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Der Elf war im Nu frei, und die beiden schattenhaften Gestalten huschten zu dem Schlitz in der Zeltwand. Eventine blieb kurz stehen, bückte sich und hob neben einem der schlafenden Trolle etwas auf. Flick wartete nicht, um zu sehen, was Eventine an sich genommen hatte, sondern schlüpfte durch den Schlitz hinaus in die neblige Dunkelheit. Dort kauerte er neben dem Zelt und schaute sich nervös um. Nur der Regen störte die Stille der Nacht. Sekunden später klaffte der Schlitz erneut, und der Elfenkönig schob sich heraus, um neben seinem Retter niederzukauern.

Er hatte einen Allwetterponcho und ein Breitschwert mitgebracht.

Während er in das Kleidungsstück schlüpfte, grinste er Flick an und drückte ihm herzlich die Hand. Flick lächelte und nickte.

Eventine Elessedil war also gerettet, befreit aus den Händen des Feindes. Für Flick Ohmsford war das einer der schönsten Augenblicke seines Lebens. Er hatte das Gefühl, daß das Schlimmste überstanden sei, daß die Flucht aus dem Lager gelingen mußte, sobald sie das Maturen-Zelt hinter sich hatten. Er hatte vorher nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, wie es weitergehen sollte, wenn er Eventine befreit haben würde, aber nun galt es vorauszuschauen. Während aber die beiden noch am Zelt kauerten, ging der Augenblick dafür verloren.

Aus dem Nichts kamen drei schwerbewaffnete Troll-Wachen heran und entdeckten die beiden Gestalten am Maturen-Zelt.

Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrten alle, dann stand Eventine langsam auf und verdeckte den Schlitz in der Zeltwand.

Zu Flicks Verwunderung winkte der Elfenkönig die drei Soldaten heran und sprach fließend in ihrer Sprache auf sie ein. Die Wachen näherten sich zögernd, die langen Piken sorglos gesenkt, als sie die ihnen vertrauten Laute hörten. Eventine trat zur Seite, um den Blick auf den Schlitz freizugeben, und nickte Flick warnend zu, als die Trolle nun vorwärtsstürzten. Flick trat rasch zurück, die Hand am Jagdmesser. Als die Trolle heranstürmten, den Blick auf die zerschnittene Zeltwand gerichtet, schlug der Elfenkönig mit dem Breitschwert zu.

Zwei von den Trollen waren zum Schweigen gebracht, bevor sie Gelegenheit fanden, sich zu verteidigen. Der dritte Troll stieß einen Schrei aus und hieb auf Eventine ein, traf ihn auch an der Schulter, stürzte aber dann leblos zu Boden. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Flick stand leichenblaß an der Zeltwand und starrte die toten Trolle an, während der verwundete Elfenkönig vergeblich versuchte, der Blutung aus der Schulter Herr zu werden.

Schon hörten sie in der Nähe scharfe Stimmen.

»Wohin?« zischte Eventine, das blutige Schwert mit der Rechten umklammernd.

Der kleine Talbewohner lief stumm auf Eventine zu und deutete in die Dunkelheit hinein. Die Stimmen wurden lauter, kamen aus allen Richtungen, und die Fliehenden huschten lautlos davon. Sie stolperten zwischen den nebelumhüllten Zelten über kleine und große Gegenstände, fanden kaum Halt auf dem nassen, glitschigen Boden, waren behindert von der Dunkelheit und dem wallenden Nebel. Die Stimmen blieben auf beiden Seiten hinter ihnen zurück, wurden aber plötzlich wieder laut, als die Leichen der Posten entdeckt wurden. Eventine und Flick hetzten weiter, während die schmetternden Laute eines Troll-Kampfhorns die nächtliche Stille zerrissen, und alle im Lager erwachten.

Flick lief voraus, verzweifelt bemüht, den kürzesten Weg zum Ende des Lagers zu finden. Er rannte blindlings dahin, außer sich vor Entsetzen, nur von dem Gedanken beseelt, die Sicherheit der stillen Dunkelheit außerhalb des Lagers zu gewinnen. Eventine gab sich Mühe, mit ihm Schritt zu halten, während seine Wunde an der Schulter heftig blutete. Er rief Flick zu, vorsichtig zu sein.

Zu spät. Sein Ruf war kaum verklungen, als sie mit einer Gruppe noch schläfriger Nordländer zusammenprallten, die vom grellen Ton des Kampfhorns geweckt worden war. Alle stürzten in einem Gewirr von Armen und Beinen zu Boden.

