Выбрать главу

»Aufstehen, Mystiker, oder wie Ihr Euch sonst zu nennen beliebt!« Das verschlagene Gesicht Stenmins blieb unbewegt, und Menion geriet in Wut. Er riss den Mann aus dem Sessel hoch. »Ich sollte Euch ohne Federlesen ins Jenseits befördern; die Menschen von Callahorn würden es mir danken. Aber noch brauche ich Eure Dienste. Führt mich zu den Verliesen, wo Balinor und die anderen eingekerkert sind - auf der Stelle!«

Stenmins Augen weiteten sich entsetzt.

»Woher könnt Ihr von ihm wissen ... diesem Verräter an seinem Reich?« rief der Mystiker erstaunt. »Der König selbst hat befohlen, seinen Bruder einzuschließen, bis ihn der natürliche Tod ereilt, Prinz von Leah, und selbst ich ...» Mit einem Ächzen erstarb seine Stimme, als Menion ihn wieder an der Kehle packte und zuzudrücken begann. Stenmins Gesicht verfärbte sich blaurot.

»Ich will keine Ausreden oder Erklärungen hören. Bringt mich zu ihm!«

Noch einmal packte er fester zu, und der nach Luft ringende Gefangene nickte schließlich heftig. Menion ließ ihn los, und der Halberstickte stürzte auf ein Knie. Menion Leah zog hastig den Morgenrock aus und kleidete sich an, legte das Schwert um und schob den Dolch in den Gürtel. Er überlegte einen Augenblick, ob er Shirl wecken sollte, schob den Gedanken aber rasch wieder beiseite. Sein Plan war gefährlich genug; es gab keinen vernünftigen Grund, auch ihr Leben in Gefahr zu bringen. Wenn es ihm gelingen sollte, seine Freunde zu befreien, würde Zeit genug bleiben, sie zu holen. Er wandte sich dem Gefangenen zu, zog den Dolch heraus und zeigte ihn Stenmin.

»Das Geschenk, das zu überbringen Ihr so gütig gewesen seid, bekommt Ihr zurück - aber anders, als Ihr denkt -, wenn Ihr versuchen solltet, mich zu betrügen oder in eine Falle zu locken«, sagte er drohend. »Kommt also nicht auf dumme Gedanken. Wenn wir diesen Raum verlassen, werdet Ihr mich über die Hintertreppen und -gange zu dem Kerker bringen, wo Balinor und seine Begleiter festgehalten werden. Wagt ja nicht, die Wachen zu alarmieren - der Tod wäre Euch sicher. Wenn Ihr Zweifel haben solltet an dem, was ich sage, lasst Euch warnen. Ich bin von Allanon in diese Stadt geschickt worden.«

Stenmin erbleichte, als erden Namen des riesenhaften Druiden hörte, und seine geweiteten Augen verrieten unverhüllte Furcht. Der scharlachrote Mystiker ging stumm zur Tür, und Menion folgte ihm auf den Fersen, die Hand am Dolch. Nun war die Zeit der alles entscheidende Faktor. Er musste blitzschnell handeln, Balinor und die anderen Gefangenen befreien und den seines Verstandes nicht mehr mächtigen Palance ergreifen, bevor die Palastgarde alarmiert wurde. Dann musste eine eilige Nachricht an Janus Senpre die Hilfe derjenigen bringen, die Balinor die Treue hielten, und die Macht der Monarchie sollte ohne Kampf wiederhergestellt werden können.

Die riesige Nordland-Armee würde sich im Grasland bei der Insel Kern bereits auf den Marsch nach Tyrsis machen. Wenn die Grenzlegion schnell genug aufgestellt und eingesetzt werden konnte, bestand die Aussicht, dass die Invasoren am Nordufer des Mermidon zum Stehen gebracht würden. Es würde diesen nahezu unmöglich sein, den angeschwollenen, reißenden Fluss zu überqueren, wenn das Ufer von einer Truppe verteidigt wurde. Der Feind würde mehrere Tage brauchen, um ein Flankenmanöver durchzuführen. In der Zwischenzeit konnten die verbündeten Armeen Eventines eintreffen. Menion wusste, dass also alles von den nächsten Minuten abhing.

Die beiden Männer traten hinaus. Menion schaute hastig in beide Richtungen, aber von den schwarzgekleideten Palastwachen war nichts zu sehen. Der Hochländer trieb Stenmin vor sich her, und der Mystiker führte so seinen Gegner wohl oder übel zu den inneren Räumlichkeiten des Palastgebäudes, durch Korridore, die zur Rückseite des weitläufigen Bauwerks führten. Zweimal kamen sie an Angehörigen der Palastwache vorbei, aber Stenmin enthielt sich jeder Bemerkung und ging mit gesenktem Kopf weiter.

