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Nach einer Weile sprachen sie miteinander über die Vergangenheit, über ruhige Zeiten und ferne Orte, um in dieser Stunde der Einsamkeit und Trostlosigkeit etwas Gemeinsames zu haben.

Wie üblich bestritt Panamon den Großteil des Gesprächs, aber die Berichte über seine Abenteuer klangen anders als sonst.

Das Element der Unwahrscheinlichkeit und Tollheit fehlte, und zum ersten Mal erkannte Shea, daß der scharlachrote Dieb vom wahren Panamon Creel erzählte. Es war eine beiläufige, fast sorglose Unterhaltung - wie eine von alten Freunden, die sich nach Jahren wiedersehen.

Panamon berichtete von seiner Jugend und dem schweren Leben, das den Menschen in seiner Umgebung beschieden gewesen war. Er suchte darin keine Entschuldigung für sich, verlegte sich nicht auf Ausreden, sondern erzählte schlicht von längst vergangenen Jahren, die in der Erinnerung lebendig geblieben waren.

Der kleine Talbewohner wiederum sprach von seiner Kindheit mit seinem Bruder Flick und erinnerte sich an die aufregenden Ausflüge in die Wälder von Duln. Er erzählte lächelnd von dem unberechenbaren Menion Leah, der ihm in mancher Beziehung wie ein junger Panamon Creel vorkam. Die Zeit verrann, während sie sich unterhielten, den Sturm unbeachtet ließen und zum ersten Mal ein Zusammengehörigkeitsgefühl empfanden. Während die Stunden vergingen und die Dunkelheit kam, begann Shea den anderen zu verstehen, ihn kennenzulernen, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Vielleicht konnte sich auch der Scharlachrote besser in den kleinen Talbewohner einfühlen. Shea hoffte es.

Als die Nacht herabsank und auch der Regen aufhörte, so daß nichts blieb als das Tosen des Windes und das Gluckern und Rauschen des Wassers, drehte sich das Gespräch um den schlafenden Keltset. Leise stellten die beiden Männer Mutmaßungen über die Herkunft des riesigen Berg-Trolls an, versuchten zu entdecken, was ihn hergeführt hatte, wie er dazu gekommen war, die selbstmörderische Wanderung ins Nordland zu wagen. Er war im Charnal-Gebirge zu Hause, das wußte Panamon, und vielleicht wollte er in seine Heimat zurückkehren, aber er war von dort nicht vertrieben worden - jedenfalls nicht von seinen eigenen Leuten. Vielleicht von einer anderen Macht? Der Schädelträger hatte ihn auf Anhieb erkannt - wieso? Selbst Panamon gab zu, daß Keltset mehr war als ein bloßer Dieb und Abenteurer.

Etwas Unbegreifliches mußte mit ihm geschehen sein, ein schreckliches Geheimnis, das er mit keinem teilen wollte. In den Augen des Schädelträgers war Angst zu lesen gewesen. Die beiden Männer wickelten sich schließlich fester in ihre Decken und schliefen ein.

27

»Du da! He! Bleib stehen!«

Der scharfe Befehl tönte aus der Dunkelheit hinter Flick und drang wie ein Messer ins Zentrum seines schon erlahmenden Mutes. Der Talbewohner drehte sich voller Entsetzen um, so verstört, daß er nicht einmal mehr in der Lage war, die Flucht zu versuchen. Nun hatte man ihn endlich doch entdeckt. Es war nutzlos, das Jagdmesser zu ziehen, aber seine Finger blieben doch um den Griff geklammert, während er die herannahende Gestalt anstarrte. Er beherrschte die Gnomensprache kaum, aber der Befehl war unmißverständlich gewesen. Starr sah er zu, wie die stämmige, fluchende Gestalt sich aus der Dunkelheit zwischen den Zelten löste.

»Steh nicht einfach herum!« fauchte die Stimme. »Hilf mit!«

Entgeistert schaute Flick sich die gedrungene Gestalt genauer an, die auf ihn zuschlurfte, die Arme beladen mit Tellern und Tabletts, nahe daran, beim nächsten Schritt alles fallenzulassen. Flick sprang hinzu und nahm dem anderen einen Teil der Last ab. Der Geruch frisch gekochten Fleisches und verschiedenerGemüse stieg ihm in die Nase.

»So, das ist schon viel besser.« Der breitgebaute Gnom atmete erleichtert auf. »Noch ein Schritt, und ich hätte alles hingeworfen.

Eine ganze Armee im Lager, und keiner hilft mir, das Essen für die Häuptlinge zu tragen. Keiner! Ich muß alles alleine machen.