Flick spürte, wie ihm der Umhang heruntergerissen wurde, als er sich wehrte und wild mit dem Jagdmesser auf alles einstach, was ihm in Reichweite kam. Getroffene heulten vor Schmerzen und Wut auf, die Arme und Beine zogen sich zurück, und Flick war wieder frei, sprang auf, wurde im nächsten Augenblick jedoch von einem neuen Angriff überrascht. Er sah eine herabsausende Schwertklinge schimmern, riß das Messer hoch, um den Hieb abzuwehren. Für Minuten brach das Chaos aus, als der Talbewohner sich durch das Gewühl kämpfte. Wähend er versuchte, sich aus dem Getümmel zu lösen, stürzte er wiederholt zu Boden, sprang aber immer wieder auf und kämpfte weiter, nach Eventine schreiend.

Was er nicht wußte, war, daß er in eine Gruppe unbewaffneter Nordländer geraten war, die völlig überrumpelt wurden, als er sich wie ein wildes Tier mit dem Messer in ihre Mitte stürzte. Minutenlang versuchten sie, ihn festzuhalten und zu entwaffnen, aber Flick wehrte sich mit solcher Verzweiflung, daß sie ihn nicht zu überwältigen vermochten. Eventine kam ihm zu Hilfe, kämpfte sich im Gewühl zu dem jungen Mann durch und jagte die Gegner endlich in die Flucht. Sie verschwanden in der Dunkelheit, und den letzten Feind, einen großen Gnom, der sich an Flick festgeklammert hatte, hieb Eventine nieder. Er packte Flick am Kragen und zog ihn hoch. Flick wehrte sich noch für einen Augenblick, erschlaffte aber, als er sah, wer ihn festhielt.

Ringsum tönten die Hörner durch das Lager, vermischt mit den Schreien der aufschreckenden Soldaten. Flick konnte nicht hören, was Eventine sagte. Sein ganzer Schädel dröhnte von den Hieben, die er abbekommen hatte.

»... schnellsten Weg hinaus finden. Nicht laufen - schnell gehen, ganz ruhig. Wenn wir laufen, fallen wir nur auf. Los jetzt!«

Eventines Stimme verstummte. Seine starke Hand packte Flicks Schulter und drehte ihn herum. Sie starrten einander an, aber Flick konnte den durchdringenden Blick des Elfenkönigs nur wenige Sekunden aushaken. Er schien ihm bis in sein verkrampftes Herz zu dringen. Dann gingen sie Seite an Seite auf das Ende des Lagers zu, die Waffen in Bereitschaft. Flick dachte fieberhaft, aber mit klaren Sinnen nach, entsann sich bestimmter Merkmale im Lager, die ihm anzeigten, daß sie auf dem richtigen Weg waren. Die Angst wurde zeitweilig verdrängt von einer kalten Entschlossenheit, die er nicht zuletzt der auf ihn ausstrahlenden starken Persönlichkeit an seiner Seite zu erdanken hatte. Es mochte Allanon selbst sein, so unerschütterlich war die Selbstsicherheit, die der Elfenkönig verströmte.

Dutzende von Soldaten stürmten vorbei, manche in unmittelbarer Nähe, aber niemand hielt sie auf oder stellte sie zur Rede.

Unbeachtet schritten die beiden Männer durch das Chaos, das die Armee bei dem unerwarteten Alarm erfaßt hatte. Die Schreie gellten weiterhin wild durcheinander, schienen aber schon hinter den Fliehenden zurückzubleiben. Der Regen hatte vorübergehend ganz aufgehört, aber der dichte Nebel lagerte immer noch über dem Boden und hüllte das ganze Grasland von Streleheim bis zum Mermidon ein. Flick warf einen Seitenblick auf seinen stummen Begleiter und sah mit Besorgnis, daß dieser vor Schmerzen gekrümmt ging. Der linke Arm hing schlaff herab, die Schulterwunde blutete noch immer stark. Der tapfere Elf ermüdete rasch und wurde durch den Blutverlust immer schwächer.

Sein Gesicht war aschfahl und wirkte eingefallen. Unbewußt ging Flick langsam und trat näher an seinen Begleiter heran, um ihn zu stützen, sollte er schwanken.

Sie erreichten das Ende des Lagers schnell - so schnell, daß die Nachricht von den Geschehnissen am Maturen-Zelt noch nicht bis hierher gedrungen war. Die Posten wußten nicht, was vorgefallen sein mochte, aber sie waren durch die Hornrufe auf-gescheucht worden und standen in kleinen Gruppen vor den Zelten, die Waffen in Bereitschaft. Offenbar glaubten sie, die Gefahr drohe von außerhalb des Lagers, denn ihre Blicke richteten sich hinaus in die Dunkelheit, so daß Eventine und Flick unbemerkt bis zu ihnen gelangen konnten. Der Elfenkönig zögerte nicht, sondern schritt mit gemessenen Bewegungen zwischen den Posten hindurch, auf Dunkelheit, Nebel und Verwirrung vertrauend, die ihre Entdeckung verhindern sollten.