Durch das Gitterwerk der Palastfenster konnte Menion die Gärten sehen, wo die Sonne hell auf die Farbenpracht der Blumen schien. Es war schon später Vormittag, und bald würde im Palast reges Treiben herrschen, wenn die üblichen Besucher und Geschäftsleute kamen. Von Palance Buckhannah war nichts zu sehen, und Menion konnte nur hoffen, dass der Prinz mit anderen Dingen beschäftigt war.

Während die beiden durch die Flure schritten, konnten sie hier und dort gedämpfte Stimmen hören. Bedienstete tauchten immer häufiger auf, eilig ihren Aufgaben zustrebend. Sie beachteten Stenmin und seinen Begleiter nicht. Vielleicht war das ein Hinweis, dass sie den Mystiker weder mochten noch ihm trauten. Niemand sprach sie an, und endlich näherten sie sich dem massiv gemauerten Zugang zu den Kellern des Palastes. Zwei bewaffnete Wachen standen vor der Tür, deren Riegel durch eine dicke Eisenstange gesichert worden waren.

»Bedenkt, was Ihr sagt«, warnte Menion den Mystiker flüsternd, als sie sich den Wachen näherten.

Sie hielten vor der großen Kellertür an, und Menions Hand lag auf dem Dolch, als er hinter Stenmin stand. Die Wachen sahen ihn neugierig an, dann richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Berater des Königs, der sie ansprach:

»öffnet die Tür, Wachen! Der Prinz von Leah und ich wollen die Weinkeller und die Verliese inspizieren.«

»Auf Befehl des Königs ist allen Personen der Zutritt verboten, Mylord«, erklärte einer der Soldaten.

»Ich bin hier auf Befehl des Königs!« schrie Stenmin zornig. Menion stieß ihn warnend an.

»Wache, das ist der persönliche Berater des Königs," nicht ein Feind des Reiches«, sagte der Hochländer mit einem Lächeln. »Wir besichtigen den Palast, und da ich es war, der die Verlobte des Königs gerettet hat, vermutet er, ich könnte die Entführer der Dame erkennen. Nun gut, wenn es sein muss, störe ich den König und hole ihn hierher ... « Er verstummte bedeutungsvoll. Er konnte nur hoffen, dass die Wachen Palances irrationales Verhalten gut genug kannten, um sich nicht dem Risiko aussetzen zu wollen, dass er hier erschien. Sie zögerten einen Augenblick, dann nickten sie stumm, lösten Sperrstange und Riegel und öffneten das massive Portal. Stenmin ging wortlos voraus. Scheinbar hatte er beschlossen, sich genau an Menions Anweisungen zu halten, aber der Prinz von Leah wusste nur zu gut, dass der Mystiker kein Dummkopf war. Wenn Balinor befreit wurde und das Kommando der Grenzlegion wieder übernahm, würde Stenmins Macht über den Thron von Callahorn gebrochen werden. Stenmin würde also ganz gewiss irgend etwas versuchen, aber Zeit und Ort waren noch nicht gekommen. Die schwere Tür schloss sich leise hinter ihnen, und sie stiegen in den von lodernden Fackeln erhellten Keller hinab.

Menion sah die Falltür in der Mitte des Kellerbodens sofort. Die Wachen hatten sich keine Mühe gegeben, sie ein zweites Mal durch Weinfässer zu tarnen. Es genügte, dass sie eine Reihe von Eisenstangen und Riegeln über der Steinplatte angebracht hatten, so dass an ein Entkommen von unten her nicht zu denken war. Menion konnte zwar nichts davon wissen, aber die Gefangenen waren nach dem gescheiterten Fluchtversuch in den frühen Morgenstunden dieses Tages nicht in ihre Zellen zurückgebracht worden. Vielmehr ließ man sie in der Dunkelheit der Kerkergänge frei herumlaufen. Neben dem versiegelten Zugang standen zwei Wachen. Sie starrten die Männer an, die man hereingelassen hatte. Menion sah einen Teller mit Käse und Brot auf einem der Weinfässer stehen, daneben zwei Becher und eine halbleere Flasche. Die beiden Wachen hatten Wein getrunken. Menion lächelte schwach.

Als die beiden den Kellerboden erreichten, tat Menion so, als interessiere er sich sehr für die Kellerräume, und begann mit Stenmin ein angeregtes Gespräch. Die Wachen richteten sich beim Anblick des königlichen Beraters auf. Der Hochländer spürte, dass sie durch den unerwarteten Besuch aus dem Gleichgewicht geraten waren, und beschloss, den Vorteil zu nutzen.