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Das Gefühl war nicht echt, das wußte er. Schon eine halbe Stunde an Deck würde genügen, um sich wieder so müde und erschöpft zu fühlen wie zuvor. Aber das vage Bewußtsein seiner Stärke brachte ihm auch etwas von seinem normalen Optimismus zurück, und er schob die innere Unruhe einfach von sich. Damit würde er sich auseinandersetzen, wenn es soweit war. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, nach Del und Vela zu sehen, aber dann hörte er wieder die Schritte über sich und die Stimmen, und seine Neugier erwachte erneut.

Sein Blick streifte Rayans Truhe. Die große, mit bronzenen Riegeln und Schlössern gesicherte Seekiste war das einzige wirklich massive Möbelstück im Raum, sah man von dem festgeschraubten Tisch und den dazugehörigen ebenfalls am Boden befestigten Schemeln ab. Für einen Moment überlegte er ernsthaft, einfach hinüberzugehen und seine Waffen an sich zu nehmen. Die Vorstellung war verlockend - ein schneller Griff, und er würde wieder Satai sein, kein Mann mit einer leeren Schwertscheide am Gürtel. Die altersschwachen Schlösser würden einem ernstgemeinten Versuch, sie aufzubrechen, kaum standhalten, und das vertraute Gewicht der Waffe an seiner Seite würde ihm viel von seiner verlorenen Sicherheit und Ruhe zurückgeben.

Aber er verwarf den Gedanken augenblicklich wieder. Es hatte keinen Zweck, zusätzlich zu allem anderen auch noch eine direkte Konfrontation mit Rayan und seinen Wachhunden zu provozieren.

Skar drehte sich mit einem lautlosen Seufzer herum und ging zur Treppe. Es wurde Zeit, von diesem Schiff herunterzukommen. Gedanken wie die, die ihm jetzt im Kopf herumspukten, paßten vielleicht zu Del, aber kaum zu ihm. Er zwang sich, schneller zu gehen.

Die Tür am oberen Ende der Treppe stand offen, und der Sturm schlug mit eisigen Krallen nach ihm, als er auf das Deck hinaustrat. Skar blinzelte überrascht. Die Sonne stand dicht über dem Horizont - aber sie stand im Osten, und das bedeutete, daß es wieder Morgen war und er den Rest des Tages und die ganze Nacht durchgeschlafen hatte. Er wankte, betroffen von der Wut, mit der der Eissturm über das Deck pfiff, klammerte sich am Türpfosten fest und verzog das Gesicht. Von der unnatürlichen Ruhe, die während der letzten Tage an Bord des Schiffes geherrscht hatte, war nichts mehr geblieben. Das Schiff befand sich in heller Aufregung. Der größte Teil der Besatzung drängte sich an der Backbordreling und starrte aufgeregt nach Osten. Andere liefen wild schreiend und gestikulierend über das Deck oder kletterten behende wie Baumaffen an der Takelage empor, um über die Köpfe der Gaffenden hinwegsehen zu können. Skar blickte instinktiv nach Osten. Aber der dunkle Punkt war noch hinter ihnen, näher als am Tag zuvor, aber hinter ihnen. Die Aufregung mußte einen anderen Grund haben.

Skar griff sich den erstbesten Mann, der vorüberkam, und hielt ihn grob an der Schulter fest. »Was ist los?« fragte er.

»Was los ist?« echote der Matrose verblüfft. »Du...« Er schluckte, sah Skar eine halbe Sekunde lang erschrocken an und verbesserte sich hastig. »Ihr wißt es nicht?«

»Dann würde ich nicht fragen«, antwortete Skar verärgert. Er verstärkte den Druck seiner Hand ein wenig. »Also?«

Ein schmerzhaftes Zucken lief über das Gesicht des Matrosen. »Land«, keuchte er. »Wir haben Land voraus!«

Skar ließ den Freisegler so abrupt los, daß der Mann das Gleichgewicht verlor und auf dem spiegelglatten Boden ausglitt. Mit ein paar raschen Schritten war er an der Reling und bahnte sich einen Weg durch die dreifach gestaffelte Reihe der Seeleute. Ein Ellenbogen traf schmerzhaft seine Rippen, so hart, daß es sicher kein unglücklicher Zufall mehr, sondern Absicht war, und ein harter Stiefel bohrte sich in seine nackten Waden, aber er achtete nicht darauf.

Über dem Horizont, vielleicht noch zehn, zwölf Meilen entfernt, war eine dünne weiße Linie sichtbar geworden; nicht viel mehr als ein Strich, der auf die Trennlinie zwischen Ozean und Himmel gemalt war, aber ein Strich von zu kräftiger Farbe für tiefhängende Wolken und zu kantiger Form für eine Nebelbank. Land! Land oder wenigstens Eis, das vielleicht einer Küste oder einer größeren Insel vorgelagert war.

Skar drehte sich um und hielt nach Rayan Ausschau.

