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»Diese Marion Gronau gefällt mir nicht!« rief Erika.

»Vielleicht gefällst du ihr auch nicht, dann gleicht sich das aus!« rief Haußmann zurück. »Verdammt noch mal, ich fahre in die Fabrik, da höre ich wenigstens kein Gewäsch.«

Erika schwieg. Sie hatte die Hände vor den Leib gefaltet und sah ihren Mann stumm an. Sie kannte Karl nun schon seit 26 Jahren. Neunzehn war sie alt gewesen, als sie den jungen Fabrikantensohn beim Tanzen in der Stadthalle kennenlernte. Man heiratete schnell, man liebte sich mit dem Feuer der Jugend, die Kinder kamen, und dann wurde die Ehe ruhiger, eine Art Gewohnheit, mit wenigen Zärtlichkeiten, die dann auch untergingen und durch Pelze und Schmuck ersetzt wurden. Eine Alltagsehe zwischen geblümten Tapeten. Und die Freundinnen sagten: »Du hast es gut, Erika. Ein Haus, Geld, Schmuck, ein Auto, kannst dir alles kaufen. Mußt du glücklich sein.«

Sechsundzwanzig Jahre, da lernt man einen Mann kennen. Und als Erika nun sah, wie Karl unruhig an seinem Schlips zog und das Thema Marion Gronau ihm sichtlich unbehaglich war, mußte sie schmerzlich lächeln und dachte ein wenig mitleidig: Welch ein Gockel bist du doch, Karl. Fünfzig Jahre bist du. Hast einen Bauch. Dein Kreislauf ist labil. Und wenn du drei Kniebeugen machst, keuchst du wie ein Blasebalg mit Loch. Aber sobald dir ein junges Mädchen entgegenkommt, machst du ein hohles Kreuz, trägst den Kopf steif, gehst du forscher, und deine Äuglein glänzen. Daß du nicht siehst, wie lächerlich das ist. Diese Marion Gronau ist dreiundzwanzig Jahre alt. Jünger als deine Tochter, Karl! Und wenn sie dir schöne Augen macht, dann nur, weil du der Chef bist, weil du Geld hast, weil sie sich etwas von deinem Erfolg erhofft. Und du glaubst wirklich, daß du als Mann auf sie einen Eindruck machst. O armer Karl! Wir zwei sind zusammen alt geworden, mich stört nicht dein Bauch und dein Schnarchen in der Nacht, und ich weiß, welche Pillen du zur Verdauung nehmen mußt und welche Tropfen nach dem Essen für deine Galle. Ob auch Marion Gronau das weiß? Ob sie deinen Bauch schön fände, wenn er nicht mit Gold lackiert wäre? Du bist ein alter Esel, Karl!

»Ich gehe ins Büro!« sagte Karl Haußmann noch einmal scharf. »Der ganze schöne Morgen ist mir versaut durch deine dumme Rederei! Aber wie du willst, ich blase die Reise ab. Wir fahren nicht. Ich kann mich auch hier auf der Terrasse erholen und in meinem Bett ausschlafen. Was das aber für einen Eindruck macht, jetzt, einen Tag vorher.«

»Wir fahren, Karl. Natürlich fahren wir.« Erika versuchte ein versöhnliches Lächeln. »Die jungen Leute werden sich sowieso in Rimini absondern und haben ihre eigenen Probleme.«

»Na klar«, brummte Haußmann. Der Gedanke, daß so etwas wirklich eintreffen könnte, behagte ihm gar nicht.

»Paßt dir überhaupt noch deine Badehose?«

»Warum nicht?«

»Du bist im letzten Jahr dicker geworden.«

Karl Haußmann strich sich über seinen Bauch. Wie sagte Marion Gronau, dachte er. »Ich habe eine Schwäche für stattliche Herren.« Ein wundervolles Mädchen, diese Marion. Sie wirkt wie Sekt.

»Es wird in Rimini schon eine passende Hose geben«, sagte er laut. »Also: Fahren wir oder nicht?«

»Natürlich fahren wir. Nur ... ich habe Angst.« Erika lehnte sich an die Hauswand. Ihre bläulichen Lippen zuckten. »Die lange Fahrt . ob ich sie durchhalte? Heute nacht war es wieder ganz schlimm im Leib. Und heute morgen ist mir zweimal schwindlig geworden.«

»Die Wechseljahre.« Karl Haußmann zog seine Jacke an und sah auf seine Armbanduhr. 9.30 Uhr. Jetzt war die Post sortiert, und Marion wartete, um sie ihm vorzulegen. Karl Haußmann hatte es nun eilig, in die Fabrik zu kommen. Bei der Postdurchsicht waren er und Marion zwanzig Minuten allein. Da bekam er seinen Morgenkuß, Marion setzte sich ihm auf den Schoß, und er durfte ihre Beine streicheln. Bis zum Strumpfende. Dann schlug sie ihm auf die Finger und sagte mit einem süßen Lächeln: »Aber Herr Direktor.« In Rimini sollte das anders werden, verdammt noch mal. Und Marion Gronau hatte angedeutet, daß südliche Nächte, Chiantiwein und Mandolinenklang sie ganz schwach werden ließen.

