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Rayan starrte sie finster an und antwortete gar nicht.

»Und was«, fragte Skar rasch, »liegt vor uns?«

»Das wissen die Götter«, antwortete Rayan. »Und vielleicht noch die Fische. Es kann alles sein. Tausend Meilen leerer Ozean, Inseln, Festland, das Nichts...« Er seufzte. »Wenigstens wissen wir, was hinter uns ist.«

Skar wandte unwillkürlich den Blick nach Osten. Selbst durch den massiven Rumpf des Schiffes hindurch glaubte er plötzlich den dunklen, auf und ab hüpfenden Schmutzfleck auf dem Horizont zu erkennen. Es würden noch viele Stunden vergehen, ehe der Punkt so groß wurde, daß er die bizarre Form des gefürchteten schwarzen Segels erkennen konnte, und trotzdem glaubte er, die Nähe der Gefahr wie einen körperlichen Schmerz zu fühlen. Für einen Moment verspürte er ein aberwitziges Gefühl des Bedauerns. Er konnte Gowennas Unruhe verstehen - es war die gleiche Art von Unruhe, die auch ihn quälte, nur gedämpft durch die Erfahrung eines zehn Jahre längeren Lebens; oder was er dafür hielt. Die Gewißheit, einen Kampf ohne die geringsten Aussichten auf einen Sieg antreten zu müssen, war schlimm. Aber Stunde um Stunde dazusitzen und das unbarmherzige Näherkommen des Kaperschiffes zu beobachten war beinahe noch schlimmer. Er hielt Rayans Blick sekundenlang stand, versuchte zu lächeln und stand auf. Er fror. Die Kälte war längst auch in diesen Teil des Schiffes gekrochen, und die glühenden Kohlebecken kämpften einen vergeblichen Kampf gegen die Feuchtigkeit, die ihr auf dem Fuß folgte. Trotzdem trugen sowohl Gowenna als auch er nur dünne Lederhemden über ihren Panzern. Warme Kleidung, das hatten sie bereits nach den ersten Stunden an Deck feststellen müssen, nutzte an Deck kaum etwas. Der eisige Wind durchdrang alles, tränkte selbst die dicksten Pelze mit Feuchtigkeit und verwandelte sie in wenigen Augenblicken in kalte, klamme Mäntel, die ihre Körper eher noch mehr auskühlten als wärmten.

»Wohin?« fragte Rayan.

Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf die niedrige Tür am anderen Ende des Raumes. »Ich werde nach Del sehen«, sagte er. »Vielleicht kann ich auch ein wenig schlafen oder wenigstens ausruhen.«

»Und deine Wache?« erinnerte Helth.

Skar schenkte ihm einen abfälligen Blick. »Ich schenke sie dir«, sagte er bissig. »Stell dich selbst an die Reling, wenn du Angst hast, daß dir der Himmel auf den Kopf fällt.« Seine Worte waren schärfer, als im Augenblick vielleicht angebracht war. Er lag nicht im Streit mit dem Veden und wollte ihn auch nicht, aber die hochmütige Art, in der Helth Gowenna behandelt hatte, ärgerte ihn. Er wußte wohl von allen an Bord am allerbesten, wie wenig Gowenna einen Beschützer brauchte, aber sie waren zu lange zusammen, als daß es ihm gleichgültig sein konnte, wie man sie behandelte. Vielleicht war er auch trotz allem zu sehr Mann und Gowenna, trotz allem, zu sehr Frau. Der logische Teil seines Denkens sagte ihm, daß Gowenna von dem Veden nichts zu befürchten hatte. Helth war, unbeschadet seines hochmütigen Auftretens und der Meisterschaft, mit der er seine Waffen zu handhaben verstand, nicht viel mehr als ein zu groß geratenes Kind, und zudem der einzige an Bord, der nicht wußte, wie sehr Gowenna ihm überlegen war; nicht nur mit Worten. Aber es gab noch einen anderen Skar, einen, der einfach nur Mann war und dessen Beschützerinstinkte durch Gowennas Anwesenheit geweckt wurden, der ihm zumindest das Gefühl gab, etwas für sie zu empfinden, auch wenn es in Wirklichkeit nicht da war. Nicht mehr. Trotzdem konnte er nicht so tun, als wäre sie eine Fremde. Dazu waren sie zu lange zusammengewesen.

Er schenkte Helth einen letzten, bösen Blick, wandte sich mit einem Ruck um und ging mit weit ausgreifenden Schritten auf die Tür zu.

2.

