollektion von Narben, aber nicht die Spur von Schmerzen. Er fühlte sich großartig.

»Mir fehlt auch nichts«, sagte eine verwunderte Stimme hinter ihm, und ehe Rupert sich umdrehen konnte, hatte Julia ihn gepackt und mit Bärenkräften an sich gedrückt. Sie legte ihm einen Arm um die Schultern, während er sich von dem Überfall erholte, und zerrte ihn im Laufschritt zum Drachen hinüber, der gerade vorsichtig seinen sauber verheilten Flügel dehnte.

»Kann mir bitte jemand sagen, was hier vorgeht?«, meldete sich das Einhorn erneut zu Wort.

»Ich habe einen Regenbogen gebannt und dir damit das Leben gerettet«, sagte Rupert und grinste dabei von einem Ohr zum anderen.

»Ha«, meinte das Einhorn, »ich wusste doch, dass du zu irgendetwas nütze wärst.«

Rupert schob lachend das Regenbogenschwert in die Scheide. Die Freude sprudelte in ihm wie Wasser in einer seit langem verschütteten Quelle. Doch dann verstummte sein Lachen, als er das Einhorn genauer ansah.

»Was ist los?«, fragte das Einhorn und runzelte die Stirn.

»Irgendwie kommst du mir verändert vor«, meinte der Prinz nachdenklich.

»Ich fühle mich blendend.« Das Einhorn drehte und wendete den Kopf, um sich von allen Seiten zu betrachten.

»Ach, du liebe Güte!«, murmelte Rupert, als ihm die Wahrheit dämmerte.

»Was ist los?«

»Äh…« Rupert überlegte verzweifelt, wie er den Sachverhalt möglichst taktvoll zur Sprache bringen könnte.

Julia und der Drache gesellten sich zu ihnen. »He«, sagte Julia ungeniert, »was ist denn mit deinem Horn passiert?«

»Meinem was?« Das Einhorn schielte wie verrückt, um einen Blick auf sein Horn zu erhaschen, aber außer einem kleinen Knochenwulst mitten auf der Stirn war nichts zu sehen.

»Die Dämonen brachen es ab, als sie über dich herfielen«, erklärte Rupert. »Offensichtlich kann der Regenbogen zwar Wunden heilen, aber verlorene Körperteile wachsen nicht mehr nach.«

»Mein Horn!«, kreischte das Einhorn. »Jetzt wird mich jeder für ein Pf erd halten!«

»Nie im Leben«, versicherte Rupert.

»Darf ich eure Diskussion kurz unterbrechen?«, warf der Drache ein. »Ich schlage vor, dass wir so schnell wie möglich von hier verschwinden. Wir sind noch ein ganzes Stück von der Grenze entfernt, und ich bin sicher, dass im Dunkelwald weitere Dämonen ihr Unwesen treiben.«

»Allerdings«, sagte Julia. »Der Albtraum ist vorbei, aber die Nacht bleibt für alle Zeiten.«

»Nicht für alle Zeiten«, widersprach Rupert leise und legte die Hand auf den Griff des Regenbogenschwerts. »Jede Nacht geht irgendwann zu Ende.«

KAPITEL ZWEI

Die Heimkehr

GUT ZWEI MONATE SPÄTER zogen Rupert, Julia, der Drache und das Einhorn müde die lange Serpentinenstraße hinauf, die zu Ruperts Burg führte. Rupert ritt sein Einhorn, während es sich Julia auf den Schultern des Drachen bequem gemacht hatte. Prinz wie Prinzessin trugen ein Lederwams, eine lange Hose und darüber einen dicken Pelzumhang. Die Temperatur war in den letzten Wochen stetig gesunken. Dazu kam ein eisiger Wind, der ohne Unterlass durch den Wald blies.

»Heim kehrt der Held«, deklamierte Julia. »Eigentlich müssten sie dich mit Fanfaren oder Ähnlichem begrüßen.«

»Der erstbeste Barde, der mir über den Weg läuft, kann sich auf einiges gefasst machen«, sagte Rupert. »Mit dieser Zunft bin ich fertig.«

Der Drache hüstelte taktvoll. »Ich komme nicht gern auf dieses Thema zu sprechen, Rupert, aber deine Leute haben dich vermutlich auf Abenteuerfahrt geschickt, damit du einen Drachenschatz heimbringst. Gold und Geschmeide – oder zumindest die wertvolleren Körperteile eines toten Drachen.