Im ersten Moment konnte er ihn in dem Gedränge nirgends sehen - die gesamte Mannschaft schien auf dieser Seite des Schiffes zusammengelaufen zu sein. Aber dann entdeckte er einen der hochgewachsenen Veden und mit ihm Rayan. Der glatzköpfige Freisegler stand vorne am Bug und war in eine hitzige Diskussion mit Del und einem seiner Offiziere verwickelt. Seine beiden Veden-Leibwächter standen stumm dabei und verfolgten die Szene mit unbewegten Gesichtern. Ihre Haltung wirkte angespannt.

Skar drängte sich zu ihnen durch, tauschte einen raschen Blick mit Rayan und legte Del die Hand auf die Schulter.

»Was ist los?« fragte er. »Und was machst du hier an Deck? Wer ist vorne bei Vela?«

Der junge Satai fuhr herum. Ein zufriedener Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er Skar erkannte. »Gut, daß du kommst«, sagte er, ohne auch nur anzudeuten, daß er Skars Fragen überhaupt gehört hatte. Er wirkte aufgebracht. »Dieses verdammte Fischgesicht« - damit deutete er auf Rayan, der die Beleidigung mit einem ärgerlichen Schnauben quittierte - »weigert sich, den Kurs zu ändern.«

»Mit gutem Grund«, gab der Freisegler gereizt zurück. »Das dort drüben ist Eis, kein Land..., sieh selbst!« Er zerrte sein Fernrohr unter dem Gürtel hervor, fuchtelte wild damit in der Luft herum und hielt es Skar mit einer wütenden Bewegung hin.

Skar nahm das Glas entgegen und drehte es einen Moment unschlüssig in den Händen. Rayans aufgeregter Tonfall überraschte ihn. Er hatte den Freisegler bisher stets als ruhigen und überlegten Mann kennengelernt, selbst in extremen Situationen. Aber schließlich war er lange genug mit Del zusammen, um zu wissen, daß der junge Satai jeden aus der Ruhe bringen konnte. Und meistens war er es, der hinterher die Wogen glätten mußte - so wie jetzt. So rasch, wie er in das Gespräch geplatzt war, sah er sich auch schon als Mittelpunkt des Streites. Sowohl Del als auch der Freisegler schienen zu erwarten, daß er ihre jeweilige Partei ergriff. »Ich... glaube dir«, sagte er. »Aber meiner Meinung nach...«

»Papperlapapp«, unterbrach ihn Rayan wütend. »Ich habe dir ein wenig mehr Intelligenz zugetraut, Skar. Auf dem offenen Meer sind wir dem Dronte noch einen Tag und die Nacht und vielleicht sogar noch einen Tag voraus. Wenn ich jetzt den Kurs ändere, dann verschenken wir unseren Vorsprung!«

Skar sah den Freisegler verwirrt an. Er war nicht einmal dazu gekommen, wirklich etwas zu sagen, aber Rayan schien das auch nicht erwartet zu haben. Er war wohl froh, jemanden gefunden zu haben, auf den er seinen Zorn entladen konnte. Aus irgendeinem Grund war ihm Del dazu wohl nicht geeignet erschienen. »Verdammt, Skar«, fuhr er fort, »ich weiß, wieviel ihr euch darauf einbildet, Satai zu sein, und in der Arena und auf dem Schlachtfeld mag dies durchaus seine Berechtigung haben. Aber das hier ist die offene See, und da gelten andere Gesetze!«

»Aber ich habe doch gar nicht -«, begann Skar, wurde aber schon wieder von Rayan unterbrochen.

»Dieser junge Narr« - Rayan stach mit dem Zeigefinger wie mit einem Dolch in Dels Richtung - »verlangt allen Ernstes von mir, daß ich beidrehe und dort hinübersegle. Bring ihn zur Räson, oder ich vergesse mich!«

Del grunzte trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Hätte er dabei nicht vor Kälte gezittert, würde es vielleicht sogar beeindruckend gewirkt haben.

»Ich weiß«, sagte Skar rasch, bevor Del antworten und vielleicht noch Öl ins Feuer gießen konnte, »du bist der Seemann, Rayan. Trotzdem glaube ich nicht, daß wir dem Dronte noch lange davonlaufen können.« Er wies, das Fernglas als Zeigestock haltend, über die Köpfe der Matrosen hinweg nach Westen. Die Entfernung zwischen dem Dronte und der SHAROKAAN war sichtlich geschrumpft. Das hatte er schon vorhin bemerkt. Aber er sah jetzt erst, wie sehr. Der schwarze Schatten tauchte jetzt nicht mehr unter den Horizont, sondern blieb, abwechselnd größer und kleiner werdend, sichtbar. Es sah aus, als führe der schwarze Dämon einen Tanz auf den Wellen auf, um sie damit zu verhöhnen. Sie mußten während der Nacht noch mehr von ihrem Vorsprung verloren haben.