Der Gang war fensterlos niedrig, wie alle Räume an Bord der SHAROKAAN, und führte durch die volle Länge des Schiffes bis zum Bug hin. Der Boden war hier nicht massiv wie in der Mannschaftskabine, sondern bestand lediglich aus einem grob zusammengenagelten Lattenrost, der unter seinen Schritten federte und unter dem das faulige Wasser der Bilge sichtbar wurde. An den Wänden waren Flecken hellgrauen Schmierpilzes gewachsen, und das Dröhnen der Brecher, die monoton gegen den Rumpf schlugen, klang hier unten wie ein dumpfer, nie aufhörender Trommelwirbel. Skars Unwohlsein schien sich zu verstärken, als er den Gang betrat. Die Enge vermittelte ihm den Eindruck, eingesperrt zu sein. Er fragte sich unwillkürlich, warum jemand, der ein Schiff konstruierte und baute, auf diese Winzigkeit verzichten mußte. Die SHAROKAAN war ein großes Schiff - es hätte ihrem Stauraum kaum Abbruch getan, die Decken einen Fuß höher und die Wände ein paar Zoll weiter auseinander anzubringen, so daß man nicht ständig das Gefühl haben mußte, lebendig begraben zu sein. Aber Seefahrer waren ohnehin ein Volk für sich, das er wahrscheinlich nie verstehen würde. Der Gang wurde so gut wie nie benutzt - das Deck der SHAROKAAN war nicht so massiv, wie es einem Außenstehenden erscheinen mochte, sondern bestand im Grunde nur aus einem Balkengerüst, auf das einzelne Platten wie übergroße Dachpfannen aufgelegt waren, so daß jeder Punkt der Laderäume bequem von oben erreicht werden konnte, und Del und er waren vielleicht seit Jahren die ersten, die regelmäßig hier herunterkamen. Auf dem Boden lag der Staub von Jahrzehnten, von Nässe und Fäulnis zu einer schmierigen Schicht zusammengebacken, in der seine Schritte saugende Geräusche verursachten und die ihn festzuhalten versuchte, so daß er ständig glaubte, gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen zu müssen.

Skar fröstelte, senkte den Kopf ein wenig und ging schneller. Die Kälte war hier unangenehmer als hinten in der Kabine - nicht schlimmer, aber direkter und aufdringlicher, als hätte sie ihm aufgelauert, um hier, wo er allein und nicht in der Gesellschaft anderer war, mit ganzer Kraft über ihn herzufallen.

Er erreichte das Ende des Ganges, schob den Riegel zurück und betrat die dahinterliegende Kammer. Sie maß kaum drei Schritte im Quadrat und wurde auf der gegenüberliegenden Seite von einem mannshohen, aus fingerdicken Stangen von eisenhartem altem Eichenholz gefertigten Gitter abgeschlossen. Sorgsam zog er die Tür hinter sich wieder zu, ehe er sich umdrehte und den wuchtigen Schlüssel von der Wand nahm. Er war so alt und grob wie dieses Schiff und hing offen an einem krummgeschlagenen Nagel, aber doch so weit vom hinteren Teil der Kammer entfernt, daß keiner, der seinen Arm durch die Gittertür zwängte, ihn erreichen konnte.

Skar steckte den Schlüssel ins Schloß, drehte ihn halb herum und zögerte einen Herzschlag lang. Sein Blick glitt mit einem Mißtrauen, das so unbegründet wie unbewußt war, durch den winzigen, nur schwach erhellten Raum auf der anderen Seite des Gitters.

Er war nur wenig größer als dieser Teil der Kammer, in der er sich jetzt noch befand, und auf schwer in Worte zu fassende Weise düster. Wenn er jemals einen Ort gesehen hatte, auf den das Wort Kerkeratmosphäre zutraf, dann war es dieser winzige Verschlag im Bug der SHAROKAAN. Die Wände zogen sich im vorderen Teil der Kammer, der Krümmung des Schiffsrumpfes folgend, zusammen und schienen seine Insassen erdrücken zu wollen, und wenn der Boden auch hier, anders als hinten im Gang, massiv war, so glaubte er die lauernde kalte Tiefe darunter doch zu spüren.

Del lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und schlief; wie meistens, wenn er herkam, und auch Vela hatte sich auf dem niedrigen, mit Stroh und Decken gepolsterten Lager ausgestreckt und das Gesicht in der Armbeuge vergraben. Die dünne Kette, die ihr linkes Handgelenk mit dem wuchtigen Eisenring in der Wand verband, glitzerte wie eine silberne Schlange auf dem mattgrauen Stoff ihres Gewandes, dessen zerschlissene Seide mit dem schmutzigen Braun der Wände zu verschmelzen schien, als hätte das Schiff bereits angefangen, sie aufzusaugen. Skar drehte den Schlüssel vollends herum und warf sich leicht mit der Schulter gegen das Gitter, um es in den verquollenen hölzernen Angeln zu bewegen. Das quietschende Geräusch hallte überlaut in der winzigen Kammer wider.