»Geh zum Arzt!« sagte er zu seiner Frau, tätschelte ihr die Wange und ging zur Wohnhallentür.

»Der Arzt sagt immer nur, es sind die Nerven.«

»Ein kluger Mann. Natürlich sind's die Nerven. Dir fehlt gar nichts! Wie gesagt, die Wechseljahre. Da wird man knötterig und nervös, die Fliege an der Wand ärgert einen - Hysterie nennt man so etwas, Rika! Aber das geht vorbei. Du sollst sehen: Rimini, das Meer, der weiße Sand. Himmel, schon halb zehn! Ich muß ins Büro!«

Karl Haußmann gab seinem fülligen Körper etwas Schwung, lief durch die Wohnhalle, übersprang den Schlauch des Staubsaugers und zwang sich, nicht gleich wieder kurzatmig zu keuchen. Wenig später brummte der große Wagen aus der Garage und entfernte sich in Richtung Gelsenkirchen.

Erika Haußmann setzte sich auf die Bettkante und blickte über die ausgebreiteten Kleider und die Wäsche, die sie mitnehmen wollte. Auch zwei Badeanzüge waren dabei, mit tiefen Rückenausschnitten. Sie beugte sich vor, zog sie zu sich und hielt sie hoch. Sind sie nicht zu jugendlich für mich, dachte sie. Ich bin fünfundvierzig Jahre und keine zwanzig. Kann ich mit solcher Rückenfreiheit noch gehen? Und auch an der Brust ist der Badeanzug ausgeschnitten.

Sie stand auf, ging zu dem großen, bis auf die Erde reichenden Spiegel, drehte sich und betrachtete ihre Figur.

Dafür, daß ich zwei erwachsene Kinder habe, sehe ich noch gut aus, dachte sie. Kein Fleckchen welke Haut, keine Fettpölsterchen, keine tiefen Falten. Schlanke Beine habe ich, und meine Brüste sind rund und in den Haltern straff. Ich habe kein Fett an den Hüften und kein Doppelkinn.

Aber sie ist dreiundzwanzig Jahre, diese Marion Gronau. Der Hauch der Jugend umweht sie. Wenn sie geht, vibriert ihr Körper. Vielleicht hat sie gar keinen Halter nötig und über ihrer zarten Haut liegt noch der samtweiche Flaum. Auch ich war einmal dreiundzwanzig, und ich war hübscher als sie.

Erika Haußmann warf die beiden Badeanzüge auf das Bett, ging zum Telefon und rief ein Sportgeschäft in Gelsenkirchen an.

»Ich komme in einer Stunde zu Ihnen«, sagte sie mit entschlossener Stimme. »Bitte legen Sie mir in meiner Größe, Sie kennen sie ja, 38, eine Auswahl Bikinis zurück. Ja, Bikinis, die schönsten, die Sie haben. Ja, von mir aus die ganz modernen, auch wenn sie verrückt sind. Ich probiere sie nachher an. Schönen Dank, bis später.«

Dann saß sie wieder auf der Bettkante inmitten von Kleidern, Schuhen, Unterwäsche und Blusen, starrte auf den Koffer und dann hinaus in den sonnenüberfluteten Garten und hatte beide Hände auf den Leib gelegt.

Er schmerzte wieder. Er fühlte sich an, als sei in seinem Inneren ein runder, harter Kloß. Und wieder stieg die Angst in ihr auf, diese lähmende, das Herz umkrampfende Angst: Ist es Krebs? Bin ich schon vom Tode gezeichnet?

Und weil sie diese Angst hatte, ging sie nicht mehr zum Arzt. Sie wollte die Wahrheit nicht wissen. Sie wollte, solange es ging, bei ihrem Mann bleiben. Sie zwang sich, stark zu sein und nicht an ihre Angst zu denken.

Gerade jetzt nicht, wo es in ihrem Leben eine Marion Gronau gab.

Die Emaillewerke Haußmann & Sohn lagen in der Nähe der Zechen und Eisenwerke in Gelsenkirchen-Schalke und waren nur ein kleiner Komplex im Vergleich zu den großen Konzernen. Aber so, wie das Bankhaus Morgan eines der kleinsten, aber gesündesten Häuser in der New Yorker Wall Street ist, war auch die Emaillefabrik Haußmann & Sohn stabil und krisenfest. Haußmann beschäftigte 150 Arbeiter und Angestellte, hatte nie Krach mit der Gewerkschaft bekommen und ließ keinen Zweifel daran, daß er selbst einmal an der Maschine gestanden hatte, zehn Stunden lang stanzte und von vier Butterbroten und Malzkaffee oder einer Bohnensuppe im Henkelmann lebte. »Mir kann keiner was vormachen!« sagte er immer. »Ich kenne, wie's ist, wenn einem das Kreuz weh tut und man noch vier Stunden abkloppen muß!«