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Dieses Schwert lag nun auf dem Stahlblock und wechselte die Farbe seiner Klinge vom Dunkelgelben ins Blaue. Würde es das Schwert eines jungen Königs sein? Die Schwertleite sollte Siegfried zum Mann machen, und dann würde er an der Seite seiner Mutter Sieglind über die Niederlande herrschen, bis er eines Tages ganz allein das Erbe des toten Vaters antrat.

»Das Öl, Otter!« rief Reinhold. »Du mußt es eingießen!«

Der schlanke, dunkelhäutige Junge nickte und goß den Inhalt zweier Tonkrüge in einen hohen Eiseneimer. Als sich die beiden Flüssigkeiten trafen, schäumten sie kurz auf. Reinholds Härteöl war weithin berühmt. Otter trug schwer an dem Eimer, und Wieland half ihm, damit er nichts verschüttete. Sie stellten das Öl neben den Stahlblock.

Siegfried nahm das nur aus den Augenwinkeln wahr. Seine volle Aufmerksamkeit galt der noch immer heißen Klinge, die braun geworden war und sich allmählich erhellte, bis sie die Farbe von Honig annahm.

»Ins Öl, Meister?« fragte Siegfried, und Reinhold nickte. Der Königssohn ergriff das Schwert und steckte die Klinge ins Härteöl. Diesmal stiegen schwarze Schwaden auf, die aussahen - und stanken - wie Höllendämpfe.

»Rühren«, sagte der Schmied. »Beweg dein Schwert!«

Und Siegfried führte mit gleichmäßigen Bewegungen die erkaltende Klinge im Öl, um den Stahl gleichmäßig zu härten, wie er es bei Reinhold gelernt hatte. Der Schmied und die beiden Gehilfen standen dicht neben ihm. Ihre Augen folgten jeder Bewegung Siegfrieds, als er die Klinge langsam aus dem Eimer zog und hochhielt, bis die Glut der Esse sich in dem blauen Stahl spiegelte.

»Ah, das ist harter Stahl«, stellte Reinhold nach prüfendem Blick fest. »Sind die Schneiden erst geschärft, wirst du das beste Schwert im ganzen Land führen, Siegfried.«

»Wirklich?« fragte Siegfried leise und dachte an die andere Klinge, die er zerbrochen hatte.

»Du glaubst mir nicht?« Reinhold klang empört. »Dann erprobe die Härte. Schlag zu, auf was du willst!«

Siegfried betrachtete die Klinge und dann den Stahlblock, auf dem sie nach dem Abschrecken gelegen hatte. Plötzlich kam Bewegung in seinen sehnigen Körper, und er ließ Stahl auf Stahl niederfahren.

Wäre Otter nicht von übermenschlicher Gewandtheit gewesen, hätte die Schwertspitze das Findelkind durchbohrt. Sie brach ab, wie ein dünner Ast unter dem Druck einer kräftigen Hand zerbrach, und flog durch den Raum. So schnell, daß ein menschliches Auge ihr kaum folgen konnte. Doch der wendige Otter tauchte zur Seite, und der Stahl bohrte sich mit der Spitze in den eichenen Rüsterblock, auf dem der schwere Amboß ruhte, und blieb dort federnd stecken. Vier Augenpaare starrten ungläubig auf den großen Holzblock und dann auf das halbe Schwert, das noch in Siegfrieds Händen lag.

»Ich dachte, wir sind gute Kameraden, Siegfried«, durchbrach Otter in seiner launigen Art die beklommene Stille. »Bis heute wußte ich nicht, daß du mich auf solch drastische Art töten willst.«

Als niemand lachte, mußte Otter einsehen, daß seine Scherze diesmal nicht halfen. Die Mienen von Siegfried und Reinhold wirkten vor Grimm versteinert, während der klobige Wieland einfach nur grenzenlos verblüfft dreinschaute. Endlich löste der Schmied seine Augen von dem zerstörten Schwert.

»Ich hatte in all den Vielen Jahren noch keinen Schmiedeburschen mit solchen Muskeln wie Wieland«, sprach Reinhold nachdenklich. »Aber deine Kraft, Siegfried, übertrifft die seine noch!« Anerkennung schwang in dieser Feststellung mit.

»Was nutzt es mir, wenn ich jedes Schwert zerbreche, statt es zu führen?«

Achtlos ließ Siegfried die Schwerthälfte fallen und verließ die Schmiede. Er ging hinunter zum Fluß, dessen Fluten im hellen Licht der Sommersonne silbrig schimmerten, und setzte sich auf einen Felsblock.

Die Werkstätten lagen in seinem Rücken, und das Hämmern und Zischen war wie der Klang aus einer anderen Welt. Die Schwertburg beherbergte die größte Waffenschmiede am Rhein, und die hier gefertigten Schwerter, Lanzen und Äxte waren weithin berühmt. So berühmt, daß der Waffenschmied Reinhold von Glander längst zum allseits geachteten Fürsten aufgestiegen war.