Man möchte toll werden - aber dir bin ich dankbar. Ich sorge dafür, daß du eine gute Mahlzeit bekommst.«

Flick verstand nur jedes zweite Wort des Geschwätzigen, und es war auch gar nicht wichtig. Worauf es ankam, war, daß man ihn nicht erkannt hatte. Flick atmete auf und balancierte die Teller, während sein neuer Begleiter munter weiterschwätzte. Flick nickte in Abständen, um zu zeigen, daß er der Meinung des anderen sei, auch wenn er fast nichts verstand. Seine Blicke huschten dabei unablässig über die Schatten zwischen den Zelten.

Er mußte in dieses eine Zelt gelangen, dieser Gedanke ließ ihn nicht los; er mußte wissen, was dort vorging. Der Gnom neben ihm setzte sich plötzlich, wie auf ein Stichwort hin, in Bewegung und ging mit vorsichtigen Schritten auf das Zelt zu, das kleine, gelbe Gesicht halb zur Seite gedreht, um weiter auf Flick einreden zu können. Es gab keinen Zweifel mehr; sie lieferten das Essen in dieses Zelt, das den Häuptlingen der beiden Nationen, aus denen die Riesenarmee sich rekrutierte, gehörte und dem furchtbaren Schädelträger.

Das ist Wahnsinn, dachte Flick plötzlich; man wird mich sofortentdecken. Aber er mußte einen Blick ins Innere werfen!

Dann standen sie am Eingang, vor den beiden riesigen Troll-Wachen, die sie überragten wie Bäume zwei Grashalme. Flick brachte es nicht über sich, seinen Blick zu erheben, da er wußte, daß er, hätte er das getan, nur auf eine gepanzerte Brust gestarrt hätte.

Flicks selbsternannter Freund pfiff trotz seiner Winzigkeit die Wachen an, gefälligst Platz zu machen und sie hineinzulassen, bevor das Essen kalt zu werden drohe. Einer der Posten trat in das hell beleuchtete Innere des Zeltes und sprach mit jemandem, dann tauchte er wieder auf und winkte die beiden Essenträger hinein. Der kleine Gnom nickte Flick über die Schulter zu, bevor er an den beiden Wachen vorbei ins Zelt trat, und Flick folgte ihm bangen Herzens, kaum fähig zu atmen. Flick schickte ein Stoßgebet zum Himmel und flehte um ein weiteres Wunder.

Das Innere des großen Zeltes war von großen Fackeln auf eisernen Pfosten um einen schweren Holztisch in der Mitte gut beleuchtet.

Trolls verschiedener Größe eilten im Zelt hin und her, manche mit zusammengerollten Landkarten unter den Armen.

Andere setzten sich zur langerwarteten Mahlzeit nieder. Alle trugen die militärischen Abzeichen der Maturen - Troll-Kommandeure.

Der rückwärtige Teil des Zeltes war abgeteilt von einem schweren Gobelin, den nicht einmal das helle Fackellicht zu durchdringen vermochte. Die Luft im Zelt war rauchig und verbraucht, so daß Flick das Atmen schwerfiel. Überall lagen Waffen und Rüstungsteile, an Pfosten hingen Schilde. Flick spürte die Gegenwart des Schädelträgers ganz deutlich; es konnte keinen Zweifel daran geben, daß dieser sich hinter dem als Trennwand dienenden Gobelin befand. Ein Wesen wie dieses aß nichts - sein sterbliches Ich war längst zu Staub zerfallen, und der Geist in ihm benötigte nur das Feuer des Dämonen-Lords, um seinen Hunger zu stillen.

Plötzlich entdeckte der Talbewohner etwas anderes. In der Nähe des Gobelins, halb verborgen durch die von den Fackeln erzeugten Rauchwolken und die hin- und hereilenden Trolle, saß auf einem hohen Stuhl eine undeutlich wahrnehmbare Gestalt.

Flick zuckte unwillkürlich zusammen, für einen Augenblick davon überzeugt, Shea vor sich zu haben. Die hungrigen Trolle kamen auf Flick zu, griffen nach den vollen Tellern und trugen sie zum Tisch, so daß sie für kurze Zeit Flicks Sicht einschränkten.

Die Trolle unterhielten sich halblaut miteinander, während sie Flick und dem Gnom das Essen abnahmen, aber ihre Sprache war dem kleinen Talbewohner völlig unverständlich. Er gab sich Mühe, noch mehr in seinen Mantel hineinzukriechen und nur ganz tief unter der Kapuze hervorzulugen. Eigentlich hätte er auffallen müssen, aber die Troll-Befehlshaber waren müde und hungrig und viel zu sehr mit ihren Invasionsplänen beschäftigt, um auf den ungewöhnlich großen Gnomen zu achten, der ihnen das Essen gebracht hatte.