Zur großen Schwertleite kamen viele Ritter nach Xanten. Reinholds Männer arbeiteten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, um eine möglichst große Zahl der begehrten Waffen absetzen zu können. Das förderte Reinholds Ruhm und nicht weniger seinen Reichtum.

»Betrachte das zerbrochene Schwert nicht als Unglück, Siegfried, sondern als Beweis deiner Stärke!«

Reinhold stand neben ihm und blickte mit der Anteilnahme auf ihn herab, wie sie ein Vater für den Sohn verspüren mochte. Tatsächlich war der Graf von Glander für Siegfried, dessen Vater auf dem Feldzug gegen die Friesen gefallen war, ein väterlicher Freund. Siegfried, damals keine zehn Jahre alt, hatte seine Trauer und Wut an allem und jedem ausgelassen, ungestraft, wie es nur ein Königssohn tun konnte. Als seine Mutter sich nicht mehr zu helfen wußte, hatte sie Reinhold zum Zuchtmeister ihres einzigen Sohnes erkoren. An Esse und Amboß sollte der Zorn des jungen Prinzen verrauchen; von Reinhold sollte er alles lernen, was ein Vater dem Sohn beibringen konnte: die Kunst der Jagd und des Krieges, den Umgang mit Pferden und vor allem den mit Menschen.

Reinhold hatte weder Sieglind noch ihren Sohn enttäuscht. Fast bereute Siegfried, daß seine Zeit auf der Schwertburg in wenigen Tagen vorbei sein sollte.

»Die Schwertleite«, sagte der Jüngling leise und blickte auf den Rhein, auf dem in diesen Tagen noch mehr Boote als sonst verkehrten; die meisten wollten zur Königsstadt Xanten. »Ich hätte es gern gesehen, wenn Ihr mich mit einem ganz besonderen Schwert umgürtet, Reinhold. Mit einem, das dem Sohn Siegmunds würdig ist.«

»Es gibt viele prachtvolle Schwerter, Siegfried«, antwortete der berühmte Waffenschmied und ließ sich neben seinem Ziehsohn nieder. Mit einem heiseren Lachen fügte er hinzu: »Niemand weiß das besser als ich, denn die meisten kommen aus meiner Schmiede.« Er räusperte sich. »Jedenfalls wirst du dich des Schwertes nicht zu schämen brauchen, das ich dir am Tag deiner Mannbarkeit überreiche. Und du wirst auch noch lernen, die Klinge zu führen, ohne sie beim ersten Schlag zu zertrümmern.«

Siegfried spürte Wärme und Zuneigung in Reinholds Worten. Aber es vertrieb nicht die Schatten, die auf seinem Gemüt lagen. »Das weiß ich, Reinhold, und dafür danke ich Euch. Trotzdem hätte ich gern ein einzigartiges Schwert gehabt, eins, das dem Prinz von Xanten nicht weniger gut zu Gesicht steht als meinem Vater das...«

»Das Runenschwert?« beendete Reinhold den Satz des verstummten Jünglings.

»Ja«, bestätigte Siegfried leise und dachte an das legendäre Schwert seines Vaters, das Siegmund zum unbesiegten Recken gemacht hatte. Wodan selbst sollte es geschmiedet haben, und es trug magische Runen. So erzählte man, wenn die Christenpriester nicht hinhörten.

»Du weißt, daß Siegmund selbst es zerbrochen hat, bevor er starb.«

Siegfried nickte nur und blickte seinen Ziehvater fragend an.

»Der Krieg gegen die Friesen war grausam, unwürdig eines Ritters«, erzählte Reinhold, der als vielgerühmter Recke selbst an jenem großen Feldzug teilgenommen hatte. »Erspare mir die Einzelheiten. Was man sich in Schenken und an Lagerfeuern darüber erzählt, ist bestimmt nicht übertrieben. Als dein Vater die tödliche Verwundung empfing, begriff er, daß er die Macht des Runenschwertes mißbraucht und Wodan deshalb seine schützende Hand von ihm genommen hatte. Deshalb zerbrach er die Waffe und befahl, die beiden Hälften an unzugänglichen Orten zu verstecken.«

»Warum ließ er es nicht ganz zerstören?«

»So darf man nicht mit einem Geschenk des Göttervaters umgehen, der zugleich Stammvater des eigenen Geschlechts ist. Kann es nicht sein, daß er dereinst befiehlt, das Runenschwert wieder gegen den Feind zu führen?«

Siegfried sah ungläubig drein und meinte nach einigem Überlegen: »Ich dachte, die alten Götter hätten sich von uns zurückgezogen. Bischof Severin sagt, es hat sie nie gegeben, sie seien bloß ein Aberglaube.«